Schweiz aktualisiert Ernährungsempfehlungen
Das Schweizer Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) hat die Ernährungspyramide aktualisiert: Weg von gesüßten Produkten, wenig Fleischerzeugnisse und Fisch, dafür frisches, regionales Gemüse und Obst. Nachhaltigkeitsaspekte werden berücksichtigt.
Die Lebensmittel-Pyramide - sie soll einen raschen Überblick über die Zutaten für eine ausgewogene Ernährung geben. Je nach Mengenempfehlung finden sich Lebensmittel im breiten Fundament oder in der schmalen Spitze. „Die aktualisierten Schweizer Ernährungsempfehlungen wurden auf der Basis neuester wissenschaftlicher Publikationen erarbeitet und entsprechen dem aktuellen Wissensstand“, erklärt Yasmin Matthys vom BLV gegenüber G+G. Gemeinsam mit der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) hat das BVL die Lebensmittelpyramide überarbeitet. Die Foederation der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien (fial) begrüßt, „dass die Empfehlungen periodisch hinterfragt werden und an die aktuelleren Verzehrsdaten angepasst wurden“, teilt Dr. Karola Krell Zbinden, Leiterin der fial-Kommission Ernährung, mit.
Die letzte Ernährungsstrategie der Schweizer Behörden stammten aus dem Jahr 2011. Es fällt auf, dass Kaffee hier gar nicht abgebildet ist, Fruchtsaft hingegen auf derselben breiten Stufe wie frisches Obst. Bei der aktualisierten Pyramide fehlt nun der Fruchtsaft ganz, wohingegen der Kaffee es auf die unterste, breiteste Stufe neben ungesüßtem Tee und Wasser geschafft hat. Maximal zwei bis drei Mal pro Woche sollen Fisch, Fleisch oder Fleischprodukte verzehrt, verarbeitete Lebensmittel möglichst vermieden und frischen, regionalen Produkten der Vorzug gegeben werden. „Die Ernährungsempfehlungen richten sich an 18- bis 65-Jährige“, präzisiert Yasmin Matthys.
Nicht übertragbaren Krankheiten vorbeugen
Klares Ziel der Empfehlungen ist laut BLV, „die allgemeine Gesundheit zu fördern und nicht übertragbaren Krankheiten (NCDs) wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes vorzubeugen“. Tatsächlich sind neuere Erkenntnisse über einen möglichen Zusammenhang von verarbeiteten Lebensmitteln und NCDs ein Grund für die Aktualisierung der Ernährungsstrategie. „2017 beauftragte das BLV die Eidgenössische Ernährungskommission mit der Evaluation der (zwischen 2012 und 2017 veröffentlichten) wissenschaftlichen Erkenntnisse, die einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Lebensmitteln aus bestimmten Gruppen und dem Risiko, NCDs zu entwickeln, herstellen“, heißt es dazu. Die Arbeitsgruppe habe ihren Bericht 2020 veröffentlicht. Die Ergebnisse hätten zur Überarbeitung der Ernährungsstrategie geführt.
Matthys erläutert dazu: „Die Vielfalt der Lebensmittel hat sich nicht wesentlich verändert, jedoch werden bestimmte Lebensmittelgruppen stärker hervorgehoben wie zum Beispiel pflanzliche Proteinquellen, Vollkornprodukte sowie saisonale und regionale Früchte und Gemüse.“ Neue Gruppen seien entstanden und Milchprodukte würden nun separat als Calciumquelle aufgeführt. Nüsse und Samen würden neu von Ölen und Fetten getrennt. Zur stark zurückgenommenen Verzehr-Empfehlung für gesüßte Getränke und Snacks – sagt sie: „Süßgetränke, Süßes und Snacks werden neu als 'optional' eingestuft und sind daher in der täglichen Ernährung entbehrlich.“
Optimale Nährstoffzufuhr, Vorbeugung, Umwelt und Kultur
Zudem bilden nun auch Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit des Essverhaltens sowie die Gesundheitsförderung und kulturelle Essgewohnheiten wichtige Bewertungsfaktoren. „Ab 2024 berücksichtigen sie nebst einer bisher geltenden gesunden und ausgewogenen Ernährung neu auch die Gesundheitsförderung und Nachhaltigkeitsaspekte im Rahmen des in der Schweiz üblichen Essverhaltens“, so die Experten zur Neuauflage der Ernährungsempfehlungen.
Von „vier Dimensionen“ der neuen Pyramide spricht Yasmin Matthys: „Die optimale Nährstoffzufuhr durch eine vielfältige Lebensmittelauswahl, die Gesundheitsförderung zur Risikominimierung von NCDs, Nachhaltigkeitsaspekte durch den erstmaligen Einbezug von Umweltdaten und das in der Schweiz übliche Essverhalten.“
Frisch zubereiten
Ein wichtiger Aspekt der neuen Empfehlungen ist auch die frische Zubereitung der Nahrung. „Bevorzugen Sie möglichst unverarbeitete und gering verarbeitete Lebensmittel“, lautet einer der Ernährungs-Tipps, die das BLV gibt. Und in der Erläuterung dazu heißt es, man solle lieber auf Lebensmittel wie Gemüse, Früchte, Brot und Natur-Joghurt zurückgreifen. Hochverarbeitete Lebensmittel wie Wurstwaren, Fertiggerichte und Süßwaren hätten „oft eine lange Zutatenliste und enthalten häufig reichlich Energie, gesättigte Fettsäuren, Salz, Zucker und Zusatzstoffe, aber wenig Vitamine, Mineralstoffe und Nahrungsfasern“. Erste Studien hätten gezeigt, dass stark verarbeitete Lebensmittel das Risiko für nicht übertragbare Krankheiten, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas oder Fettleibigkeit erhöhen könnten, ergänzt Yasmin Matthys. Wer gesund essen wolle, solle Mahlzeiten daher eher frisch zubereiten.
