Gesundheit in der Klimakrise
Steigende Temperaturen bedrohen nicht nur langfristig die Lebensgrundlagen der Menschen. Sie wirken sich schon jetzt auf die Gesundheit aus. Kliniken, Arztpraxen und Kommunen stellen sich langsam darauf ein. Doch die Anpassungen müssen weiter gehen, damit das Gesundheitssystem dem Klimawandel begegnen kann.
Es war ein aufsehenerregender Alarmruf: Mehr als 200 medizinische Fachzeitschriften veröffentlichten Ende Oktober 2023 einen wortgleichen Leitartikel. Die Klimakrise sei zusammen mit dem weltweiten Artensterben inzwischen eine akute Bedrohung für die menschliche Gesundheit, so die Autorinnen und Autoren. „Steigende Temperaturen, Extremwetter-Ereignisse, Luftverschmutzung und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten sind einige der bedeutenden Gesundheitsgefahren, die der Klimawandel verschärft“, heißt es in dem Text. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) solle daher den „Globalen Gesundheitsnotfall“ ausrufen.
In der Tat zeigt sich mit jedem heißen Jahr – 2023 wird vorläufigen Daten zufolge wieder einen Rekord markieren – deutlicher, wie sehr der Klimawandel Anzahl und Schwere von Krankheitsfällen verstärkt, auch in Deutschland. Und wie mangelhaft das Gesundheitssystem darauf vorbereitet ist. „Eine echte Hitzewelle, die länger als zwei oder drei Tage dauert, kann unser Gesundheitssystem aktuell nicht auffangen“, warnt etwa Dr. Peter Bobbert, Präsident der Berliner Ärztekammer.
Erderhitzung hat vielfältige Folgen
Im dreibändigen Bericht „Klimawandel und Gesundheit“ hat das Robert-Koch-Institut (RKI) 2023 den Stand der Forschung zusammengetragen (siehe weiterführende Links). Hitze, darüber herrscht Konsens in der Fachwelt, ist die größte tödliche Gefahr. Die menschengemachten Treibhausgase führen dazu, dass sich Hitzeperioden häufen, länger andauern und höhere Spitzentemperaturen erreichen. Für den menschlichen Körper ist das ein existenzielles Problem: Je heißer und feuchter die Umgebung, desto schwerer kann er seine Temperatur regulieren. Ältere Menschen oder solche mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen kommen da schnell an ihre Grenzen, aber auch junge und fitte Menschen sind gefährdet. In heißen Sommern sterben in Deutschland regelmäßig tausende Menschen (siehe Abbildung „Geschätze Anzahl hitzebedingter Sterbefälle“). In den kommenden Jahrzehnten wird sich das Problem drastisch verschärfen, einerseits durch den fortschreitenden Klimawandel, andererseits durch die alternde Bevölkerung.
Studien zu Gesundheitsrisiken, die direkt oder indirekt aus hohen Temperaturen folgen, füllen ganze Bibliotheken: Bei Lungenkrankheiten wie Asthma oder COPD verstärken sich die Beschwerden, wenn es heiß ist, ebenso bei Multipler Sklerose. Hitze erhöht das Risiko für Frühgeburten, wie etwa eine Langzeitstudie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zeigte. An heißen Tagen werden mehr alte Menschen und kleine Kinder in Kliniken eingeliefert, wies der Landesverband Nordwest der Betriebskrankenkassen auf der Basis der Daten von zehn Millionen Versicherten nach. Aber auch andere klimabedingte Wetterextreme können tödlich sein, beispielsweise Überschwemmungen infolge von Starkregenfällen, die aufgrund der Erderhitzung ebenfalls häufiger und heftiger werden. Spätestens seit der Katastrophe im Ahrtal 2021 braucht man das in Deutschland niemandem mehr zu erklären.
