Artikel Versorgung

Medizin und Pflege Hand in Hand

16.10.2024 Yvonne Ehmen, Veronika Kneißl 6 Min. Lesedauer

Ressourcen sparen, Schnittstellen reduzieren, Behandlungsqualität erhöhen: Dafür müssen Menschen aus verschiedenen Gesundheitsberufen reibungslos zusammenarbeiten. Neue Berufsbilder in Medizin und Pflege fördern interprofessionelle Teams und verbessern damit die Gesundheitsversorgung.

Foto von mehreren Händen, die sich übereinanderstapeln
Die Weiterentwicklung der Pflegeberufe kann die interprofessionelle Zusammenarbeit verbessern.

APN, CHN, PA und NäPA – was wie eine Zeile aus dem Lied „MfG“ von den „Fantastischen Vier“ klingt, findet sich immer häufiger auch in Konzepten für die Gesundheitsversorgung. Man könnte meinen, berufliche Spezialisierungen gibt es in der deutschen Versorgungslandschaft inzwischen genug. Doch neu geschaffene Qualifikationen im Bereich der Pflege und Medizin, wie beispielsweise Advanced Practice Nurse (APN), Community Health Nurse (CHN), Physician Assistant (PA) oder Nichtärztliche Praxisassistentinnen und -assistenten (NäPA) sind von großer Bedeutung: Sie helfen, bestehende Lücken im Gesundheitssystem zu schließen, und leisten einen wichtigen Beitrag zur Neukonzeption der Rollen und des Versorgungssystems der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.

Neue Strukturen aufbauen

Die Gesundheitsversorgung in Deutschland basiert auf einer klaren Trennung der Verantwortungsbereiche zwischen verschiedenen Berufsgruppen. Diese Struktur führt oft dazu, dass sich Patientinnen und Patienten auf ineffiziente Art und Weise mit zahlreichen Ansprechpartnerinnen und -partnern auseinandersetzen müssen. Da­raus resultieren viele Schnittstellen und fragmentierte Behandlungsverläufe. Dieser Trend wird sich zukünftig noch verstärken, weil die Komplexität der Versorgung durch die Zunahme chronischer Erkrankungen und der Multimorbidität weiter steigt.

Vor allem neu entstandene Berufsbilder wie die APN oder die PA finden im deutschen Gesundheitssystem noch keinen eindeutig zugeordneten Platz. Es scheint nicht zielführend, für jede neue Berufsgruppe wieder eigene Zuständigkeitsbereiche zu schaffen. Stattdessen sollte die anstehende Diskussion dazu genutzt werden, um neue Strukturen aufzubauen, die eine effiziente und interprofessionelle Zusammenarbeit ermöglichen.

Gemeinsam auf Augenhöhe arbeiten

Die Versorgung der Patientinnen und Patienten erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Professionen. Vor allem im medizinischen, pflegerischen und sozialen Bereich ist der Bedarf an kooperativer Teamarbeit groß. Ein wichtiger Schritt in Richtung einer besseren Gesundheitsversorgung ist daher, interprofessionelle Teams zu ermöglichen, die gemeinsam und auf Augenhöhe arbeiten. Es reicht nicht aus, verschiedene Berufsgruppen nur besser zu vernetzen oder die Digitalisierung voranzutreiben. Der Fokus muss auf einer gleichberechtigten Zusammenarbeit liegen, die sich an den tatsächlichen Gesundheitsbedarfen der Patientinnen und Patienten orientiert.

Bei einer interprofessionellen Versorgung im Sinne dieses Artikels arbeiten alle an der Versorgung Beteiligten gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten an der Entwicklung und Umsetzung des Behandlungs- und Versorgungsplans. Im Gegensatz dazu werden bei der multiprofessionellen Versorgung zwar mehrere Professionen in die Versorgung mit einbezogen. Sie werden jedoch weitgehend unabhängig voneinander und unabgestimmt tätig.