Die Schweizer Lebensmittelindustrie begrüßt die zurückhaltende Formulierung des BLV und plädiert zur Vorsicht bei der Bewertung der Studienlage. „Die fial stimmt zu, dass der Bund sich in Bezug auf eine Empfehlung zum Umgang mit verarbeiteten Lebensmitteln noch zurückhält. Hier ist die Datenlage nicht ausreichend“, erklärt Dr. Karola Krell Zbinden gegenüber G+G.
„Die Vielfalt der Lebensmittel hat sich nicht wesentlich verändert, jedoch werden bestimmte Lebensmittelgruppen stärker hervorgehoben.“
Mediensprecherin des Schweizer Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV)
Nachhaltige Ernährung
„Was wir essen, hat zudem einen Einfluss auf die Umwelt, Wirtschaft, Gesellschaft und das Tierwohl“, ist in den überarbeiteten Empfehlungen zu lesen. Und zum Beispiel diese Tipps: „Achten Sie beim Einkauf auf die Herkunft und Produktionsbedingungen der Lebensmittel (zum Beispiel saisonales Gemüse, Eier aus artgerechter Haltung)“, „Planen Sie Ihre Einkäufe und verwerten Sie Essensreste. Vermeiden Sie Food Waste.“
In der Pyramide wurde zudem auf die Abbildung von Verpackungen sowie Plastik und Pet verzichtet. „Damit tragen wir dem globalen Ansatz und dem heutigen Wissensstand Rechnung, die Ernährung als Ökosystem zu betrachten, wo Mensch, Tier und Umwelt gleichwertig berücksichtigt und respektiert werden“, erläutert Matthys. Das BLV sei der Methodik gefolgt, die die EFSA für ihre Aktualisierung vorgeschlagen hat, und habe sie mit einer statistischen Modellierung gekoppelt, um Ernährungs-, Gesundheits- und Umweltaspekte mit einzubeziehen.
Auf einen weiteren Aspekt beim Thema Nachhaltigkeit des Essverhaltens weist hier Dorothea Baltruks, Leiterin Wissenschaft und Politik beim Centre für Planetary Health Policy in Berlin, hin. Tatsächlich sei auch der „gravierend vorangeschrittene“ Verlust an Biodiversität, also der Artenvielfalt, für Gesundheit und Ernährung „extrem relevant“. So wirke sich der Biodiversitätsverlust – rund acht Millionen Tiere und Pflanzenarten seien vom Aussterben bedroht – schon jetzt etwa durch ein erhöhtes Risiko von Zoonosen und Risiken der Nahrungsmittelsicherheit aus. Gleichzeitig habe unsere Ernährung einen erheblichen Einfluss auf die Umwelt. Vor allem die Nutztierhaltung habe einen überdurchschnittlichen Anteil an den landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen, dem Flächen- und Wasserverbrauch sowie der Überlastung von Ökosystemen mit Nitrat und reaktivem Stickstoff durch Gülle.
Wasser und rehabilitierter Kaffee
Bei den Empfehlungen, wie sich die ein bis zwei Liter „ungezuckerte Getränke“ pro Tag zusammensetzen sollten, wird vor allem Leitungswasser genannt. Doch auch der Kaffee wird nun als Flüssigkeitslieferant gewertet. So heißt es: „Hahnenwasser ist aus ökologischer Sicht zu bevorzugen. Anders als bei Kaffee oder anderen Getränken, werden keine Ressourcen für die landwirtschaftliche Produktion, Verpackung und den Transport per Lastkraftwagen oder Auto benötigt. Genießen Sie Kaffee in moderaten Mengen (bis zu drei Tassen am Tag).“ Süßgetränke und Fruchtsaftgetränke mit zugesetztem Zucker oder Süßstoffen hingegen seien „keine geeigneten Durstlöscher“ und sollten „nur gelegentlich, in kleinen Mengen“ getrunken werden.
Hauptsache aktiv
Auch zur Bewegung enthalten die neuen Empfehlungen Anhaltspunkte: „Die größte positive Gesundheitswirkung haben mindestens 150 bis 300 Minuten ausdauerorientierte Bewegung mit mittlerer Intensität (wie Gehen, Velofahren, Garten- und Hausarbeit) oder mindestens 75 bis 150 Minuten mit hoher Intensität (wie Jogging, Schwimmen, Skilanglauf, Zumba) wöchentlich.“ Dabei sei jede körperliche Aktivität gut für die Gesundheit, selbst, wenn die Bewegungsempfehlungen nicht erreicht würden. „Hauptsache aktiv.“
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