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Steigende Pflegekosten: Arbeitgeberverband Pflege fordert Entlastungen

15.05.2024 Solveig Giesecke 4 Min. Lesedauer

Vor dem Hintergrund der zum 1. Mai gestiegenen Pflegelöhne werden Forderungen nach einer Reform der Pflegefinanzierung lauter. So schlug etwa der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) Milliarden-Entlastungen vor. Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) legte neue Zahlen zur Höhe der Eigenanteile vor.

Foto: Mann im Rollstuhl und Pflegekraft unterhalten sich
Mehr als 30 Prozent der in stationären Pflegeeinrichtungen lebenden Menschen können die Eigenanteile der Kosten für das Pflegeheim nicht mehr aus ihrer Rente bezahlen.

Seit dem 1. Mai erhalten Pflegefachkräfte mindestens 19,50 Euro pro Stunde statt bisher 18,25 Euro, qualifizierte Hilfskräfte bekommen 16,50 Euro statt bisher 15,25 Euro. Für ungelernte Hilfskräfte steigt der Stundenlohn um 1,35 Euro auf 15,50 Euro. Die nächste Erhöhung ist zum Juli 2025 vorgesehen. Damit ist der Mindestlohn in der Pflege in den letzten drei Jahren um 30 Prozent erhöht worden. Die beabsichtigten Lohnsteigerungen wurden bereits unter der Vorgängerregierung beschlossen und tragen zur Attraktivität des Pflegeberufs und zur Planungssicherheit in den Einrichtungen bei.

Die Lohnsteigerungen wirken sich aber auch auf die pflegebedingten Kosten und damit auf die selbst zu zahlenden Eigenanteile der Pflegebedürftigen aus. Das führt dazu, dass immer mehr pflegebedürftige Menschen finanziell überfordert sind. Bereits mehr als 30 Prozent der in stationären Pflegeeinrichtungen lebenden Menschen können die Eigenanteile der Kosten für das Pflegeheim nicht mehr aus ihrer Rente bezahlen. Sie verzichten auf Leistungen - oder beantragen beim Sozialamt „Hilfe zur Pflege“, also Sozialhilfe. Zuvor müssen sie ihr Familienvermögen einsetzen – auch, wenn der Ehepartner noch in einer Wohnung lebt. Angehörige, die ab 100.000 Euro brutto im Jahr verdienen, werden herangezogen.

Steigende Lohnkosten belasten pflegebedürftige Menschen

Die Kostensteigerungen gingen zulasten der pflegebedürftigen Bewohner und ihrer Angehörigen, kritisierte der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) anlässlich der aktuellen Lohnsteigerungen und forderte Bund und Länder auf, versicherungsfremden Leistungen aus Steuermitteln zu finanzieren. „Es ist wichtig, dass in der Pflege gute Löhne gezahlt werden. Aber die Rechnung zahlen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen“, sagte AGVP-Präsident Thomas Greiner. „Die Pflegeversicherung blutet aus, Pflegeangebote werden teurer und die Versorgungssicherheit befindet sich im Sinkflug“, ergänzte Andrea Renatus, Geschäftsstellenleiterin des AGVP, gegenüber G+G.

Es brauche nicht „zwingend“ Steuerzuschüsse, fuhr Renatus fort, etwa zur „Dämpfung der stationären Eigenanteile“. Aber die „Pflegebedürftigen und Angehörigen müssen von den Ausbildungs- und Investitionskosten befreit werden“, so Renatus. Auch versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige hätten in der Pflegeversicherung „nichts verloren“. Die um versicherungsfremde Leistungen „entlasteten und ertüchtigten Pflegekassen“ müssten gesetzlich in die Verantwortung genommen werden, pflegerische Versorgung zu garantieren.

