Blickwinkel Finanzierung

Märchen von der Flatrate-Mentalität

18.12.2023 Klaus Jacobs 4 Min. Lesedauer

Jacobs' Weg: Gesundheitspolitiker Tino Sorge von der CDU will die Preissensitivität der Patientinnen und Patienten durch mehr Eigenbeteiligungen erhöhen. Doch damit ist er auf dem Holzweg.

Foto: Ein Teil eines Stethoskops liegt auf mehreren auseinandergefächerten Fünfzigeuroscheinen, daneben liegen mehrere bunte Pillen.
80 Prozent der Gesundheitsausgaben entfallen auf gerade einmal 20 Prozent der Versicherten.
Foto: Porträtbild von Prof. Dr. Klaus Jacobs, Volkswirt und ehemaliger Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO)
Prof. Dr. Klaus Jacobs, Volkswirt und ehemaliger Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK

Die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung ist angespannt. Weder Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach noch seine Vorgänger – zuletzt Hermann Gröhe und Jens Spahn von der CDU – haben es geschafft, die solidarische Beitragsfinanzierung zukunftsfest zu stärken und gesamtgesellschaftliche Aufgaben sachgerecht aus Steuermitteln zu finanzieren. Was also tun? 

Kürzlich hat Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wieder einmal in die Mottenkiste gegriffen. Es gelte, einer Flatrate- (alternativ: Vollkasko-) Mentalität der Versicherten entgegenzuwirken. Mehr Preissensibilität und Eigenverantwortung seien vonnöten – auf Deutsch: mehr Eigenbeteiligungen der Patientinnen und Patienten bei Versorgungsleistungen, die angeblich oft unnötig in Anspruch genommen und die Solidargemeinschaft über Gebühr belasten würden.

„Alte Hüte sollten in der Mottenkiste bleiben.“

Prof. Dr. Klaus Jacobs

Volkswirt und ehemaliger Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK

Diese Vorschläge sind ein uralter Hut und bringen nichts – außer mehr Bürokratie, die doch allenthalben abgebaut werden soll. Zwei Gründe: Zum einen entfallen rund 80 Prozent der Gesundheitsausgaben auf gerade einmal 20 Prozent der Versicherten. Diese sind entweder schwer akut oder chronisch krank. Wie kann hier auf ihre Initiative hin sinnvoll gespart werden? Zum anderen sind die meisten Versicherten medizinische Laien und wissen nicht, ob ein Arztbesuch wirklich notwendig ist – sein Spaßfaktor ist eher gering. Wenn aber notwendige Arztbesuche wegen spürbarer Eigenbeteiligungen unterbleiben, kann es bei fortschreitender Erkrankung schnell noch viel teurer werden – zulasten der Solidargemeinschaft. 

Dass die Menschen in Deutschland häufiger in die Arztpraxis gehen als in anderen Ländern, hat viele Gründe außerhalb ihres Einflussbereichs, etwa wenn sie eine Krankschreibung brauchen oder ein Folgerezept. Wenig hilfreich ist auch der Quartalsbezug der Ärztevergütung, der zu regelmäßigen Einbestellungen führt. 

Tino Sorge sollte sich besser hierum kümmern. Schließlich hat er auch gesagt, dass ihn das Amt des Bundesgesundheitsministers reizen würde. Dann sollte er sich aber etwas mehr gesundheitsökonomisches Basiswissen aneignen und alte Hüte in der Mottenkiste lassen.

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