Recht: Klare Regeln beim Zuschlag für familiäre Pflege-WG
Beauftragen Pflegebedürftige ein Familienmitglied mit der Organisation ihrer Pflege-WG, sind dessen Aufgaben und Tätigkeiten genau festzulegen.
Urteile vom 27. Juni 2024
– B 3 P 1/23 R, B 3 P 2/23 R , B 3 P 3/23 R –
Bundessozialgericht
Pflege-Wohngemeinschaften bieten eine Chance, möglichst lange selbstbestimmt zu leben. Dort haben die Bewohnerinnen und Bewohner – mindestens drei bis maximal zwölf – in der Regel ein eigenes Zimmer. Eine Präsenzkraft unterstützt die Bewohnenden im Alltag. Die Pflegeversicherung fördert Pflege-WGs. Eine ihrer Leistungen ist der Wohngruppenzuschlag in Höhe von derzeit
214 Euro pro Person und Monat. Pflegebedürftige, die in einer Pflege-WG leben, können den Wohngruppenzuschlag zusätzlich zu anderen Leistungen wie dem Pflegegeld oder den ambulanten Pflegesachleistungen beantragen. Dieser Zuschlag dient dazu, die Präsenzkraft zu finanzieren. Ob dieser Pauschalbetrag auch dann beansprucht werden kann, wenn die Präsenzkraft ein pflegender Angehöriger ist, hat das Bundessozialgericht (BSG) geklärt.
„Als gemeinschaftlich beauftragte Person einer Pflege-Wohngemeinschaft kommt auch ein dem Haushalt angehörendes Familienmitglied in Betracht. Sie kann zugleich Pflegeperson sein.“
Justiziarin im AOK-Bundesverband
Zuschlag beantragt
In dem Fall ging es um eine Mutter, ihren Sohn und ihr Pflegekind, die alle pflegebedürftig sind. Sie werden von dem Ehemann beziehungsweise (Pflege-)Vater gepflegt, der mit ihnen in einer gemeinsamen Wohnung lebt. Die drei Pflegegeldempfänger hatten im Februar 2016 bei ihrer Pflegekasse den Wohngruppenzuschlag nach Paragraf 38a SGB XI beantragt und als gemeinschaftlich beauftragte Person den Ehemann und (Pflege-)Vater angegeben. Zu den auf ihn übertragenen Aufgaben und Tätigkeiten gehörte unter anderem das Vor- und Zubereiten von Mahlzeiten, Geschirrspülen und -abtrocknen, Ausgestaltung des privaten Wohnraums, Mitgestaltung der Gemeinschaftsräume, Essgewohnheiten beachten, Gestaltung der Tagesstruktur, Unterstützung bei der Selbstständigkeit, Fördern der Übernahme von Verantwortung, zum Beispiel durch gemeinsames Tischdecken, Planen und Organisieren von Tagesausflügen oder die Koordination der unterschiedlichen Termine der pflegebedürftigen WG-Mitglieder. Die Pflegekasse lehnte die Anträge ab mit der Begründung, das gemeinsame Zusammenleben diene nicht dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung.
Alle drei Bescheide wurden bestandskräftig. Als in der Pflege-WG eine weitere, bei einer anderen Pflegekasse versicherte pflegebedürftige Person aufgenommen wurde und diese den Wohngruppenzuschlag erhielt, beantragten die drei Kläger die Überprüfung der ablehnenden Bescheide. Die Pflegekasse lehnte jedoch eine Rücknahme ab. Die Ablehnungen seien ihrer Ansicht nach zu Recht ergangen. Innerhalb des Familienverbundes werde der Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung durch die familiäre Prägung überlagert, so die beklagte Pflegekasse. Es sei für sie insbesondere nicht erkennbar, inwieweit sich die Aufgaben des Ehemannes und (Pflege-)Vaters als gemeinschaftlich beauftragte Person von denen als Ehemann beziehungsweise (Pflege-)Vater und Pflegeperson unterscheide.
Familienverbund als WG
Hiergegen klagten die drei Antragsteller erfolglos vor dem Sozial- und dem Landessozialgericht und legten schließlich Revision beim BSG ein. Während des Klageverfahrens wurde auch der als gemeinschaftlich beauftragte Person benannte Ehemann und (Pflege-)Vater pflegebedürftig. Daraufhin teilten die Kläger ihrer Pflegekasse den Wechsel der gemeinschaftlich beauftragten Person mit.
Aufgaben klar abgrenzen
Aber auch vor dem BSG hatten sie keinen Erfolg. Zwar bestätigten die obersten Sozialrichter ihre Auffassung, dass auch Familienverbünde ambulant betreute Wohngruppen sein können. Zugleich entschied das Gericht erstmals, dass der Wohngruppenzuschlag auch dann jedem Pflegebedürftigen gezahlt werden könne, wenn die gemeinschaftlich beauftragte Person ein Familienangehöriger ist und die Pflege übernimmt. Allerdings müssten die Tätigkeiten des gemeinschaftlich beauftragten Angehörigen „in besonderer Weise klar bestimmt sein und sich als zusätzliche Tätigkeiten zweifelsfrei von der Erfüllung rein familiärer Aufgaben und solchen der individuellen pflegerischen Versorgung abgrenzen“. Denn der zweckgebundene Zuschlag solle als zusätzliche Leistung der Pflegeversicherung nicht eine schlichte Aufstockung von individuellen Pflegeleistungen bewirken. Daran habe es im Streitjahr 2016 gefehlt, sodass der Wohngruppenzuschlag zu Recht abgelehnt worden sei.
Der Wechsel der gemeinschaftlich beauftragten Person während des Klageverfahrens hatte keinen Einfluss auf die Entscheidung, da für die Bewertung auf den Zeitpunkt der letzten ablehnenden Verwaltungsentscheidung über den Antrag auf den Wohngruppenzuschlag ankam. Einen neuen Leistungsantrag hatten die Kläger aber nicht gestellt.
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