Leitbild für die interprofessionelle Zusammenarbeit

  1. Das Versorgungssystem muss sich an den Versorgungsbedarfen der Menschen ausrichten, nicht an den Leistungserbringerstrukturen.
  2. Versorgungsbedarfe sind komplex und können oft nur im interdisziplinären Team erfüllt werden. Es reicht nicht, nur die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch in den Blick zu nehmen.
  3. Teamarbeit braucht einen Rahmen: von teambasierten Versorgungsaufträgen bis zu einer sektorenunabhängigen Angebotsstruktur, einer ambulanten interprofessionellen Betriebsform und einer gemeinsamen Vergütungssystematik.
  4. Es geht nicht darum, Leistungen von einer Profession auf die andere zu übertragen, sondern vielmehr darum, die Kompetenzen der einzelnen Professionen effizient einzusetzen. Für die interprofessionelle Zusammenarbeit braucht es ein neues Rollenverständnis, das an einer patientenzentrierten Arbeits- und Aufgabenteilung zwischen den Gesundheitsberufen ausgerichtet ist.
  5. Pflege steht in interdisziplinären Beziehungen. Sie sichert die Versorgungskontinuität über Sektorengrenzen und Versorgungsebenen hinweg. Ihr Einsatz ist eine Chance für niedrigschwelligen Zugang zur Versorgung, individuelle Betreuung und Beratung, klare Kommunikation und koordinierende Unterstützung.
  6. Es bedarf teambasierter Qualitätskonzepte, beginnend bei interdisziplinären Versorgungsleitlinien.
  7. Zusammenarbeit auf Augenhöhe muss gelernt werden. Daher sollte die interdisziplinäre Zusammenarbeit bereits in der Ausbildung beginnen, zum Beispiel durch gemeinsames Lernen von Medizin- und Pflegestudierenden.

Quelle: AOK-Bundesverband

Teambasierte Aufträge formulieren

Eine Grundlage für die interprofessionelle Zusammenarbeit bilden teambasierte Versorgungsaufträge. Diese setzen den Fokus auf den Bedarf der Patientinnen und Patienten. Die Aufträge definieren Leistungsgruppen, die auf evidenzbasierten, interdisziplinären Leitlinien beruhen. Das Team trägt gemeinsam Verantwortung und organisiert die individuelle Versorgung flexibel auf Basis der jeweiligen Kompetenzen. So können neue Berufsbilder, wie APN oder NäPA, ihren Beitrag zur Versorgung leisten und Lücken schließen. Eine solche Neustrukturierung löst starre Zuständigkeitsbereiche auf und fördert eine patientenzentrierte Versorgung.

Neben den Versorgungsaufträgen müssen auch die Strukturen der Versorgung selbst verändert werden. Eine interprofessionelle Betriebsform, die rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen wie die Haftung regelt, ist notwendig, um die Zusammenarbeit verschiedener Gesundheitsberufe zu fördern. Ziel ist es, dass Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachpersonen und andere Gesundheitsprofessionen gleichberechtigt zusammenarbeiten – ohne Hierarchien und mit einem Fokus auf die Patientenpräferenzen.

Qualitätssicherung weiterentwickeln

Foto von medizinischem Personal und Patienten in einem Krankenhausflur
Im Fokus der Zusammenarbeit stehen die Patientenpräferenzen.

Eine der größten Herausforderungen der interprofessionellen Zusammenarbeit ist die Qualitätssicherung. Kommunikationsprobleme und ein mangelndes Verständnis für die Expertise anderer Berufsgruppen führen häufig zu einer unzureichenden Versorgungsqualität. Die Forschung zur Qualitätssicherung in der interprofessionellen Zusammenarbeit steckt noch in den Kinderschuhen. Es gibt aber bereits Ansätze, wie diese verbessert werden kann. Eine abgestimmte Sichtweise auf die Patientinnen und Patienten kann beispielsweise durch gemeinsames Lernen und ein besseres Verständnis der verschiedenen Teammitglieder erreicht werden.

Eine entscheidende Rolle spielt auch die Ergebnisqualität: Unterschiedliche Professionen haben verschiedene Perspektiven und Ansätze zur Problemlösung. Daher ist es sinnvoll, die Qualität nicht an den Behandlungswegen oder der Profession der Leistungserbringenden zu messen, sondern an den erzielten Ergebnissen.

