Recht: Erste Kopie der Patientenakte darf nichts kosten
Nach dem europäischen Datenschutzrecht können Patientinnen und Patienten von ihrem Arzt unentgeltlich eine erste Kopie ihrer Patientenakte verlangen.
Urteil vom 26. Oktober 2023
– C 307/22 –
Europäischer Gerichtshof
Um einen ärztlichen Behandlungsfehler beweisen zu können, benötigen Patientinnen und Patienten Einblick in ihre Patientenakte. Ungeklärt war bisher die Frage, wer die Kosten für eine Kopie zu tragen hat. Das deutsche Recht sieht zugunsten der Ärzte die Kostenerstattung durch Patienten vor (Paragraf 630g Bürgerliches Gesetzbuch). Aber steht dies im Einklang mit Artikel 12 Absatz 5 und Artikel 15 Absatz 1 und 3 der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)? Um diese Frage zu klären, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) im März 2022 ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gerichtet. Das EuGH-Urteil ist kürzlich ergangen.
Ärztin verlangt Geld für die Kopie
In dem Fall geht es um einen Patienten, der einen Behandlungsfehler seiner Zahnärztin vermutet. Um Haftungsansprüche geltend zu machen, verlangte er von der Medizinerin unentgeltlich eine Kopie seiner Patientenakte. Die Zahnärztin war der Meinung, dass der Patient für die Kopie zahlen müsse. Daraufhin verklagte er die Ärztin und berief sich auf die DSGVO (EU-Verordnung 2016/679). Amts- und Landgericht gaben dem Patienten Recht und verpflichteten die Zahnärztin zur kostenlosen Herausgabe. Dagegen legte sie Revision beim BGH ein.
Behandlungsfehler in der Zahnmedizin
Europarichter gefragt
Der BGH setzte das Verfahren aus und wandte sich an den EuGH: Die Entscheidung hänge von der Auslegung der DSGVO ab. Die Bundesrichter wollten von ihren Luxemburger Kollegen wissen, ob der nach dem EU-Datenschutzrecht bestehende Anspruch auf Auskunft auch dann bestehe, wenn die begehrte unentgeltliche Kopie nicht dem Zweck diene, sich der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten bewusst zu werden und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können, sondern einen anderen datenschutzfremden, aber legitimen Zweck (hier: Prüfung arzthaftungsrechtlicher Ansprüche) dient? Falls ja, ob das bereits vor dem Inkrafttreten der DSGVO geltende nationale Recht, nach dem es für Ärzte keine Verpflichtung gebe, eine Kopie der Patientenakte kostenlos herauszugeben, europakonform sei? Und: Ob die DSGVO-Vorgaben im Arzt-Patienten-Verhältnis einen Anspruch auf Überlassung von Kopien aller Teile der Patientenakte umfasse oder ob es dem datenverarbeitenden Arzt überlassen bleibe, welche Daten er dem Patienten zusammenstellt?
Tipp für Juristen
Aufklärung der Behandelten über unterlaufene Behandlungsfehler, wirtschaftliche Hinweispfichten über die den Patienten treffenden Kosten, Informationen zur Diskussion über die Stärkung der Patientenrechte – diese und weitere Themen behandelt das Onlineseminar „Der ärztliche Aufklärungsfehler“ der Deutschen Anwaltakademie am 21. März 2024.
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Patient muss keine Gründe angeben
Der EuGH hat zugunsten des Patienten entschieden. Nach der DSGVO habe der Patient das Recht, eine erste Kopie seiner Patientenakte kostenlos zu erhalten. Dies gelte auch, wenn der Patient sein Verlangen mit einem datenschutz-fremden Zweck begründe. Ein datenschutzfremder Zweck könne das Überprüfen und das Geltendmachen von Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüchen sein. Der Patient müsse sein Verlangen auch nicht begründen. Nur wenn er eine weitere Kopie wünsche, könne der Arzt ein Entgelt dafür verlangen.
„Die Entscheidung der Europarichter schafft Rechtssicherheit in der Arzt-Patienten-Beziehung und trägt zur Stärkung der Patientenrechte bei.“
Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes
Anspruch auf alle Dokumente
Ferner stellten die Luxemburger Richter klar, dass ein Patient eine unentgeltliche Erstkopie aller Dokumente der Patientenakte, wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde und Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen einfordern dürfe, wenn diese zum Verständnis erforderlich seien. Entgegenstehende Regelungen in Deutschland seien nicht mit der DSGVO vereinbar. „Selbst mit Blick auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Behandelnden dürfen die nationalen Regelungen dem Patienten nicht die Kosten einer ersten Kopie seiner Patientenakte auferlegen“, urteilte der EuGH.
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