Interview Gesundheitssystem

„Steuerhilfen werden von der FDP blockiert“

16.10.2024 Thorsten Severin 7 Min. Lesedauer

Saarlands Gesundheitsminister Magnus Jung wünscht sich mehr Steuergeld für die gesetzlichen Krankenkassen und sieht zudem in der alten Idee einer Bürgerversicherung eine Antwort auf aktuelle Probleme. Mit der FDP im Bund geht der SPD-Politiker hart ins Gericht.

Foto von Magnus Jung auf einem Balkon
Gesundheitsminister Dr. Magnus Jung gehört im Saarland einer SPD-Alleinregierung an.

Herr Minister Jung, im nächsten Jahr drohen kräftige Beitragssprünge bei den gesetzlichen Krankenkassen. Ein Grund sind immer neue Lasten, zudem bleiben von der Ampel-Koalition versprochene Zuschüsse aus. Wie lange kann das noch so weitergehen?

Magnus Jung: Ich bin hier sehr enttäuscht von der FDP in der Ampel-Regierung. Die Entlastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler scheitert nicht am Willen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, sondern an der harten Haltung des Finanzministers, die für enormen Druck im Gesundheitssystem und bei den unterschiedlichen Berufsgruppen sorgt. Die Verteilungskämpfe und der Ärger im Gesundheitswesen gehen zum großen Teil auf das Konto von Christian Lindner. Am Ende kann Lauterbach nur mit den Steuermitteln arbeiten, die er zur Verfügung hat. Er hat da schon recht viel für das Gesundheitswesen herausgeholt, aber aufgrund von Lindners Blockadehaltung reicht es unter dem Strich nicht.

Müsste sich der Gesundheitsminister nicht stärker  gegen seinen Kollegen durchsetzen?

Jung: Die FDP ist der Bremsklotz. Sie verteidigt die Schuldenbremse und blockiert mehr Steuergelder für Leistungen, die gesamtgesellschaftliche Aufgaben sind. Wenn die Einnahmen also begrenzt sind und die Ausgaben aufgrund der demografischen Entwicklung und der steigenden Personal- und Sachkosten immer weiter anwachsen, dann ist das eine schwierige Lage.

Dennoch: Welche Alternativen zu steigenden Beitragssätzen schweben Ihnen konkret vor?

Jung: Der Staat sollte zum einem seinem Versprechen aus dem Koalitionsvertrag nachkommen, aus dem Haushalt höhere Pauschalen für die Empfänger von Bürgergeld zu bezahlen. Das ist eine nachvollziehbare Forderung der Krankenkassen. Zum anderen gibt es noch Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitswesen, die etwa durch die Krankenhausreform ein Stück weit gehoben werden sollen. Aber der große Teil des Geldes fließt eben in die älter werdende Gesellschaft. Die beste Maßnahme für eine solidarische Finanzierung der Ausgaben wäre meiner Ansicht nach daher weiterhin die Einführung einer Bürgerversicherung. Sie ist der Schlüssel, um die Bemessungsgrundlage zu verbreitern und eine ordentliche Finanzierung hinzukriegen. Die Bürgerinnen und Bürger können dafür nächstes Jahr bei der Bundestagswahl die Mehrheiten schaffen.

Zur Person

Dr. Magnus Jung (Jahrgang 1971) ist seit 2022 Minister für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit des Saarlandes. Der Politikwissenschaftler gehört bereits seit 2009 dem Landtag in Saarbrücken an. Er war mehrere Jahre stellvertretender SPD-Fraktionschef und zuletzt Vorsitzender des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie. Nach der Promotion in Berlin arbeitete der gebürtige Saarländer mehrere Jahre freiberuflich als Politik- und Medienberater sowie als Journalist und Dozent.

Porträt von Gesundheitsminister Magnus Jung
Dr. Magnus Jung, Minister für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit des Saarlandes

Kommen wir zur Pflegeversicherung als weitere Reformbaustelle.  Hier fehlt ebenfalls Geld. Was müssen Bestandteile eines Umbaus sein?

Jung: Das Allerwichtigste ist, dass es auch in Zukunft genügend Menschen gibt, die in diesem Sektor arbeiten wollen. Wir haben schon einen Pflegenotstand und wir müssen befürchten, dass sich dieser in den nächsten Jahren deutlich verschärft – womöglich hin zu einer echten Unterversorgung pflegebedürftiger Menschen. Daher muss sich jede Pflegereform an die Rahmenbedingungen heranmachen. Wir brauchen einen größeren Anteil von professioneller Pflege und auf der anderen Seite muss die häusliche Pflege unterstützt und durch Anreize gefördert werden.

Haben Sie ein Rezept gegen die rasant steigenden Eigenanteile von Heimbewohnern?
 