Tropenkrankheiten breiten sich aus
Der RKI-Report zählt weitere acht Bereiche auf, in denen Temperaturanstieg und andere Aspekte des Klimawandels indirekte Folgen für die Gesundheit haben. Zum Beispiel nehmen Allergien zu, etwa weil die Pollenflugsaison sich durch einen früheren Frühjahrsbeginn und die Einwanderung neuer Pflanzenarten erheblich verlängert. Heißere Sommer und mildere Winter führen dazu, dass tropische Krankheiten – etwa durch Viren wie Dengue, Zika und Chikungunya ausgelöst – hierzulande zur Gefahr werden. Neue Überträger wie die Asiatische Tigermücke dringen nach Norden vor. Ohne stärkeren Klimaschutz werde sie in einigen Jahrzehnten in ganz Deutschland geeignete Lebensbedingungen vorfinden, so Modellrechnungen an der Universität Frankfurt/Main. Das West-Nil-Virus hat in den vergangenen Jahren in einigen Regionen Ostdeutschlands bereits einzelne schwere Erkrankungen und ein erstes Todesopfer gefordert. Es braucht keine exotischen Mücken, sondern kann in heißen Sommern durch heimische Arten übertragen werden.
Auch Zecken und die von ihr übertragene Hirnhaut-Entzündung FSME breiten sich aus. „Damit sie im Winter nicht überlebt, braucht es richtig knackig tiefe Temperaturen, die auch einmal wochenlang andauern“, erklärt Professorin Ute Mackenstedt von der Universität Hohenheim. „Da tiefe Temperaturen von minus 15 Grad durch den Klimawandel seltener werden, sind Zecken nun auch in den Wintermonaten aktiv.“ Andere Infektionsrisiken werden ebenfalls größer: Weil sich etwa die Ostsee erwärmt, gedeihen dort Vibrionen besser. Diese Bakterien können Wundinfektionen oder Magen-Darm-Beschwerden verursachen. Auch Lebensmittelvergiftungen nehmen bei Hitze zu: Krankheitsfälle durch Salmonellen werden pro Grad Celsius höherer Lufttemperatur linear um fünf bis zehn Prozent häufiger. Und findet eine Operation an einem heißen Tag statt, ist es deutlich wahrscheinlicher, dass sich hinterher die Operationswunde entzündet, wie eine Analyse von Daten aus den Jahren 2000 bis 2016 zeigt. Besonders fatal: Der Klimawandel führt auch zu vermehrten Antibiotika-Resistenzen.
Zahlreiche Studien belegen zudem negative Folgen des Klimawandels für die Psyche. Nach Extremwetter-Katastrophen werden oft Traumata und Depressionen beobachtet. Hohe Temperaturen werden mit einem Anstieg des Suizidrisikos in Verbindung gebracht – und mit höherer Aggressivität und Kriminalität: Laut Daten aus US-amerikanischen Städten nimmt an heißen Tagen beispielsweise die Zahl von Körperverletzungen, Morddelikten und Vergewaltigungen zu.
Ressortübergreifende Zusammenarbeit
Noch vor ein paar Jahren spielten diese Zusammenhänge in der Gesundheitspolitik kaum eine Rolle. Auf Regierungs- und Behördenebene waren vor allem das Umweltministerium und das Umweltbundesamt aktiv. Doch das hat sich geändert. Gesundheitsminister Professor Karl Lauterbach hat zum Beispiel den Hitzeschutz zur Chefsache gemacht. Regierungsintern soll seit diesem Herbst eine „Interministerielle Arbeitsgruppe“ auch alle anderen relevanten Ressorts – vom Arbeits- über das Forschungs- bis zum Verkehrsministerium – in Bewegung bringen. Das Gesundheitsministerium hat Informationskampagnen angeschoben (klima-mensch-gesundheit.de) und einen „Klimapakt Gesundheit“ mit den Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen sowie den Bundesländern und kommunalen Verbänden beschlossen. In diesem Pakt geht es sowohl um Klimaanpassung als auch um Klimaschutz – der Gesundheitssektor trägt mit rund fünf Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen selbst erheblich zum Problem bei.
