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Mit System den Fehlern in der Pflege auf der Spur

23.12.2024 Hilke Nissen 4 Min. Lesedauer

In Krankenhäusern haben sich Fehlermeldesysteme zu sicherheitsrelevanten Ereignissen in der Behandlung bewährt. Die Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) entwickelt nun ein zentrales Berichts- und Lernsystem, um auch pflegebezogene Risiken für Menschen in der Langzeitpflege zu verringern. Ab Frühjahr 2025 soll es online gehen.

Eine Pflegekraft tippt auf der Tastatur eines Computers
Ein zentrales Berichts- und Lernsystem kann pflegebezogene Risiken für Menschen in der Langzeitpflege verringern.

In der aktuellen Jahresstatistik des Medizinischen Dienstes Bund 2023 entfallen 5,8 Prozent der gemeldeten Behandlungsfehlervorwürfe auf die Pflege. Diese Zahl bezieht sich auf den Anteil der pflegespezifischen Vorwürfe. Dies kann alle Behandlungsorte betreffen.

„In der Langzeitpflege in Deutschland ist das Themenfeld Sicherheitskultur und der konstruktive Umgang mit Fehlern sowie Berichts- und Lernsysteme noch weitgehend fremd“, betont Daniela Sulmann, Geschäftsleiterin in der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP). Diese Lücke will die Stiftung schließen.

Spätestens seit der Gründung des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) 2005, in dem Vertreter der Gesundheitsberufe und ihrer Verbände, der Krankenkassen, Patientenorganisationen sowie Industrie und Wirtschaft zusammenarbeiten, spielen Fehler in der Medizin und Pflege eine wichtigere Rolle. Das Bündnis setzt sich seitdem für eine sichere Gesundheitsversorgung ein, forscht zum Thema Patientensicherheit und bietet Fachinformationen und Handlungsempfehlungen für Expertinnen und Experten sowie die Patientenseite. Im Rahmen des jährlichen Welttages der Patientensicherheit organisiert das APS bundesweite Mitmachaktionen und Aufklärungsveranstaltungen. Dieses Jahr stand Diagnosesicherheit im Mittelpunkt. Auch durch Awareness-Kampagnen, wie #DeutschlandErkenntSepsis macht das Netzwerk auf wichtige Themen der Behandlungssicherheit aufmerksam.

Das Patientenrechtegesetz von 2013, das offiziell als „Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten“ bekannt ist, fokussiert sich primär auf die Rechte und Sicherheit im Arzt-Patienten-Verhältnis und in der medizinischen Versorgung. Im Bereich der Langzeitpflege greift es jedoch zu kurz, auch wenn einzelne Vorschriften aus dem Gesetz analog angewendet werden können. Zu diesem Ergebnis kamen zahlreiche Expertinnen und Experten in ihren Stellungnahmen vor und nach der Gesetzgebung, so auch Prof. Dr. Tanja Segmüller, Professorin für Alterswissenschaften an der Hochschule für Gesundheit in Bochum.

Sicherheit auch in der Pflege fördern

Pflegesicherheit ist das Ergebnis aller Maßnahmen, die darauf abzielen, die Pflegenden vor gesundheitlichen Schäden in der professionellen Pflege zu schützen. Essenziell sei dabei eine positive Sicherheitskultur, die sich unter anderem in einem offenen und konstruktiven Umgang mit Risiken und kritischen Ereignissen zeige, heißt es im ZQP. Pflegebezogene Risiken bestehen zum Beispiel bei der Medikation, Wundversorgung, Ernährung oder Hygiene. Auch Gewaltereignisse sind ein Gesundheitsrisiko für Pflegebedürftige und zugleich das Pflegepersonal.

Eine positive Sicherheitskultur in der Langzeitpflege zu stärken, war auch ein Ziel der Konzertierten Aktion Pflege (KAP). Laut den Vereinbarungen sollte eine „moderne und wertschätzende Fehler- und Lernkultur“ in Pflegeeinrichtungen und -diensten etabliert werden. Auch sollte ein bundesweites, einrichtungsübergreifendes Berichts- und Lernsystems für die Langzeitpflege eingerichtet werden.

Deutsche Krankenhäuser haben im Gegensatz zur Langzeitpflege flächendeckend ein klinisches Risikomanagement (seit 2014 verpflichtend) und Berichterstattungssysteme zur anonymen Meldung von kritischen Ereignissen (critical incident) oder auch Beinahe-Fehlern (near miss) etabliert. Rund 90 Prozent der Allgemeinkrankenhäuser beteiligen sich neben einer internen Analyse an einrichtungsübergreifenden Berichts- und Lernsystemen wie dem CIRS-Netz Deutschland. CIRS steht für „critical incident reporting system". In der Regel werden aus den CIRS-Analysen konkrete Maßnahmen abgeleitet und die Umsetzung der Maßnahmen auch überprüft. Das CIRS-Netz richtet sich an alle Mitarbeitenden in Krankenhäusern sowie an professionell Pflegende. „Allerdings ist nicht bekannt, inwiefern sich Pflegende in der Akutversorgung an entsprechenden Berichtssystemen beteiligen und welche Art von kritischen Ereignissen von ihnen berichtet werden“, erklärt Sulmann. Nun treibt das ZQP seit 2022 speziell für die ambulante und stationäre Pflege ein Pflege-CIRS voran.

