Reine Luft schützt kleine Kinder
Umweltzonen in Großstädten führen zu geringerer Feinstaubbelastung. Die Gesundheit von Kindern verbessert sich daraufhin langfristig, wie eine aktuelle Studie auf Basis von Krankenkassen-Daten belegt.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben Kinder ein grundlegendes Menschenrecht auf saubere Luft in ihren Wohnungen, Schulen und Gemeinden. In mehreren Abschlusserklärungen ruft der Ausschuss für Kinderrechte der Vereinten Nationen die Nationalstaaten dazu auf, dringend Maßnahmen zum Schutz vor verschmutzter Luft zu implementieren. Dennoch atmen laut WHO über 90 Prozent aller Kinder unter 15 Jahren weltweit jeden Tag Luft ein, die so verschmutzt ist, dass sie ihre Gesundheit und Entwicklung ernsthaft gefährdet.
An den Folgen verstarben bereits im Jahr 2016 etwa 600.000 Kinder vorzeitig. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht davon aus, dass Luftverschmutzung bis 2050 zur wichtigsten umweltbedingten Ursache für verfrühte Todesfälle wird.
Verkehrspolitik zum Gesundheitsschutz
Luftschadstoffe werden hauptsächlich durch industrielle und landwirtschaftliche Aktivitäten, den Verkehr und die Verstädterung emittiert. Sie sind also menschengemacht und damit grundsätzlich vermeidbar. Im städtischen Raum ist das hohe Verkehrsaufkommen eine Hauptemissionsquelle. Verkehrspolitische Entscheidungen wie Fahrverbote, Geschwindigkeitsbegrenzungen oder der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs können also auch zum Gesundheitsschutz beitragen.
In den öffentlichen Debatten stehen jedoch oft die Kosten solcher Maßnahmen im Vordergrund. Ein Grund liegt darin, dass Ausgaben beispielsweise für die Aufrüstung von Fahrzeugen, längere Reiserouten oder Infrastruktur direkt ersichtlich sind.
Die Antworten auf die Fragen, wann, für wen und in welchem Umfang ein gesundheitlicher Nutzen eintritt, bleiben hingegen ungewiss. Es entsteht eine Informationsasymmetrie zwischen den Kosten und Nutzen der Maßnahmen.
Kausalen Zusammenhang herstellen
Doch warum ist der gesundheitliche Nutzen einer verbesserten Luftqualität so schlecht greifbar? Luftschadstoffe umgeben uns ständig, sie sind meistens unsichtbar und die gesundheitlichen Folgen entstehen oft erst über längere Zeiträume. Außerdem gibt es viele Faktoren, die sich auf die Gesundheit auswirken und die sich nur schwer von der Luftschadstoff-Exposition trennen lassen. Das macht es herausfordernd, gesundheitliche Beschwerden in einen kausalen Zusammenhang mit einer minderen Luftqualität zu bringen.
Tatsächlich kam es im Jahr 2020 zu einem bedeutenden Rechtsfall, als bei der neunjährigen Ella Adoo-Kissi-Debrah als erster Person im Vereinigten Königreich Luftverschmutzung offiziell als mitverantwortlich für den Tod anerkannt wurde. Sie lebte in der Nähe einer stark befahrenen Straße in London und starb an einem Asthmaanfall.
Um trotz aller methodischen Herausforderungen kausale Zusammenhänge empirisch belegen zu können, betrachten die meisten wissenschaftlichen Studien genau solche Fälle. Dabei werden gravierende Gesundheitsschäden anhand von Mortalitäts- oder Hospitalisierungsraten gemessen, die unmittelbar, also kurz nach einer veränderten Schadstoffkonzentration, sichtbar werden.
