„Digitalisierungsmaßnahmen können empathische Versorgung unterstützen"
Digitalisierung spielt auch im Pflegebereich eine immer größere Rolle. Wie sich dadurch in Kliniken Arbeitsabläufe vereinfachen und Pflegekräfte unterstützen lassen, erklärt Andrea Schmidt-Rumposch, Pflegedirektorin der Universitätsmedizin Essen im Interview mit G+G-Redakteurin Tina Stähler.
Welche Vorteile hat Digitalisierung in der Pflege für Patientinnen und Patienten?
Andrea Schmidt-Rumposch: Pflege geschieht von Mensch zu Mensch. Heute und in Zukunft. Digitalisierungsmaßnahmen können aber eine empathische Versorgung unterstützen. Denn wenn Pflegefachpersonen von administrativem, patientenfernem Aufwand entlastet werden, haben sie wieder mehr Zeit für die direkte Arbeit mit Patientinnen und Patienten. Unter anderem im Service- oder Logistikbereich liegen hier viele Möglichkeiten. Digitalisierte Prozesse sind zudem effizienter, schneller und weniger fehleranfällig, was wir beispielsweise seit der konzernweiten Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) festgestellt haben.
Was genau ist mit Entlastung im Service- oder Logistikbereich gemeint – haben Sie ein Beispiel?
Schmidt-Rumposch: Pflegefachpersonen übernehmen in den Kliniken täglich eine Vielzahl an Tätigkeiten in pflegefernen Bereichen. Dazu gehört beispielsweise das Material- und Bestellwesen. Wenn professionell Pflegende ihre Zeit damit verbringen, stationsbezogen Pflaster und Desinfektionsmittel zu bestellen, ist dies nicht sehr effizient. Werden diese Prozesse automatisiert und können etwa mithilfe eines digitalen Bestellsystems erledigt werden, bleibt Pflegenden wieder wesentlich mehr Zeit, sich um ihre Patientinnen und Patienten zu kümmern.
Auch im Einsatz eines Unit-Dose-Systems liegen Möglichkeiten, Pflegefachpersonen zu entlasten. Hierbei werden Arzneimittel individuell und automatisiert durch die Klinikapotheke für die Patientinnen und Patienten zusammengestellt, einzeln verpackt, etikettiert und an die Stationen geliefert. Aktuell sieht der Alltag in vielen deutschen Kliniken noch so aus, dass Pflegefachpersonen im Nachtdienst die Medikamente des kommenden Tages für die Station zusammenstellen – und bei dieser Tätigkeit immer wieder durch Patientenrufe unterbrochen werden.
„Mir ist wichtig, dass sich Pflege aktiv einbringen kann – auch in Digitalisierungsfragen.“
Pflegedirektorin und Mitglied des Vorstands an der Universitätsmedizin Essen
Abgesehen von der ePA – was nutzen Sie in Ihrem Haus noch an Tools – Stichwort „Therapieroboter und technische Assistenz"?
Schmidt-Rumposch: Die ePA schafft die Grundvoraussetzung für alle weiteren Prozesse. So haben wir den Pflegeprozess, von der Anamnese über die Risikoerfassung bis zur Evaluation, komplett digital abgebildet. Pflegefachpersonen benutzen dazu Tablets. Dies erleichtert beispielsweise auch Tätigkeiten wie die Wunddokumentation durch vereinfachte Wundfotografie.
In der Universitätsmedizin Essen (UME) kommen ergänzend unterschiedlichste technische Assistenzsysteme zum Einsatz: Bettensensorik liefert pflegerelevante Daten zur Dekubitus- und Sturzprävention. Pflegefachpersonen interpretieren dazu die dargestellten Bewegungsprofile und erfassen mögliche Risiken aufgrund ihrer pflegerischen Fachexpertise. Medizinische Geräte und Produkte werden getrackt, sodass medizinisches Personal beispielsweise sehen kann, wo gerade der Sonographiewagen steht. Augmented Reality und Virtual Reality werden vor allem in der Fort- und Weiterbildung eingesetzt. Auch Exoskelette, eine Art robotische Stützstruktur zur Unterstützung bei schweren körperlichen Tätigkeiten, sind in der Testung.
Kommt dabei auch Künstliche Intelligenz zum Einsatz?
Schmidt-Rumposch: Künstliche Intelligenz (KI) bietet vielversprechende Möglichkeiten für den klinischen Einsatz. Seit 2019 bereichert daher das Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM) die UME und die Medizinische Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Auch in der Pflege arbeiten wir an Innovationen durch Versorgungsforschung. Beispielsweise das Projekt "KIADEKU", gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, soll KI-Unterstützung liefern: Eine App wird Pflegefachpersonen in der korrekten Einschätzung von Dekubitus und Inkontinenz-assoziierter Dermatitis sowie der Einleitung von personalisierten, evidenzbasierten Pflegeinterventionen unterstützen. Eine konsequente Patientenperspektive nimmt auch das Forschungsprojekt Digi-Care ein, bei dem eine App zur Unterstützung des Selbst- und Symptommanagements von onkologisch erkrankten Patientinnen und Patienten entwickelt wird.
Was davon ist tatsächlich schon am Start oder geht es hier auch noch viel um Ideen und "Zukunftsmusik"?
Schmidt-Rumposch: Man muss ehrlich sagen, dass Robotik in der direkten pflegerischen Versorgung bisher eher ein Forschungs- statt ein Praxisfeld darstellt. Daher arbeiten wir in der UME aktuell daran, Einsatzbereiche in der direkten Pflege zu identifizieren: Anfang 2024 findet am Universitätsklinikum Essen ein Workshop der United Robotics Group in Kooperation mit Industriepartnern statt, um die Frage zu diskutieren, an welcher Stelle Robotik-Systeme unterstützen können.
Neben unserer Stabsstelle „Entwicklung und Forschung Pflege“ werden auch Studierende unseres Studiengangs „Pflege und Digitalisierung“ sowie bereichsbezogen unsere Advanced Practice Nurses (Pflegefachpersonen, die über umfangreiche klinische Fähigkeiten sowie eine spezifische (Fach-)Weiterbildung und/oder einen akademischen Hochschulabschluss verfügen) ihre pflegefachliche Expertise einbringen. Mir ist wichtig, dass sich Pflege aktiv einbringen kann – auch in Digitalisierungsfragen.
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