Jung: Zurzeit ist es so, dass der De-Facto-Anteil, der abgedeckt wird, durch die steigenden Ausgaben immer weiter sinkt. Wir müssen aber zur umgekehrten Verfahrensweise kommen, bei der der Eigenanteil gedeckelt wird und die Zuschüsse steigen. Das geht zum Beispiel in einem gestuften System, bei der die Förderung über die Dauer der Pflegebedürftigkeit zunimmt. Das wird allerdings nicht komplett aus Haushaltsmitteln gehen. Auch die Länder verfügen über keine großen finanziellen Möglichkeiten, die Kosten abzufedern. Am Ende müsste es deswegen auf eine Mischfinanzierung aus Steuergeldern und Beiträgen hinauslaufen. Eine wirklich gerechte Finanzierungsgrundlage kann aber auch hier nur eine Bürgerversicherung schaffen. Ich glaube zudem, dass wir mehr Prävention bei der Generation 60plus benötigen.

Um Pflegebedürftigkeit zu verhindern oder zumindest weit nach hinten zu schieben …
 
Jung: Ja, genau. Wir brauchen in den Kommunen beispielsweise Netzwerke, die gerade Menschen ab 60 unterstützen, sich gesünder zu verhalten Sport zu treiben, die Ernährung umzustellen, Einsamkeit zu vermeiden. Man kann mit 60 und 65 noch sehr viel dafür machen, Pflegebedürftigkeit in späteren Jahren zu verhindern. Mit dem Projekt „Saar 66“, bei dem wir als Land gemeinsam mit Kranken- und Pflegekassen sowie den Kommunen zusammenarbeiten, um mit professioneller Unterstützung neue Netzwerke und Hilfsmöglichkeiten vor Ort zu schaffen, werden wir unseren Beitrag dazu leisten.

„Wir haben schon einen Pflegenotstand und wir müssen befürchten, dass er zu einer echten Unterversorgung wird.“

Dr. Magnus Jung

Minister für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit des Saarlandes

Foto von Gesundheitsminister Magnus Jung, der eine edle Treppe herunterläuft
Offen für Gesundheitskioske: Magnus Jung hält die umstrittenen Einrichtungen für sinnvoll und würde bei dem Thema gerne im Saarland vorangehen.

Zu den offenen Reformprojekten zählt das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, wo es jetzt im Parlament darum geht, ob zunächst geplante und dann im Kabinettsentwurf entfallene Elemente wie die Gesundheitskioske und Gesundheitsregionen wieder aufgenommen werden …

Jung: Wir würden es im Saarland begrüßen, wenn es die Möglichkeit zu Gesundheitsregionen geben würde, bei denen Kommunen, Kassen und Kassenärztliche Vereinigungen kooperieren. Auch Gesundheitskioske wären gut. Anders als manche Standesvertreter sehen wir darin keine Konkurrenz zu Haus- und Fachärzten. Die Kioske sind eine Möglichkeit, besonders in benachteiligten Quartieren einen niedrigschwelligen Zugang zum Gesundheitswesen zu schaffen und die Gesundheitskompetenz zu stärken. Ich bin auch aufgeschlossen für ein Modellprojekt bei uns. Die teilweise sehr ideologisch aufgeladenen Diskussionen zu den Gesundheitskiosken bringen uns nicht weiter. Mich besorgt sehr, dass viele Menschen keinen Hausarzt mehr haben, weil sie die Notwendigkeit dafür nicht sehen. In der Pandemie haben wir aber gemerkt, wie problematisch es ist, wenn wir einen Teil der Bevölkerung nicht mehr niedrigschwellig erreichen können.

Ein anderer Grund, warum Patienten nicht zum Hausarzt gehen, kann sein, dass sie keinen finden oder der nächste Hausarzt zu weit weg ist. Wie ist die Situation im Saarland?

Jung: Bei uns kann jeder einen Mediziner finden und ihn auch erreichen. Wir haben zwei Versorgungsregionen von 13, in denen nach den Kriterien der Kassenärztlichen Vereinigung eine Unterversorgung droht, aber es handelt sich noch nicht um unterversorgtes Gebiet. Es gibt im Saarland ein erfolgreiches Landarztprogramm, bei der eine gewisse Quote der Studienplätze für Studierende reserviert wird, die sich verpflichten, nach der Fachausbildung als Landarzt zu arbeiten. Es existieren außerdem finanzielle Anreizprogramme – sowohl der KV als auch meines Ministeriums –, um Mediziner finanziell zu unterstützen, die sich als Hausarzt niederlassen. Nicht zu vergessen: Die Universität des Saarlandes bildet seit vielen Jahren im Verhältnis zur Größe des Bundeslandes überdurchschnittlich viele Medizinerinnen und Mediziner aus. Das kann Vorbild für andere Bundesländer sein, denn wir brauchen bundesweit eine Aufstockung der Medizinstudienplätze.