Aufgrund methodischer Herausforderungen und mangelnder Daten werden subtilere und langsam entstehende Gesundheitsschäden dagegen deutlich seltener in Studien abgebildet. Die existierenden Berechnungen zu den sozialen Kosten der Luftverschmutzung stellen daher sehr wahrscheinlich eine grobe Unterschätzung dar. Insbesondere aber wissen wir wenig darüber, über welchen Zeitraum sich schwere Gesundheitsschäden mit Klinikeinweisungen oder gar Sterbefälle anbahnen, bevor sie erkennbar werden. Auch Ella Adoo-Kissi-Debrah erkrankte bereits Jahre vor ihrem Tod an Asthma und litt unter wiederkehrenden Atemwegsbeschwerden. Ein besseres Verständnis der Entwicklung gesundheitlicher Schäden kann helfen, diesen gezielt und rechtzeitig entgegenzuwirken.
„Gesundheitsschäden, die mit Verzögerung eintreten, und die damit verbundenen sozialen Kosten werden vermutlich deutlich unterschätzt.“
Volkswirtin
Effekte von Umweltzonen untersucht
Eine 2024 im American Economic Journal: Economic Policy erschienene wissenschaftliche Studie beleuchtet, wie sich die Einführung von Umweltzonen auf die Luftqualität und das Auftreten von Gesundheitsschäden bei Kindern auswirkt. Umweltzonen verbieten Fahrzeugen mit hohen Emissionswerten das Befahren abgegrenzter städtischer Gebiete und tragen damit zu einer verbesserten Luftqualität bei.
Die zeitversetzte Einführung der Umweltzonen in vielen deutschen Städten seit 2008 erlaubt es, die gesundheitlichen Folgen dieser Maßnahme in einem Experiment-ähnlichen Forschungsdesign zu untersuchen. Ziel war es dabei, bereits subtile Gesundheitseffekte zu erfassen, die in Mortalitäts- und Hospitalisierungsstatistiken verborgen bleiben. Zudem ging es darum, den Entstehungszeitraum dieser Effekte zu beleuchten und die Persistenz von einmal entstandenen Gesundheitseffekten zu messen.
Mittels kausalanalytischer Methoden wurde hierfür zunächst festgestellt, wie sich die Umweltzonen bei neugeborenen Kindern auf die Luftschadstoff-Exposition während der Schwangerschaft und dem ersten Lebensjahr ausgewirkt haben. Über das gesamte Vorschulalter der Kinder wurden dann Gesundheitsveränderungen quantifiziert, die sich auf diese veränderte Exposition zurückführen ließen.
Weniger Kinder erkranken an Asthma
Um bereits subtile Effekte messen zu können, wurde ein umfassender pseudonymisierter Mikrodatensatz der gesetzlichen Krankenversicherung zu allen Medikamentenverschreibungen für Asthma und anderen Atemwegserkrankungen genutzt. Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) stellte diesen Datensatz zur Verfügung. Er schließt etwa ein Drittel aller Kinder in Deutschland ein, die im Zeitraum 2006 bis 2012 geboren wurden. Im Folgenden werden die wichtigsten Erkenntnisse der Studie vorgestellt.
Schon geringe Verbesserungen der Luftqualität bei bereits niedrigen Schadstoffausgangswerten haben nach Ergebnissen der Studie einen erheblichen Einfluss auf die Gesundheit von Kindern. Betrachtet wird dabei die als Feinstaub (PM10) bezeichnete Staubfraktion. Sie besteht aus Schwebstoffen mit einem Durchmesser von unter zehn Mikrometern. Diese Partikel sind klein genug, um eingeatmet und in der Lunge abgelagert zu werden. Kleinste Partikel gelangen sogar bis in die Blutbahn.
Die Einführung der Umweltzonen führte im Mittel zu einer Reduktion der PM10-Feinstaubkonzentration um etwa 1,3 Mikrogramm pro Kubikmeter, eine relative Änderung von etwa minus fünf Prozent. Für Kinder, die während der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr von dieser leicht verbesserten Luftqualität profitierten, sanken die Verschreibungen von Asthma-Medikamenten während ihrer Vorschulzeit um etwa 13 Prozent und die damit verbundenen Kosten um etwa 21 Prozent. Durch die verbesserte Luft erkrankten insgesamt weniger Kinder an Asthma und auch aufgrund anderer Atemwegserkrankungen waren weniger Medikamente erforderlich.
