Integration ausländischer Pflegekräfte: Deutschland hat weiter Nachholbedarf
Die Bundesrepublik wirbt international Fachkräfte für den Gesundheitssektor an. Dabei steht sie im Wettbewerb mit Staaten, die attraktive Programme auflegen, Abschlüsse problemlos anerkennen und Englisch als Umgangssprache sprechen. Wie die Anwerbung dennoch gut gelingen und nachhaltig gestaltet werden kann, erklärt Matthias Geisler, der deutsche Unternehmen bei der Integration ausländischer Pflegekräfte unterstützt.
Herr Geisler, Deutschland rekrutiert international Pflegefachpersonal. Was könnten wir besser machen?
Matthias Geisler: Meine wichtigste Empfehlung betrifft eine Haltungsfrage: Wir sollten Erwerbs-Migration von Fachpersonal in jeder Weise unterstützen, jeden willkommen heißen, der nach Deutschland kommt, um hier in der Pflege oder Gesundheit zu arbeiten. Die Anwerbung internationalen Fachpersonals ist für die deutsche Gesellschaft, für das Sozialsystem und die Wirtschaft wichtig. Und wir sollten uns klar darüber werden, dass sich Deutschland in einem internationalen Wettbewerb um Fachpersonal befindet. Hier gehen immer noch viele Menschen in Unternehmen, aber auch in Behörden, davon aus, dass die Bewerber uns die Türen einrennen. Dem ist ganz und gar nicht so.
Heißt, wir sollten die Anwerbung attraktiver gestalten?
Geisler: Unbedingt! Das betrifft sowohl die Abläufe als auch den Umgang mit den Menschen, die bereit sind, zu uns zu kommen. Willkommen zu sein und gut beraten zu werden – das sollten die Menschen spüren, die zu uns kommen, um etwa in der Pflege zu arbeiten. Dieser Willkommens- und Servicegedanke sollte in allen Unternehmen sowie beteiligten Behörden selbstverständlich sein.
Was bieten unsere Wettbewerber Interessenten an?
Geisler: Die USA hatten bis vor kurzem ein Programm, das enorme Konkurrenz für uns bedeutet hat: 5.000 Dollar Prämie für die Familie der Pflegefachkraft, die Zusage, dass das Visum und der Arbeitsbeginn in den USA binnen drei Monaten erfolgen, einfache Anerkennung des Abschlusses, Einstiegsgehalt von mindestens 5.000 Dollar pro Monat. Ähnliche Programme legen auch andere Staaten auf.
Und Deutschland erkennt nicht einmal die akademischen Abschlüsse an, „lockt“ mit einer im Verhältnis zu Englisch komplizierten Sprache und viel Bürokratie über Monate…
Geisler: Richtig. Deutschland hat vor allem zwei wesentliche Standortnachteile gegenüber vielen Mitbewerbern, nämlich Sprachbarriere und Berufsanerkennung. Allein das Deutsch-Lernen auf Level B2, was Voraussetzung für die Berufsanerkennung ist, kostet interessierte Fachkräfte etwa ein Jahr Lebenszeit.
„Dieser Willkommens- und Servicegedanke sollte in allen Unternehmen sowie beteiligten Behörden selbstverständlich sein.“
Senior Relationship-Manager und Integrationsmanager bei der Personalserviceagentur Globogate Concept
Bei der Berufsanerkennung treffen internationale Fachpersonen mit akademischem Abschluss auf unser System der Ausbildung, also Lehre. Warum dauert die Berufsanerkennung so lange?
Geisler: Deutschland hat eine lange Tradition der Pflegeausbildung. In anderen Ländern wird Pflege studiert. Hier müssen sich die Bundesländer dringend Gedanken um die Anerkennungsregeln machen. Monatelange Anpassungsmaßnahmen beziehen sich vor allem auf praktische Tätigkeiten, die selbstverständlich auch in jedem Studium im Ausland gelehrt werden – nur nicht so ausgiebig, weil Pflege im Ausland andere Kompetenzen umfasst und einen anderen Stellenwert hat. Hinzu kommt: Wir haben 16 Bundesländer, die eigene Anerkennungsregeln und Prüfungen aufstellen.
Und sich bundesweit intern Konkurrenz machen?
Geisler: Leider ja. Die Interessenten im Ausland, die sich trotz aller Hürden für Deutschland entscheiden, wissen sehr genau, in welchem Bundesland ihr Abschluss schneller anerkannt wird – etwa, weil Berufspraxis anerkannt wird. Die Vernetzung über Social Media ist ausgesprochen gut. Es gibt Bundesländer, die über das EU-weit geltende Sprachlevel B2 hinaus auch noch eine Fachsprach-Prüfung einführen wollen. Das spricht sich rasend schnell herum. Andere denken sogar über Sprachlevel C1 nach.