Kritische Ereignisse in einem Pflege-CIRS anonym berichten

In dem neuen Online-Lernsystem können professionell Pflegende kritische Ereignisse aus ihrem Berufsalltag anonym schildern und erhalten Empfehlungen dazu, wie sie aus fachlicher Sicht künftig mit vergleichbaren Fällen umgehen sollten und wie sich kritische Ereignisse vermeiden lassen. Die Berichte werden mit den Empfehlungen vollständig anonymisiert veröffentlicht. Eine Verbindung zu einer Pflegeeinrichtung oder einzelnen Personen kann nicht hergestellt werden.

Das Angebot wird laut ZQP kostenfrei und ohne Registrierung zugänglich sein. Es kann zum individuellen Lernen sowie von Pflegeorganisationen für die Weiterentwicklung von Strukturen und Prozessen sowie der Förderung der Sicherheitskultur genutzt werden. „Besonders wichtig sind uns Anonymität und Unabhängigkeit des Pflege-CIRS sowie Praxistauglichkeit der Empfehlungen. Dies sind Grundvoraussetzungen für Akzeptanz und schließlich breite Nutzung des Angebots“, sagt Sulmann.

Doch die Einführung eines solchen Berichtssystems kann nach Auffassung des ZQP nur gemeinsam mit einem Kulturwandel hin zu einer positiven Sicherheitskultur in den Einrichtungen und Pflegediensten erfolgreich sein. Um hierzu Impulse zu setzen, wird das Pflege-CIRS flankierend im Rahmen des Projekts PriO-a entwickelt.

Mit dem Projekt „PriO-a“ die Sicherheitskultur in der Pflege etablieren

Das ZQP-Präventionsprojekt PriO-a möchte die Sicherheitskultur in der Pflege stärken. Hierbei wird zunächst auf die ambulante Pflege fokussiert. Bundesweit werden 14 ambulante Pflegedienste über dreieinhalb Jahre bis Ende 2025 vom ZQP begleitet.

Dies umfasst unter anderem systematische Bestandsaufnahmen zur Sicherheitskultur in jedem Pflegedienst, Inhouse-Schulungen, die Implementierung organisationsbezogen geeigneter Maßnahmen sowie die Evaluation.

Es konnten für PriO-A zahlreiche Verbände – unter anderem auch jene, die sich in der Konzertierten Aktion Pflege verpflichtet hatten, ein Berichtssystem zu etablieren – gewonnen werden. Dabei sind auch große Player wie der AWO Bundesverband, der Deutsche Caritasverband, die Diakonie Deutschland und das Deutsche Rotes Kreuz.

Die Kernthemen der Schulungen:

  • Wissen und Kompetenzen zu Sicherheitskultur und Pflegesicherheit mit den relevanten Begriffsbestimmungen vermitteln und damit ein gemeinsames Verständnis definieren.
  • Risikobewusstsein und Fähigkeit zur Selbstreflexion im Hinblick auf sicherheitsrelevante Prozesse und Einstellungen im Unternehmen entwickeln und damit einen konstruktiven Umgang mit kritischen Ereignissen lernen.
  • vertrauensbasierte Kommunikation lernen und vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, so dass Sicherheitsbedenken angstfrei angesprochen werden können. Die Zusammenarbeit im Team (Teambuilding) fördern. Dies ermöglicht die erwünschte Offenheit und Transparenz im Umgang mit kritischen Ereignissen wie Fehlern, um gemeinsam daraus zu lernen.

Das Vorgehen im Projekt PriO-a folgt dem Modell des „Gesundheitsförderungsprozesses“, das im Leitfaden Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen des GKV-Spitzenverbandes empfohlen wird. Kernziele sind dabei, die Zielgruppen einzubeziehen (Partizipation), sie zu stärkerer Eigenverantwortung zu befähigen (Empowerment) sowie langfristige Wirksamkeit zu erzielen (Nachhaltigkeit).

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Ab Frühjahr 2025 geht das Pflege-CIRS online

Die Entwicklung des Berichts- und Lernsystems sei weit fortgeschritten. „Das Pflege-CIRS wurde bereits auf Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Gestaltung getestet und entsprechend optimiert. Aktuell steht die Programmierung des Managementbereichs im Mittelpunkt“, erläutert Sulmann. Zudem werden derzeit vom ZQP weitere Praxismaterialien zur Stärkung von Sicherheitskultur für die professionelle Langzeitpflege entwickelt, etwa ein Leitfaden, Poster und eine Checkliste. Diese werden nach Abschluss des Projekts ab Ende 2025 frei zugänglich sein.

Das Pflege-CIRS wird voraussichtlich im Frühjahr 2025 veröffentlicht. Professionell Pflegende können dann über verschiedene Endgeräte wie Smartphones, Tablets, Desktop-PCs anonym und freiwillig über kritische Ereignisse berichten.

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