Rundruf Versorgung

Gesundheit ohne Barrieren?

16.10.2024 Tina Stähler 3 Min. Lesedauer

Kein Aufzug, eine enge Kabine und ein Arzt, der sich nur in Fachsprache ausdrückt. Um sich in Deutschland behandeln zu lassen, sind viele Hindernisse zu überwinden. Wie lässt sich ein gleichberechtigter Zugang für alle schaffen?

Foto: Zwei Hände, die Händereichen symbolisieren.
Begegnung ohne Hindernisse: In Deutschland sind bei einem Arztbesuch noch Hürden abzubauen.

Gesundheitsforschung muss Menschen mit Behinderungen einbeziehen

Foto:  Raúl Krauthausen, Inklusionsaktivist, Autor, Moderator und Medienmacher.
Raúl Krauthausen, Inklusionsaktivist, Autor, Moderator und Medienmacher

Das deutsche Gesundheitswesen ist noch weit von echter Inklusion entfernt. Um dies zu ändern, sind drei zentrale Schritte notwendig: Erstens müssen mehr Menschen mit Behinderungen in Gesundheitsberufen tätig sein, da sie wertvolle Perspektiven einbringen und das System inklusiver machen. Zweitens muss die Gesundheitsforschung Menschen mit Behinderungen einbeziehen, um bedarfsgerechte Lösungen zu entwickeln. Diese Personengruppe wird viel zu wenig mitgedacht. Und drittens brauchen wir flächendeckend barrierefreie Praxen und Kliniken, damit alle Menschen einen gleichberechtigten Zugang zur medizinischen Versorgung haben. Inklusion wird gelingen, wenn wir Menschen mit Behinderungen als Expertinnen und Experten in eigener Sache verstehen und sie aktiv in die Planung und Umsetzung mit einbeziehen. 

Verstehen medizinischer Informationen ist wesentlich

Foto: Ulla Schmidt, Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. und Bundesministerin a.D.
Ulla Schmidt, Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. und Bundesministerin a.D.

Barrierefreiheit im Gesundheitswesen ist zentral, um gute Gesundheit für alle zu gewährleisten. Dabei geht es nicht nur um barrierefreie Gebäude und Ausstattung für Menschen mit Mobilitäts- oder Sinnesbeeinträchtigungen, sondern gerade auch um das Verstehen medizinischer Informationen. Dies gilt für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ebenso wie für alle anderen Patientinnen und Patienten. Hier kann Leichte Sprache Barrieren beseitigen – bei medizinischen Informationen wie Aufklärungsbögen. Dies setzen das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen und andere schon um. Bei uns im Verlag können kostenfrei Broschüren in Leichter Sprache zur Krebsvorsorge und -behandlung bestellt werden. Daneben muss das Fachpersonal lernen, sich verständlich auszudrücken. Es freut mich, dass zum Beispiel die Ärztekammer Nordrhein entsprechende Schulungen anbietet. Auch in den Aktionsplan des Bundesgesundheitsministeriums sind diese Forderungen bereits aufgenommen.

Vergütungssystem berücksichtigt Aufwände bisher nicht

Foto: Dr. Roland Stahl, Pressesprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
Dr. Roland Stahl, Pressesprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Ein schrankenloser Zugang zu allen Einrichtungen, insbesondere im Gesundheitswesen, müsste selbstverständlich sein. Doch die Realität ist komplizierter und das liegt nicht daran, dass die Niedergelassenen nicht wollen. Das Thema ist sehr komplex. Gemeinsam mit Verbänden der Selbsthilfe und Inklusion haben wir einen Katalog von 83 Kriterien zur Barrierefreiheit in den Bereichen Mobilität, Hören, Sehen und Kognition definiert. Allein das zeigt: Es ist so gut wie unmöglich, vollkommene Barrierefreiheit zu schaffen. In unseren Augen ist es deshalb treffender, von Barrierearmut zu sprechen. In manchen Praxen sind zudem räumliche Umbaumaßnahmen – etwa durch Brandschutz- oder Denkmalschutzvorgaben – gar nicht möglich. Außerdem gehen Baumaßnahmen mit enormen Kosten einher, die nicht gegenfinanziert sind. Das Vergütungssystem berücksichtigt diese Aufwände bislang nicht. Die Arztsuchen der Kassenärztlichen Vereinigungen liefern Hinweise, welche Praxen welche Kriterien zur Barrierefreiheit erfüllen.

Angebote gezielt auf individuelle Bedürfnisse ausrichten

Foto: Prof. Dr. Christian Walter-Klose, Professor für Beratung in sonderpädagogischen und inklusiven Arbeitsfeldern, Universität Köln.
Prof. Dr. Christian Walter-Klose, Professor für Beratung in sonderpädagogischen und inklusiven Arbeitsfeldern, Universität Köln

Es bleibt schwer verständlich, dass gerade Menschen mit dem größten Bedarf an gesundheitlicher Versorgung nach wie vor auf die größten Hürden im Gesundheitssystem stoßen, während das Potenzial der Inklusion ungenutzt bleibt. Eine barrierefreie Gestaltung von Wegen, Räumen und der Kommunikation sowie mehr Zeit für Patientinnen und Patienten würde die Versorgung für alle verbessern – für Menschen mit Behinderung ist dies unerlässlich. Der Schlüssel zur Inklusion liegt darin, Angebote gezielt auf individuelle Bedürfnisse auszurichten. Reflexion und der kontinuierliche Austausch mit Menschen mit Behinderung, Fachverbänden und Expertinnen und Experten helfen, Strukturen und Prozesse anzupassen und das Gesundheitssystem inklusiver zu gestalten. Die gesundheitliche Versorgung im Kontext Behinderung sollte zudem stärker in Aus- und Weiterbildung integriert und die notwendigen Ressourcen – vor allem für ein Mehr an Zeit und Vernetzung – fest im System verankert werden.

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