Umweltzonen für bessere Luftqualität
Umweltzonen sind geografisch abgegrenzte Gebiete, oft in hochfrequentierten Innenstädten, in denen der Verkehr von Fahrzeugen mit hohen Schadstoff-Emissionen eingeschränkt ist. Ziel dieser Zonen ist es, die Luftqualität zu verbessern und gesundheitsschädliche Schadstoffbelastungen wie Feinstaub und Stickoxide zu reduzieren. Fahrzeuge dürfen nur dann in eine Umweltzone einfahren, wenn sie eine spezielle Plakette an der Windschutzscheibe aufweisen, die anzeigt, dass sie die festgelegten Emissionsgrenzwerte einhalten.
(Hannah Klauber)
Positive Effekte halten langfristig an
Die Gesundheitseffekte werden erst mit Verzögerung ab dem zweiten Lebensjahr der Kinder sichtbar. Die verbesserte Luftqualität führte nicht unmittelbar, sondern im Jahr nach der Exposition zu einer Reduktion der Arzneimittelverschreibungen. Das zeigt, wie wichtig die Berücksichtigung des zeitlichen Verlaufes bei Gesundheitsveränderungen ist. So konnten andere Studien, welche beispielsweise die Gesundheit von Säuglingen auf Basis ihres Gewichts unmittelbar nach der Geburt untersucht haben, keine statistisch signifikanten Verbesserungen durch die Umweltzonen feststellen. Um Effekte nicht zu übersehen, ist zu berücksichtigen, dass sie sich möglicherweise erst mittel- und langfristig messen lassen.
Die Verbesserung der Luftqualität im ersten Lebensjahr hat einen dauerhaft anhaltenden positiven gesundheitlichen Effekt. Der geringere Medikamentenbedarf blieb über die ersten fünf Lebensjahre – der in der Studie betrachtete Zeitraum – bestehen. Die bessere Gesundheit in diesen frühen Entwicklungsjahren kann für den weiteren Verlauf des Lebens der Kinder weitreichende Folgen haben. Einige Studien liefern Evidenz dafür, dass Kinder, die in ihrer ersten Lebensphase einer schlechteren Luftqualität ausgesetzt waren, in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Ergebnisse erzielten.
Gesundheitskosten sinken
Die aktuelle Studie auf Basis der Krankenkassen-Daten bietet neue Antworten auf die Fragen, für wen, wann und in welchem Umfang ein gesundheitlicher Nutzen durch die Einführung von Umweltzonen eintritt und welche Kosten damit einhergehen. Für die gesetzlichen Krankenkassen ergeben sich Einsparungen, die etwa ein Viertel der hypothetischen Kosten abdecken, die Besitzer von Fahrzeugen, die nicht den Standards der Umweltzonen entsprechen, in die Aufrüstung ihrer Autos investieren müssen.
Weitere gesundheitsbezogene Einsparungen durch Umweltzonen ergeben sich daraus, dass der reduzierte Medikamentenbedarf bei Kindern über das Vorschulalter hinaus fortbestehen und sich auf weitere Medikamente erstrecken kann. Darüber hinaus kann es zu zusätzlichen Ersparnissen im Gesundheitssystem kommen, insbesondere wenn eine verbesserte Atemwegsgesundheit präventiv auf Klinikeinweisungen und verfrühte Sterbefälle wirkt.
Die Erkenntnis, dass allein der in der Studie betrachtete Gesundheitsnutzen einen erheblichen Teil der Einführungskosten der Umweltzonen wettmacht, ermöglicht eine umfassendere Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses dieser Maßnahme. Auch prospektiv sollte sie Anlass geben, mögliche Gesundheitsvorteile von Fahrbeschränkungen in Städten umfänglicher zu berücksichtigen. Umweltzonen sind bereits weit verbreitet: Mehr als 200 europäische Städte haben sie eingerichtet. Laut Umweltbundesamt erzielen die aktuellen Abgasstandards der deutschen Zonen wegen der inzwischen moderneren Fahrzeugflotte jedoch nur noch einen geringen Effekt. Ihre Ausweitung und Verschärfung wird deshalb regelmäßig kontrovers diskutiert. Gleichzeitig haben einzelne Städte ihre Umweltzone wieder abgeschafft.