Einheitliche und stark gestraffte Anerkennungsverfahren wären also wünschenswert?
Geisler: Ja, aber: Bildung ist in Deutschland Ländersache. Polen hat reagiert und bereits 2007 auf die akademische Ausbildung (Bachelor) umgestellt: Statt Ausbildung haben dort nun schon rund 25 Prozent des Pflegepersonals eine akademische Ausbildung mit wachsender Tendenz. Und noch einmal der Blick in die USA: Das Curriculum für den Pflege-Bachelor gilt international vielen Staaten als Vorbild. Ändern die USA etwas, ändern zum Beispiel auch die Philippinen. Das führt dazu, dass es so gut wie keine Anerkennungsprobleme gibt. Wir hingegen sind der Meinung, dass 16 Bundesländer – jedes für sich wohlgemerkt – wissen, wie Pflege gelehrt werden muss. Vielleicht schaffen es die Bundesländer ja tatsächlich einmal, sich zu einigen. Oder die Standesvertretungen, sprich Pflegekammern, einigen sich und stellen Prüfungsrichtlinien auf. Bei Notaren und Rechtsanwälten, ebenfalls regulierte Berufe, klappt das hervorragend. Bundesweit geltende und vereinfachte Anerkennungsverfahren wären sehr wünschenswert.
Welche Unterschiede gibt es noch, die für uns einen Nachteil bei der Anwerbung bedeuten können?
Geisler: Ein erheblicher Unterschied besteht darin, dass andere Staaten deutlich mehr Standortwerbung betreiben als Deutschland. Häufig gibt es staatliche Programme. Der Staat sorgt dafür, dass die notwendigen Voraussetzungen etwa bei Behörden geschaffen werden. Der Staat trägt einen Großteil der Kosten. Bei uns liegen Anwerbeverfahren und Kosten auf den Schultern der Arbeitgeber, die entweder selbst anwerben oder eine Personalservice-Agentur beauftragen. Dabei ist jede Fachkräftemigration in der Pflege ein Gewinn für den deutschen Gesundheitssektor und nicht nur für den anwerbenden Arbeitgeber. Ein weiterer Punkt ist: Viele Wettbewerber verfügen seit Jahrzehnten über Erfahrung bei der Rekrutierung internationaler Pflegekräfte, was zu einer Community-Bildung führt, die weiteres Fachpersonal anzieht. Hier sind deutsche Arbeitgeber aufgefordert, die Vernetzung ihrer internationalen Fachkräfte in Deutschland zu begleiten und zu fördern.
Einwanderung erleichtern – wie eine erfolgreichere Anwerbung gelingen kann:
- Keine weitere Erhöhung der Zugangsbarrieren, also etwa durch Fachsprachprüfungen
- Noch mehr Standortwerbung durch den Staat in den Herkunftsländern und Herausstellen der weichen Positivfaktoren: unbefristeter Aufenthalt, leichter Familiennachzug, kostenfreie Schulbildung, Sozialversicherungen, Reisefreiheit innerhalb der EU
- Planbarkeit und Zuverlässigkeit der Verfahren vor Schnelligkeit, Erteilen von Fiktionsbescheiden, wenn Fristen nicht eingehalten werden können
- Eine deutliche Willkommenskultur und Dienstleistungsorientiertheit der Behörden
- Eine einfache, finanzielle Förderung der rekrutierenden Arbeitgeber und Agenturen, die das Gütezeichen tragen, sobald die Berufsanerkennung in Deutschland erfolgt ist.
Stichwort Kosten: Was kostet eine Anwerbung?
Geisler: Die notwendigen Kosten der Rekrutierung von internationalen Pflegefachkräften bis zur Einreise umfassen üblicherweise je nach Leistungsumfang einen Rahmen von 10.000 bis 18.000 Euro. Diese fallen für die eigentliche Rekrutierung, die Sprachausbildung, Sprachprüfung und Zuschüsse zum Lebensunterhalt an. Außerdem fallen Kosten für das Dokumentenmanagement, Übersetzungskosten und die Gebühren für die Visa-, Berufsanerkennungs- und Arbeitsmarkzulassungsverfahren an. Schließlich sind nach dem Employer-Pays-Prinzip auch die Kosten für Gesundheitszeugnisse, Flugreise und Transfer zur Unterkunft vom Arbeitgeber zu tragen. Dazu kommen weitere Kosten, beispielsweise für Integrationsmaßnahmen. Diese sollte der Arbeitgeber voll tragen – darauf sollte die Fachkraft achten. Für internationale Pflegefachkräfte sollte der gesamte Anwerbeprozess kostenfrei sein. Tatsächlich ist das nämlich nicht viel, wenn Sie überlegen, was ein Bett in der Pflege kostet, das Sie nicht belegen können, weil Personal fehlt.