„Die Pflegeversicherung blutet aus, Pflegeangebote werden teurer und die Versorgungssicherheit befindet sich im Sinkflug.“

Andrea Renatus

Geschäftsstellenleiterin des AGVP

Eigenanteil in vollstationärer Pflege im Schnitt bei 2.267 Euro im Monat

Tatsächlich lag „die Gesamtbelastung für vollstationär pflegebedürftige Menschen“ zum Stichtag 31.03.2024 im Schnitt bei 2.267 Euro pro Monat, erklärte Antje Schwinger, Leiterin des Forschungsbereichs Pflege im WIdO auf G+G-Nachfrage. Das WIdO wertet quartalsweise die Preise und Eigenbeteiligungen in der vollstationären Pflege aus und hat gerade die aktuellen Zahlen für das erste Quartal 2024 präsentiert. Zu den Eigenanteilen gehören pflegebedingte Kosten, zu denen es seit 2022 je nach Wohndauer Zuschläge von der Pflegekasse gibt, Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten. Im ersten Quartal mussten Heimbewohner laut AOK-Bericht von Ende März 2024 durchschnittlich 847 Euro pro Monat an einrichtungseinheitlichen Eigenanteilen selbst tragen, die Pflegeversicherung zahlte im Schnitt 717 Euro hinzu. Dazu kamen durchschnittlich 931 Euro an Kosten für Unterkunft und Verpflegung und 489 Euro an Investitionskosten.

Laut Prognose des WIdO werden selbst bei Annahme von moderaten Lohnsteigerungen – denn diese bedingen die pflegebedingten Kosten maßgeblich –  spätestens ab 2025 die Eigenanteile wieder ansteigen - und zwar obwohl die Pflegesätze ebenfalls angehoben werden.
 

Moll fordert Neudenken nach 30 Jahren Pflegeversicherung

Die Pflegebeauftragte, Claudia Moll, wies angesichts der AGVP-Forderung nach einem Lohnkostenzuschuss aus Steuermitteln mit Blick auf die „Hilfe zur Pflege“ darauf hin, dass „schon heute“ Steuermittel flößen, „wenn beispielsweise die Pflegekosten nicht selbst aufgebracht werden können“. Auch sie forderte aber ein Neudenken „nach 30 Jahren Pflegeversicherung“. „Das Gesundheitsministerium wird daher zeitnah einen Vorschlag vorlegen, wie eine stabile und langfristige Finanzierung der Pflegeversicherung aussehen kann“, zeigte sie sich gegenüber G+G zuversichtlich. Die Bundesregierung hatte zugesagt, bis zum 31. Mai 2024 Empfehlungen für eine stabile und dauerhafte Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung vorzulegen.

Das „eigentlich drängende Problem“ sei aber ein anderes, fuhr Moll fort. „Denn denken wir an die demografische Entwicklung, braucht es in erster Linie mehr Menschen, die den Pflegeberuf ergreifen“, sagte sie. Einerseits müsse der Beruf noch attraktiver gestaltet werden. Hier habe der Gesetzgeber zum Beispiel mit der Bezahlung auf Tarifniveau „schon ordentlich vorgelegt“. Andererseits müssten die Weichen auch für die Weiterentwicklung der Pflege im Quartier gestellt werden, forderte Moll.

Sozialverbände und Gewerkschaften drängen bei der Neuausrichtung der Pflegefinanzierung auf eine Umstellung der Teilfinanzierung von Pflegekosten auf eine Vollfinanzierung und schlagen dazu die Einführung einer Bürgerversicherung vor.

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1 Kommentar

Warum wird eigentlich immer nur auf die steigenden Eigenanteile in der stationären Versorgung hingewiesen? Die Probleme im ambulanten Sektor werden - wie so oft - gar nicht erst benannt. Dort werden die steigenden Preise leider oft durch das Weglassen von vorher in Anspruch genommenen Leistungen kompensiert. Dadurch wiederum steigt die ohnehin schon hohe Belastung pflegender Angehöriger. Außerdem sei angemerkt, dass die Löhne in der Altenpflege längst weit über den Mindestlöhnen gemäß der 6. Pflegearbeitsbedingungsverordnung liegen.

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