„Die Pandemie hat gezeigt: Es ist problematisch, wenn wir einen Teil der Bevölkerung nicht mehr niedrigschwellig erreichen können.“

Dr. Magnus Jung

Minister für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit des Saarlandes

Bei Arzneimitteln gibt es offenbar immer noch Lieferprobleme, auch bei Kinderarzneien, Fiebersäften, Krebstherapeutika. Hat das Lieferengpassgesetz von 2023 nichts gebracht?
 
Jung: Die Probleme sind hier, wie in vielen Feldern der Gesundheitspolitik, die Folge von Fehlentwicklungen unter der Merkel-Regierung. Vom Grundsatz her ist es völlig richtig, einen größeren Teil der Produktion wieder verpflichtend in Europa anzusiedeln, auch was die entsprechenden Vorprodukte betrifft. Wir wollen auch finanzielle Anreize schaffen für Generikahersteller, damit es sich wieder lohnt, in Deutschland zu produzieren. Da sich Dinge jahrelang in die falsche Richtung entwickelt haben, braucht es aber Zeit und ein bisschen Geduld, bis Verbesserungen im Alltag ankommen. Das geht nicht innerhalb weniger Monate. Ich weiß, dass meine Antwort keine gute Botschaft für diejenigen ist, die dringend auf ein Medikament warten.

Geht auch kurzfristig etwas in diesem Bereich?

Jung: Die Arzneimittelknappheit bei bestimmten Produkten gibt es in vielen europäischen Ländern, aber nicht in allen im selben Umfang wie in Deutschland. Was in anderen Staaten zur Verfügung steht, muss auch bei uns vorhanden sein. Allerdings ist das nicht zuletzt eine Preisfrage. Zur Not müssen wir in Deutschland bereit sein, etwas mehr zu bezahlen als bisher.

Foto von Gesundheitsminister Magnus Jung in seinem Büro
Von seinem Büro aus hält der saarländische Minister engen Kontakt zur Bundesregierung in Berlin und macht aus seinen politischen Vorstellungen keinen Hehl.

Sie haben schon die Bedeutung von Prävention bei über 60-Jährigen angesprochen. Passiert im Bereich der Vorsorge insgesamt genug, wenn man etwa an die vielen Kinder mit Übergewicht und die große Zahl lebensstilbedingter Krankheiten denkt?

Jung: Prävention ist ein bedeutendes, aber auch schwieriges Thema. Es reicht nicht aus, wenn wir im Rahmen von Programmen oder Kursen den Menschen mit erhobenem Zeigefinger sagen, was ungesund ist und wie man sich besser ernähren soll, oder dass mehr Sport nötig ist. Das ist zwar auch wichtig, wir erreichen damit aber nicht alle. Wir brauchen einen grundlegenden sozialpolitischen Ansatz. Wir müssen zum Beispiel im Gesundheitswesen mehr in die Elternbildung investieren. Notwendig ist zudem eine stärkere Vernetzung von Kinder- und Jugendhilfe mit dem Gesundheitswesen, wodurch etwa Modelle zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention bei Kindern, Jugendlichen und in Familien entstehen könnten. Mich treiben auch die vielen psychischen Erkrankungen um. Politik und Gesellschaft müssen sich selbstkritisch mit den Ursachen für die Zunahme in diesem Bereich auseinandersetzen. Die Art und Weise, wie wir leben und zusammenleben, wie das Arbeitsleben gestaltet ist, scheint offensichtlich viele Menschen krank zu machen. Es nützt nichts, wenn wir hier der Entwicklung stets hinterherlaufen. Es gibt keine Gesetzmäßigkeit, wonach die Zahl der psychischen Erkrankungen immer weiter anwachsen muss.

Viele Dinge laufen schon in der Kindheit falsch …

Jung: In der Tat werden für viele Krankheiten im späteren Leben, gerade auch psychischer Art, in der Kindheit die Grundlagen gelegt. Wir müssen deshalb den Kinderschutz erhöhen. Wenn ich mir vor diesem Hintergrund die Weigerung vieler Politiker ansehe, in die Kindergrundsicherung zu investieren, kann ich mir nur an den Kopf fassen.

Abschließend: Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit der Arbeit Ihres Parteikollegen Lauterbach?
 
Jung: Nahezu alle Schwierigkeiten, die wir im deutschen Gesundheitswesen haben, gehen auf die Gesundheitspolitik der Ressortminister unter Angela Merkel zurück. Der Bundesgesundheitsminister macht im Prinzip nichts anderes, als die Fehlentwicklungen und unterlassenen Reformen der Vergangenheit in einem Wahnsinnstempo aufzuarbeiten – und das gegen erhebliche Widerstände. Ich finde, dass er unter sehr schwierigen Rahmenbedingungen ein sehr engagierter und guter Minister ist. Wer viel macht, macht zwangsläufig nicht immer alles richtig. Aber wir sollten ihn an den Ergebnissen der Reformen messen, die er durchs Parlament bringt.

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