Artikel Pflege

Pflege ohne Schema F

18.12.2023 Jan Rößler 5 Min. Lesedauer

Haare waschen oder Mobilitätstraining? Welche Hilfe Menschen vom ambulanten Pflegedienst wünschen, entscheiden sie im Projekt „Pflege ganz aktiv“ flexibel und individuell. Zur Halbzeit zeigten sich die Beteiligten zufrieden mit dem Konzept.

Foto einer alten Dame, die in einem Hausflur in einem Rollstuhl sitzt. Eine Pflegerin hat sich zu ihr gekniet.
Weniger Bürokratie, mehr Zeit für die Menschen – ein Ziel des Projekts „Pflege ganz aktiv“.

Die ambulante Pflege folgt üblicherweise einem festgelegten Muster: Die Versicherten erhalten Leistungen der Grundpflege wie beispielsweise Hilfe beim Waschen und Anziehen. Diese rechnet der Pflegedienst mit der Pflegekasse ab. Hinzu können Leistungen der Behandlungspflege kommen wie beispielsweise das Anziehen von Kompressionsstrümpfen – abzurechnen mit der Krankenkasse.
 
Das Projekt „Pflege ganz aktiv“ sorgt für mehr Flexibilität: Den pflegebedürftigen Versicherten steht ein Zeitkontingent zur Verfügung. Welche Leistungen der Pflegedienst erbringt, entscheiden die Pflegebedürftigen spontan nach Bedarf. Haben sie sich beispielsweise morgens bereits mithilfe von Angehörigen gewaschen und angezogen, können sie die Pflegekraft bitten, mit ihnen die Mobilität bei einem Gang in den Garten zu trainieren.

Autonomie fördern

Das von den Landesverbänden der Pflegekassen in Rheinland-Pfalz und dem Caritasverband Westerwald-Rhein-Lahn initiierte Versorgungsmodell startete am 1. Juli 2022. Zur Halbzeit des zunächst auf zwei Jahre angelegten Modells zogen die Beteiligten ein positives Fazit. Eine Befragung zeigte, dass sich die teilnehmenden Versicherten und die Pflegekräfte eine Fortsetzung des Angebots wünschen.

Die Vertragspartner haben sich zum Ziel gesetzt, ein Modell individualisierter Pflege zu ermöglichen. Dabei soll ein Versorgungsteam ein bedarfsgerechtes Unterstützungsangebot über ein regionales Netzwerk koordinieren. Kernanliegen ist es, die Autonomie pflegebedürftiger Menschen zu fördern und einen längeren Verbleib in der eigenen Wohnung zu erreichen.

Vergütung über Pauschalen

Auch bei der Abrechnung gehen die Beteiligten innovative und unbürokratische Wege: In der Pflegeversicherung werden in dem Modell keine vertraglich festgelegten, konkreten Einzelleistungen zugrunde gelegt.

Stattdessen erfolgt die Finanzierung auf Grundlage von pauschalen Stundenvergütungen. Die häusliche Krankenpflege vergütet die Krankenversicherung in Form einer Monatspauschale. Mit ihr sind alle behandlungspflegerischen Leistungen des jeweiligen Monats abgegolten.

Die vereinfachte Abrechnungssystematik soll für alle Partner des Modellprojektes zum Bürokratieabbau führen. Eine Differenzierung nach Leistungskomplexen oder einzelnen Positionen sowie deren Dokumentation auf dem Leistungsnachweis entfällt weitgehend. So werden Kapazitäten für die Versorgung pflegebedürftiger Menschen frei. Zudem steht eine Steigerung der Versorgungsqualität durch nahtlose Übergänge im Fokus.

„Innovative Bausteine werden bei Pflege ganz aktiv passgenau und für alle Beteiligten gewinnbringend zusammengesetzt.“

Martina Niemeyer

Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland

Um zu prüfen, inwieweit diese Ziele bislang erreicht wurden, hat der Medizinische Dienst Rheinland-Pfalz im Sommer 2023 die am Modell teilnehmenden Pflegebedürftigen (Zahl im mittleren zweistelligen Bereich) befragt. Die beteiligten Pflegekräfte (Zahl im zweistelligen Bereich) gaben in einer anonymisierten Online-Befragung ihr Feedback. Es zeigt sich, dass alle befragten Pflegebedürftigen eine Fortführung des Modells wünschen. 80 Prozent der Befragten können sich eine Rückkehr zur bisherigen Versorgung nicht mehr vorstellen. Sie nehmen insbesondere die Bezugspflege mit einer festen Ansprechpartnerin für alle pflegerischen Belange als positiv wahr.

Ausweitung geplant

Auch die befragten Pflegekräfte sehen deutliche Vorteile: Sie betonen, mehr Zeit für die pflegebedürftigen Menschen und eine größere Flexibilität in der Versorgung zu haben. Durch den verringerten Zeitdruck steigt die Qualität der Arbeit und die Zufriedenheit. „Die durchweg positiven Rückmeldungen – sowohl von den Pflegebedürftigen als auch der Pflegekräfte – zeigen, dass es sich lohnt, neue Wege in der Versorgung miteinander auszuprobieren“, sagte Dr. Martina Niemeyer, Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland anlässlich eines Treffens der Vertragspartner Mitte November. „Innovative Bausteine werden bei Pflege ganz aktiv passgenau und für alle Beteiligten gewinnbringend zusammengesetzt. Ein toller Erfolg. Wir sind gespannt welche Erkenntnisse in der zweiten Halbzeit noch gewonnen werden können.“ Die Partner des Versorgungsmodells verständigten sich darauf, Möglichkeiten und Rahmenbedingungen zur Fortführung und potenziellen Ausweitung von „Pflege ganz aktiv“ über den Norden von Rheinland-Pfalz hinaus auszuloten.

Mitwirkende des Beitrags

Beitrag kommentieren

Alle Felder sind Pflichtfelder.

Datenschutzhinweis

Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.

Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.