Interview Pflege

„Wir brauchen Pflegende, die Pflege evidenzbasiert gestalten“

13.11.2023 Silke Heller-Jung 4 Min. Lesedauer

Der Wissenschaftsrat empfiehlt, dass mindestens jede zehnte Pflegefachperson in Deutschland eine akademische Ausbildung haben sollte. Was dafür nötig ist und welche Vorteile damit verbunden sind, erklärt Uta Gaidys.

Foto: Männer und Frauen in Pflegekleidung sitzen an Tischen und schreiben auf Blöcke.
Die Akademisierungsrate in der Pflege ist nach wie vor gering.
Foto: Logo G+G-Spezial

Der Wissenschaftsrat hat sich bereits 2012 dafür ausgesprochen, dass zehn bis 20 Prozent eines Ausbildungsjahrgangs in der Pflege eine akademische Ausbildung haben sollten. Warum?

Prof. Dr. Uta Gaidys:
Wir brauchen einen höheren Anteil von akademisierten Pflegenden, die in der Lage sind, Pflege evidenzbasiert zu gestalten und wissenschaftliche Erkenntnisse im Versorgungsalltag umzusetzen. Akademisch ausgebildete Pflegende müssen nicht nur im Management, sondern vor allem auch unmittelbar in der Patientenversorgung präsent sein. Bei einer Akademisierungsquote von zehn bis 20 Prozent, so die Überlegung, können wir davon ausgehen, dass wissenschaftsbasiertes Wissen wirklich eine Wirkung in der Versorgung entfalten kann.

„Wissen muss in der Versorgung wirken.“

Prof. Dr. Uta Gaidys

Professorin für Pflegewissenschaft an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und Mitglied des Wissenschaftsrats

Ist diese Zielmarke nach wie vor aktuell?

Prof. Dr. Gaidys: Wir Menschen werden immer älter. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko für chronische Erkrankungen, für Demenzen und vieles mehr. Da gibt es einen hohen Pflege-, Beratungs- und Schulungsbedarf und eine große Notwendigkeit, Angehörige in die Versorgung einzubeziehen. All das sind pflegerische Aufgaben.

Wir sehen, dass in Europa in einem Großteil der Länder Pflegende studieren. Und wir sehen, welche Wirkung das entfalten kann. Der Wissenschaftsrat möchte Empfehlungen geben, die realistisch umgesetzt werden können, in einer realistischen Zeit. Auf jeden Fall sind zehn bis 20 Prozent akademisch ausgebildete Pflegende eine gute Ausgangsbasis, auch für die weitere Entwicklung der Disziplin Pflege. Für eine gute Gesundheitsversorgung brauchen wir Pflegende, die pflegerische Fragestellungen mit wissenschaftlichen Methoden beantworten können.

Foto: Porträt von Prof. Dr. Uta Gaidys ist ausgebildete Krankenschwester, Professorin für Pflegewissenschaft an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und Mitglied des Wissenschaftsrats.
Prof. Dr. Uta Gaidys ist ausgebildete Krankenschwester, Professorin für Pflegewissenschaft an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und Mitglied des Wissenschaftsrats.

Was ist nötig, um die Akademisierungsquote zu erhöhen?

Prof. Dr. Gaidys:
Wir müssen die Pflege als Profession, als Beruf und als Wissenschaft, so attraktiv machen, dass Menschen sagen: Diesem Aufgabenfeld möchte ich mich widmen, weil es einerseits eine hohe Sinnhaftigkeit verspricht und andererseits auch eine hohe kognitive Leistungsbereitschaft erfordert. Ich glaube, beides haben wir bisher noch nicht gut zusammengebracht.

Nötig ist außerdem eine höhere Autonomie und Verantwortungsübergabe an Pflegende. Sie müssen in der Lage sein, Versorgungsentscheidungen selbstständig zu treffen. Das heißt: Sie brauchen Kompetenz für diese Entscheidungen. Sie müssen rechenschaftspflichtig werden für diese Entscheidungen, und das bedeutet wiederum einen großen eigenen Gestaltungsspielraum für ihre Berufsausübung.

Wissenschaftsrat mahnt Akademisierung an

Um dem Personalmangel in der Pflege zu begegnen, hat der Wissenschaftsrat (WR) seine Empfehlung nach einer stärkeren Akademisierung bekräftigt. Unter dem Titel „Perspektiven für die Weiterentwicklung der Gesundheitsfachberufe. Wissenschaftliche Potenziale für die Gesundheitsversorgung erkennen und nutzen“ legte der WR im Oktober 2023 detaillierte Empfehlungen vor.

Der Wissenschaftsrat spricht sich dafür aus, dass künftig bis zu 20 Prozent der Angehörigen der Gesundheitsfachberufe akademisch ausgebildet sein sollen.  Das Papier, das die schon jetzt gravierenden Personallücken in manchen Bereichen der Gesundheitsversorgung aufzeigt, knüpft damit an die WR-Empfehlungen aus dem Jahr 2012 an. Schon damals hatte der Rat vor dem Hintergrund des zunehmenden Personalmangels in der Pflege zu einer Akademisierungsquote von bis zu 20 Prozent geraten. Die aktuellen Empfehlungen basieren auf einer umfangreichen Studie mit quantitativen und qualitativen Erhebungen.

Der Wissenschaftsrat zu "Perspektiven für die Weiterentwicklung der Gesundheitsfachberufe".

Dieses Interview erschien im G+G-Spezial 11/2023 zum Thema „Fachkräftesicherung in der Pflege“.
 

Foto: Ein kleiner Junge mit einem gelben Bauarbeiterhelm zieht eine Holzlatte.

G+G-Spezial

„Fachkräftesicherung in der Pflege"

Format: PDF | 2 MB

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