Veränderungen vollziehen sich langsam
Dr. Henny Annette Grewe, Professorin im Ruhestand an der Hochschule Fulda, forscht seit langem zu Hitzegefahren und berät Politik und Behörden. „In den letzten zwei bis drei Jahren ist das Bewusstsein deutlich gewachsen“, sagt sie. Doch konkrete Veränderungen vollzögen sich zu langsam. „Es gibt im Gesundheitssektor inzwischen ein breites Verständnis davon, was mit der Klimakrise auf uns zukommt“, meint auch Dr. Christian Schulz, Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klima und Gesundheit (KLUG). „Bei den Strukturen aber sind wir noch nicht wesentlich weiter, am ehesten noch beim Thema Hitze.“
Hitzeschutzpläne lassen auf sich warten
Ein grundlegender Schritt für besseren Schutz wären sogenannte Hitzeaktionspläne (HAP) – entweder auf staatlicher Ebene, in Bund, Ländern und Kommunen, aber ebenso bei Institutionen, etwa in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen. Grewe hat gemeinsam mit dem Institut Adelphi für das Umweltbundesamt kürzlich den aktuellen Stand untersucht (umweltbundesamt.de > Publikationen > Analyse von Hitzeaktionsplänen und gesundheitlichen Anpassungsmaßnahmen an Hitzeextreme in Deutschland). Das Ergebnis war eher mau. Zwar gibt es schon seit 2017 detaillierte Empfehlungen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, was Hitzepläne enthalten sollten. Doch laut Grewe hat bislang erst ein einziges Bundesland – Hessen, das beim Thema schon länger Vorreiter ist – einen HAP verabschiedet. Von einigen weiteren Ländern – Bayern, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Thüringen etwa – ist bekannt, dass sie immerhin daran arbeiten. Ähnlich ist das Bild auf kommunaler Ebene. Bereits beschlossene und fundierte Pläne gibt es erst in wenigen Gemeinden und Landkreisen. Als beispielhaft gilt Mannheim. In vielen weiteren Orten ist zwar ein HAP in Vorbereitung. Doch der Begriff, vermerkt die UBA-Untersuchung kritisch, „wird von Kommunen unterschiedlich ausgelegt“, es bleibe „unklar, ob damit die Kriterien eines wirksamen Schutzes erfüllt sind“.
Mehr Verbindlichkeit in der Klimaanpassung
Die Analyse benennt auch, woran es hakt. So sei das deutsche Gesundheitssystem sehr komplex, die Verantwortlichkeiten zersplittert. Zudem sind für besseren Hitzeschutz Veränderungen in unzähligen Bereichen nötig, etwa bei Bauvorschriften oder den Prioritäten der Stadtentwicklung. Doch das ist langwierig und teuer.
Apropos Geld: Mangel an Personal und Budget ist laut der UBA-Analyse die größte Hürde auf kommunaler Ebene. Deshalb solle Hitzeschutz vom Gesetzgeber als kommunale Pflichtaufgabe definiert werden – ansonsten habe er in der Praxis zu oft das Nachsehen, heißt es in der UBA-Analyse. Immerhin ist im neuen Klima-Anpassungsgesetz, das die Ampelkoalition Mitte November 2023 im Bundestag beschlossen hat, die flächendeckende Erarbeitung von „Klimaanpassungskonzepten“ festgeschrieben. Dass ein solches Konzept Maßnahmen zur Hitzevorsorge enthält, ist jedoch nicht verpflichtend – im Gesetz ist lediglich von „sollte möglichst“ die Rede. An einem anderen Punkt wurde der Gesetzentwurf jedoch ergänzt, wie es ein breites Bündnis aus Wissenschaft, Gesundheits- und Sozialverbänden gefordert hatte: Nicht nur das Thema Gesundheit muss nun in der geplanten Klimaanpassungsstrategie des Bundes explizit berücksichtigt werden, sondern auch die Bereiche Pflege, vulnerable Gruppen und Arbeitsschutz.
Pilotprojekte auf regionaler Ebene
Am meisten sei in der Ärzteschaft passiert, meint Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Professorin für Umweltmedizin an der Universität Augsburg, wenn man sie nach Fortschritten in Sachen Klimawandel und Gesundheit fragt (siehe Interview). In der Tat hat die Bundesärztekammer einen eigenen Ausschuss zum Thema eingerichtet, auf dem Ärztetag wurde es mehrfach beraten, und der Verband findet klare Worte: „In Anbetracht der massiven Gesundheitsgefährdung durch Hitze ist es Ausdruck der ärztlichen Ethik, sich aktiv für Hitzeschutz einzusetzen“, heißt es in einem Positionspapier vom Februar 2023. Auf fünf Seiten wird der Anspruch dann ausbuchstabiert: So sollen sich Ärztinnen und Ärzte um Hitzevorsorge in Kliniken und eigenen Praxen kümmern, Klima und Gesundheit sollen künftig stärker in Aus- und Weiterbildung thematisiert werden, und ganz konkret sollen Ärzte während Hitzewellen die Medikamentenpläne ihrer Patientinnen und Patienten überprüfen, weil hohe Temperaturen bei vielen Arzneien die Wirkung im Körper verändern.