Die Studie verdeutlicht außerdem, wie anfällig Kinder für Gesundheitsschäden durch schlechte Luftqualität sind. Aufgrund ihrer schnelleren Atmung und der geringen Körpergröße nehmen sie mehr Luftschadstoffe auf als Erwachsene, während ihr Immunsystem noch nicht ausgereift ist.
Da Kinder sich nicht selbst schützen oder für ihren Schutz einsetzen können, besteht eine besondere Fürsorgepflicht. Sie sollte durch politische Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität wahrgenommen werden. Auf institutioneller und individueller Ebene kann es zusätzlich sinnvoll sein, Eltern, Einrichtungen zur Kinderbetreuung und Gesundheitspersonal besser über Möglichkeiten zum Schutz von Kindern vor den langfristigen Folgen schlechter Luftqualität zu informieren. Beispielsweise kann der Einsatz von Luftfiltern helfen, die Luftqualität gezielt an Orten zu verbessern, an denen sich Neugeborene und Kleinkinder vermehrt aufhalten.
„Da Kinder sich nicht selbst schützen oder für ihren Schutz einsetzen können, besteht eine besondere Fürsorgepflicht.“
Volkswirtin
Präzise Analysen erforderlich
Die Ergebnisse legen zudem nahe, dass eine präzisere Analyse der Entstehung von Gesundheitsfolgen grundsätzlich erforderlich ist, nicht nur in Deutschland und mit Blick auf die Umweltzonen. Schäden, die sich erst mit Verzögerung manifestieren und nicht unmittelbar zu einer Hospitalisierung oder einem vorzeitigen Tod führen, und die damit verbundenen sozialen Kosten werden momentan in der Bewertung zukünftiger Herausforderungen vermutlich deutlich unterschätzt.
Bis Mitte des 21. Jahrhunderts werden voraussichtlich fast 70 Prozent der Menschheit in Städten leben – also an besonders Luftschadstoff-belasteten Orten. Mit steigenden Temperaturen aufgrund des Klimawandels erhöht sich unter anderem das Risiko des Auftretens von Waldbränden, die toxische Schadstoffe in großen Mengen in die Luft abgeben. Die Belastungen durch Luftverschmutzung sind dabei sehr ungleich verteilt.
Im Jahr 2019 ereigneten sich 89 Prozent der vorzeitigen Todesfälle durch Luftverschmutzung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Selbst in einem Land wie Deutschland, mit vergleichsweise guter Luft und einem starken Gesundheitssystem, können durch zusätzliche Schadstoffreduktionen bedeutende gesundheitliche Verbesserungen erzielt werden. Das unterstreicht den potenziell großen Gesundheitsnutzen von Verbesserungen der Luftqualität in stärker betroffenen Ländern der Welt.
Appell der Vereinten Nationen untermauert
Insgesamt zeigt die Studie deutlich, wie prägend bereits geringfügige Veränderungen der Luftqualität im frühen Lebensalter sein können. Sie unterstreicht, dass es die zeitliche Entwicklung von Gesundheitsschäden zu berücksichtigen gilt, um sie nicht zu unterschätzen oder gänzlich zu übersehen. Bereits die Reduktion um knapp ein Mikrogramm Feinstaub kann die gesundheitliche Entwicklung eines Neugeborenen nachhaltig verbessern. Damit untermauert die aktuelle Studie den eindringlichen Appell des Ausschusses für Kinderrechte der Vereinten Nationen, Maßnahmen zum Schutz vor verschmutzter Luft zu implementieren.
Mitwirkende des Beitrags
Autorin
Datenschutzhinweis
Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.
Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.