Neue Gesundheitsberufe als Schlüssel zu interprofessionellen Teams


Berufsgruppe: Nichtärztliche Praxisassistentinnen und -assistenten (NäPA)

Kernkompetenz:

  • Patientenbetreuung und Unterstützung unter Aufsicht der Ärztinnen und Ärzte
  • Koordination und Praxismanagement
  • Gesundheitsberatung

Wesentliche Merkmale: Fokus liegt auf Unterstützung von Ärztinnen und Ärzten, keine eigenständige Diagnose oder Therapie
 

Berufsgruppe: Physician Assistant (PA)

Kernkompetenz:

  • Mitwirkung bei Diagnose und Behandlung
  • Medizinische Interventionen wie Assistenz bei Operationen, Durchführung einfacher medizinischer Eingriffe
  • Betreuung von Patientinnen und Patienten vor, während und nach Behandlungen
  • Koordination der Versorgung

Wesentliche Merkmale: Erweiterung des ärztlichen Teams mit Fokus auf diagnostische und therapeutische Aufgaben unter ärztlicher Aufsicht
 

Berufsgruppe: Advanced Practice Nurse (APN)

Kernkompetenz:

  • Direkte klinische Praxis
  • Beratung und Schulung
  • Forschung
  • Klinische und professionelle Führung

Wesentliche Merkmale: Hohe Autonomie in der Patientenversorgung, spezialisierte Pflegefachkraft mit erweiterter klinischer Kompetenz
 

Berufsgruppe: Community Health Nurse (CHN)

Kernkompetenz:

  • Direkte klinische Praxis
  • Beratung und Schulung
  • Forschung
  • Klinische und professionelle Führung
  • Ethische Entscheidungsfindung
  • Populationsbezogene Ausrichtung

Wesentliche Merkmale: Fokus auf Gesundheitsförderung und Prävention einer definierten Gemeinschaft

Quelle: AOK-Bundesverband

Gesetzlichen Rahmen schaffen

Die Rolle der Pflegeberufe soll im Rahmen der gesetzlichen Neuausrichtung entscheidend gestärkt werden. Im Juli 2024 haben das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesfamilienministerium einen Referentenentwurf für ein Pflegeassistenzeinführungsgesetz vorgelegt. Damit soll die bislang regional unterschiedliche Ausbildung für Pflegeassistenzpersonen bundesweit vereinheitlicht werden. Zudem will die Bundesregierung mit dem als Referentenentwurf vorliegenden Pflegekompetenzgesetz die Befugnisse für Pflegefachpersonen ausbauen und somit die Attraktivität der Pflegeberufe steigern. Die geplanten Reformen setzen nicht nur auf die Delegation ärztlicher Aufgaben, sondern auch auf eine bessere Nutzung der spezifischen Fähigkeiten der Pflegefachpersonen und -assistenzkräfte. Ein zentraler Baustein des Pflegekompetenzgesetzes ist, den Pflegefachberuf als Heilberuf anzuerkennen und die pflegerische Vorbehaltsaufgabe wie auch die erworbenen Handlungsautonomien im Sozialversicherungsrecht nachzuzeichnen.

Auch die geplante Etablierung der APN in der Versorgung soll zur Stärkung der Pflegeberufe beitragen. Die APN soll durch erweiterte Qualifikation und neue Befugnisse eine zentrale Rolle übernehmen und Versorgungslücken schließen. Die Maßnahmen zielen darauf ab, die Pflegeberufe als integralen Bestandteil interprofessioneller Teams zu etablieren, die gemeinsam auf Augenhöhe die Versorgung sicherstellen. Damit wäre ein erster Schritt hin zu einer generellen Neustrukturierung getan.

Kompetenzen besser nutzen

Die Gesundheitsversorgung steht vor großen Herausforderungen, die nur durch eine interprofessionelle Zusammenarbeit bewältigt werden können. Die geplanten Reformen bieten eine Chance, die Kompetenzen aller Gesundheitsberufe besser zu nutzen und eine effiziente, patientenzentrierte Versorgung zu gewährleisten. Die Stärkung der Rolle der Pflegefachpersonen ist ein bedeutender Schritt hin zu einer modernen und nachhaltigen Gesundheitsversorgung. Die gesetzliche Weiterentwicklung der Pflegeberufe steigert nicht nur deren Attraktivität, sondern kann auch die Basis für eine stärkere interprofessionelle Zusammenarbeit schaffen – zum Wohle der Patientinnen und Patienten sowie zur Verbesserung des Gesundheitssystems.

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