Zum Stichwort private Anwerbung: Hier kommen wir zu einem Punkt, der auch für die Bewerber kritisch werden kann. Die Kosten von 10.000 bis 18.000 Euro werden manchmal den Interessenten aufgedrückt oder in Form von Schuldverpflichtungen als Knebel missbraucht, um Pflegepersonal zu binden. Berichte über solche Praktiken schaden dem deutschen Standort. Braucht es vor diesem Hintergrund nicht eine Regulierung der privaten Anwerbung?
Geisler: Es gibt das Gütezeichen „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“. Mit ihm werden Arbeitgeber und Personalservice-Agenturen ausgezeichnet, die ethisch, fair und transparent anwerben und die hohen Standards des Gütezeichens einhalten. Dazu gehört das Employer-Pays-Principle (dt.: Arbeitgeber-zahlt-Prinzip), also die Verpflichtung von Arbeitgebern, dass Bewerbern in der Bewerbungsphase keine Kosten entstehen. Das Gütezeichen ist freiwillig. Bisher wurden rund 65 von etwa 300 privaten deutschen Vermittlungsagenturen ausgezeichnet.
Sollte das Gütezeichen Voraussetzung dafür sein, international anwerben zu dürfen?
Geisler: Die Bundesregierung, genauer das Bundesministerium für Gesundheit, ist Inhaber des Gütezeichens. Es hat sich für die Freiwilligkeit entschieden. Schließlich schafft das Gütezeichen einen deutlichen Vertrauensvorsprung, es genießt ein hohes Ansehen und bringt also Wettbewerbsvorteile mit sich. Dennoch wäre es wünschenswert, wenn die Bundesregierung noch stärker für das Gütezeichen im Ausland werben und im Inland einen zusätzlichen Anreiz für die Beantragung des Gütezeichens schaffen würde.
Und zwar?
Geisler: Sehr sinnvoll wäre eine Kostenübernahme-Regelung für Gütezeichen-Träger. Der Staat könnte Agenturen und selbst anwerbenden Arbeitgebern, die mit dem Gütezeichen ausgezeichnet sind, einen Teil der Anwerbekosten rückerstatten – etwa die Kosten für die Sprachkurse –, sobald ein Bewerber die Berufsanerkennung in Deutschland erhalten hat.
Was halten Sie von Überlegungen, das Sprachlevel auf B1 abzusenken oder Englisch zuzulassen, weil die meisten Menschen auch in Deutschland inzwischen Englisch sprechen?
Geisler: Sprache ist der Schlüssel zum Erfolg im Job und zu einer gelingenden Integration – ich halte das Sprachlevel B2 für erforderlich.
Stichwort Integration: Sie sind auch Integrations-Manager. Was raten Sie anwerbenden Unternehmen?
Geisler: Wichtig ist auch hier eine Haltung: Der Arbeitgeber muss sich klar darüber sein, dass er maßgeblich die Verantwortung für eine gelingende Anwerbung und Integration trägt. Es beginnt mit vorausschauender Planung. Integration erfordert frühzeitige Ressourcenplanung für Einarbeitung Anpassungsmaßnahmen, Integrationsmaßnahmen und Kommunikation mit dem etablierten Pflegeteam. Gibt es ein betriebliches Integrations-Konzept, gibt es Kollegen, die bereit sind, eine Patenschaft zu übernehmen? Die Anwerbung ist nur dann nachhaltig, wenn die Integration gelingt. Integration beginnt bereits im Herkunftsland mit der Auswahl der zu rekrutierenden Fachperson (Matching). Es sollte eine tragfähige, persönliche Beziehung und Bindung zwischen dem rekrutierenden Arbeitgeber, dem Team und der Interessentin beziehungsweise dem Interessenten aufgebaut werden. Der Spracherwerb sollte begleitet werden. Die Verantwortung, die ich bereits erwähnt habe, beginnt also bereits im Ausland.
Sie halten folglich nicht viel von sogenannten Pools von Interessentinnen und Interessenten?
Geisler: Nein, die Beziehung sollte bereits vertrauensvoll sein, bevor mit dem Spracherwerb begonnen wird. Das schützt dann auch vor Abwerbungsversuchen in Deutschland. Pool-Rekrutierungen, bei denen die Pflegekräfte dem Arbeitgeber erst bei Sprachniveau B1 oder gar erst in Deutschland vorgestellt werden, scheinen aufgrund der Schnelligkeit zunächst attraktiv, sind aber ethisch fragwürdig und führen langfristig zu mehr Fluktuation.
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