„Im Moment ist die Versicherung eher eine Sozialleistung“
Vor mehr als zehn Jahren legte Pakistan mit dem Sehat-Sahulat-Programm den Grundstein für eine soziale Krankenversicherung. Anders als in Deutschland finanziert sie sich allerdings kaum über Beiträge, sondern über den Staat. Daher hängt das Projekt von den politischen Prioritäten ab, sagt Michael Niechzial.
Herr Professor Niechzial, Sie unterstützen mit Ihrer Beratungsfirma m4h im Auftrag der KfW-Entwicklungsbank seit einigen Jahren Pakistan beim Aufbau einer sozialen Krankenversicherung. Wo liegen die größten Herausforderungen dieses Vorhabens?
Prof. Dr. Michael Niechzial: Zunächst geht es um die Anpassung des ursprünglichen Konzepts einer sozialen, auf dem Solidaritätsprinzip beruhenden Versicherung auf Gegenseitigkeit in einem Land, in dem ein Drittel der Bevölkerung, über 70 Millionen Menschen, weniger als zwei Dollar pro Tag zum Leben hat. Wie sollen sie damit Versicherungsbeiträge aufbringen? Im Moment ist die Versicherung eher eine Sozialleistung, um dem Anspruch einer adäquaten Gesundheitsversorgung für alle gerecht werden zu können.
Zurzeit finanziert der Staatshaushalt die Beiträge mit Unterstützung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, darunter über die KfW 20 Millionen Euro der Bundesregierung für zehn Jahre. Anders als bei einer echten, vom Staat weitgehend unabhängigen Versicherung wie in Deutschland hängt die Finanzierung von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage des Landes und politischen Prioritäten ab. Ein Zusammenbruch des Systems ist nur über eine Begrenzung des Leistungspakets zu vermeiden, und Zuzahlungen der Patienten – auch der Armen – werden weiterhin notwendig bleiben. Die richtige Balance zwischen lebensrettenden und weniger notwendigen Leistungen zu finden, ist ein schwieriger und langer Prozess, bei dem es immer wieder Kompromisse geben muss.
Mit welchen Partnern arbeiten Sie vor Ort zusammen?
Prof. Dr. Niechzial: Im Wesentlichen gibt es fünf Beteiligte: die Gesundheitsministerien in den Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Gilgit Baltistan, die Regionalbüros des parastaatlichen Sehat-Sahulat-Programms, die öffentlichen und privaten Krankenhäuser sowie Gesundheitszentren und Praxen als Vertragspartner der Versicherung, die Staatliche Lebensversicherungsgesellschaft SLIC und die Versicherten.
In enger Abstimmung mit den Gesundheitsministerien unterstützt unser Team die Versicherung bei der Festlegung des Leistungspakets, der Vergütungsregeln und -modalitäten, bei der Aus- und Weiterbildung des Personals in den Versicherungsbüros wie bei den Leistungserbringern, bei der Evaluierung des Einflusses der Versicherung auf den Zugang zu qualitativ höherwertiger Gesundheitsversorgung und bei der Werbekampagne für die Krankenversicherung.
Wo liegt der Schwerpunkt der pakistanischen sozialen Krankenversicherung?
Prof. Dr. Niechzial: Am Anfang lag der Schwerpunkt auf der stationären Versorgung, um die Menschen vor ruinierenden Gesundheitsausgaben zu schützen, die sie in Schulden und Armut stürzen und zum Verkauf von letztem Hab und Gut zwingen, wenn sie sich überhaupt eine Operation oder aufwendige Behandlung leisten können. Später hat sich gezeigt, dass insbesondere arme Haushalte vorwiegend durch die ambulante Behandlung chronischer Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Asthma belastet sind. Vor allem die Ausgaben für Arzneimittel schlagen in der Familienkasse zu Buche, und oft nehmen die Patientinnen und Patienten ihre Medikamente nur unzureichend oder gar nicht ein. Daher versuchen wir nun in der zweiten Phase des von der KfW-Bank unterstützten Vorhabens, den Versicherungsschutz auf ambulante Behandlungen auszuweiten. Dies ist dringend erforderlich und wird die Versorgung in Pakistan erheblich verbessern.
Wo sehen Sie die soziale Absicherung in Pakistan in zehn Jahren? Wird das Land die universelle Absicherung im Krankheitsfall erreichen?
Prof. Dr. Niechzial: Sicherlich keine universelle Absicherung, wie wir sie aus Deutschland kennen. In zehn Jahren wird die Bevölkerung in Pakistan auf fast 290 Millionen Menschen anwachsen. Vor allem wird sich die Zahl der über 65-Jährigen fast verdoppeln und damit der Bedarf an medizinischer Versorgung steigen. Ob sich Pakistan das wirtschaftlich leisten kann, hängt von vielen, auch globalen Faktoren und der Klimaentwicklung ab. Wenn es gelingt, dauerhaft zumindest eine Grundversorgung für die gesamte Bevölkerung, einschließlich der Armen, sicherzustellen, dann ist schon viel erreicht.
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