In Pilotprojekten und auf regionaler Ebene wird sichtbar, was alles möglich wäre bei der Klimaanpassung. In Baden-Württemberg zum Beispiel haben AOK und Hausärzteverband vereinbart, dass die Beratung chronisch Kranker zur Hitzevorsorge mit einem Extrahonorar belohnt wird. Im Präventionsleitfaden des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung ist seit kurzem die Möglichkeit verankert, Kommunen bei der Erarbeitung von Hitzeaktionsplänen zu fördern. Erste Projekte wurden bereits bewilligt; so erhalten in Brandenburg der Landkreis Barnim und die Stadt Potsdam über zwei Jahre je 50.000 Euro.
Geschätzte Anzahl hitzebedingter Sterbefälle
Monitoring verbessern
Um in Hitzewellen schnell reagieren zu können, sind aktuelle Daten zur Krankheitslage hilfreich. Früher gab es so etwas in Deutschland nicht. Allenfalls im Rückblick für ein ganzes Jahr publizierten Forscherinnen und Forscher des RKI zum Beispiel Zahlen zu Hitzetoten. Seit diesem Jahr liefert das Institut während der Sommermonate wöchentliche Mortalitätsstatistiken.
Doch das ist immer noch weit entfernt vom Standard etwa in Frankreich. Dort wurde nach der verheerenden europäischen Hitzewelle von 2003 konsequent gehandelt. Die Regierung erließ einen „Plan National Canicule“, der etwa in allen Altenheimen mindestens einen gekühlten Raum verordnet. In Frankreich wurde so auch ein Surveillance-System aufgebaut, in dem die Notaufnahmen von 600 Krankenhäusern täglich Daten zu hitzebedingten Krankheitsfällen an das zentrale Institut für Gesundheitsüberwachung melden. Dort werden sie innerhalb von 24 Stunden ausgewertet, etwa nach Regionen oder soziodemografischen Kriterien. Mit diesen Nahezu-Echtzeit-Daten lassen sich dann Alarmstufen anpassen oder Krisenmaßnahmen starten.
Im Kleinen versucht das Projekt „Surveillance von Notfallkontakten während Hitzeperioden in Worms“ (NoWoHit) etwas Ähnliches: Über drei Jahre haben die Beteiligten ein System aufgebaut, in dem das städtische Klinikum bei heißem Wetter täglich Daten zu hitzebedingten Notfallbehandlungen an die zuständige Stelle im Rathaus meldet. Henny Annette Grewe von der Hochschule Fulda war an dem Projekt beteiligt und seufzt, als sie erzählt, dass man „zig Firewalls überwinden“ musste, damit das System datenschutzkonform funktioniert.
Lesetipp
Claudia Traidl-Hoffmann, Katja Trippel: Überhitzt. Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit. Dudenverlag, 2021
Resilienz des Gesundheitssystems erhöhen
Bei allen sinnvollen Einzelmaßnahmen dürfe man aber nicht das große Ganze vergessen, mahnt KLUG-Geschäftsführer Christian Schulz. „Wir haben grundsätzlich ein sehr strapaziertes Gesundheitssystem, wir haben Fachkräftemangel, demografischen Wandel. Wir haben knapper werdende Ressourcen, es fehlt an allen Ecken und Enden, und das ganze System ist durchdrungen von finanziellen Fehlanreizen.“ Die Herausforderungen durch den Klimawandel, sagt Schulz, träfen auf ein Gesundheitswesen, das schon heute überlastet und nicht resilient sei. Und auf gesellschaftliche Verhältnisse etwa bei Ernährung oder Mobilität, die Menschen zusätzlich krankmachten. „Wir sollten innehalten“, sagt er. „Ein bisschen Hitzeschutz zu machen und sonst nichts – das wird nicht ausreichen.“
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