Rückengesund pflegen - Ein Modellvorhaben macht Schule
Rückenschmerzen gehören für viele Pflegekräfte zum Alltag. Kaum ein Handgriff, der nicht belastet, kaum ein Arbeitstag ohne Risiko für den Rücken. Damit der Rücken gesund bleibt, haben Krankenkassen und die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege ein Modellvorhaben gestartet. Es geht um Techniken und Hilfsmittel, aber auch um eine Kultur der Fürsorge – für die Pflegenden selbst. Eine Projektleiterin, eine Trainerin und zwei Einrichtungen sprechen über ihre Erfahrungen.

Elisabeth Wilke war in den vergangenen Monaten in einer Mission unterwegs, die leise klingt, aber große Wirkung entfalten kann. Als Trainerin im Modellvorhaben „Rückengesunde Pflege“ reiste sie von Einrichtung zu Einrichtung in Brandenburg, um mit Pflegekräften zu üben, was im Alltag oft zu kurz kommt: Techniken, Griffe, Abläufe, mit denen sie pflegebedürftige Menschen mobilisieren können, ohne den eigenen Körper zu verschleißen. Ihre Aufgabe ist, zu zeigen, wie Pflege geht – nicht auf dem Rücken der Pflegenden, sondern mit den richtigen Ansätzen und Hilfsmitteln.

Denn Pflege braucht Entlastung – körperlich, aber auch strukturell. Genau da setzt das Modellvorhaben an, das von gesetzlichen Krankenkassen gemeinsam mit der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) getragen wird. „Wir wollen gezielt Belastungen für den Rücken abfedern, indem passende Techniken und Hilfsmittel bei Tätigkeiten dort eingesetzt werden, wo sie die größte Entlastung bringen“, sagt Petra Homberg. Die Expertin für Betriebliche Gesundheitsförderung im AOK-Bundesverband hat auf Seiten der gesetzlichen Krankenkassen beim Modellvorhaben die Projektleitung. Das Vorhaben bündelt das Präventions- und Gesundheitsförderungs-Know-how – interdisziplinär, sektorenübergreifend, mit einem systemischen Blick auf die Realität in kleinen und mittleren Pflegeeinrichtungen. Denn gerade dort fehle es oft an Ressourcen, Strukturen und Zeit – nicht am Bedarf, meint Homberg. Dafür entwickelten die Projektpartner in verschiedenen Arbeitsgruppen Leitfäden und Checklisten für Beratungen und Schulungen sowie Evaluationskonzepte, berichtet Homberg: „Es war uns wichtig, das Modellvorhaben mit Blick auf die Praxis zu konzipieren – um die Pflegenden zu entlasten und mit ihren Fragen im Zentrum."
„Theorie muss zur Praxis passen“

Daran orientiert sich Wilke bei ihren Trainings. Im Fokus stehen dabei ergonomisches Arbeiten und der gezielte Einsatz von Hilfsmitteln wie Rutschbrett, Gleittuch oder Tragegurt. In ihren Schulungen verbindet sie Theorie mit direkter Anwendung. „Ich frage zuerst, was gebraucht wird und passe mein Schulungskonzept entsprechend an“, sagt die Physiotherapeutin, die viel Erfahrung aus der Tätigkeit in Pflegeheimen und bei Hausbesuchen mitbringt. Der Austausch mit der Einrichtung ist für sie eine Selbstverständlichkeit: Was fehlt, wo drückt es im Alltag, was wünschen sich die Pflegenden? Den theoretischen Rahmen bettet sie in echte Alltagssituationen ein, „denn jeder hat seine eigene Renate oder seinen Horst im Kopf – also Menschen, die schwer zu mobilisieren sind. Man muss also genau dort ansetzen. Theorie muss zur Praxis passen, sonst bleibt sie auf der Strecke“, ist Wilke überzeugt.
Pflege muss nicht auf den Rücken gehen

Im Pflegezentrum Wunderlich in Forst (Lausitz) hat man längst verstanden, dass gute Pflege nicht auf Kosten der Gesundheit gehen darf. Die körperlichen Anforderungen sind auch im ambulanten Bereich enorm. „Wir haben eine hohe Belastung des Muskel- und Skelettapparats“, sagt Maria Schmidt, stellvertretende Geschäftsführerin. „Und genau deshalb war für uns klar: Wir machen bei dem Modellvorhaben mit.“ Sieben Mitarbeitende nahmen an einer zweitägigen Schulung teil – eine bewusst kleine Gruppe, intensiv von Elisabeth Wilke begleitet, mit dem Ziel, Multiplikatoren zu schaffen. „Die Trainerin war großartig“, erzählt Schmidt, „die Mitarbeitenden haben geübt, sich selbst ins Bett gelegt, Gleitmatten ausprobiert.“ Besonders die Gleittücher hinterließen Eindruck.
Das bestätigt auch Wilke: „Das Gleittuch ist tatsächlich der Gewinner der Schulung.“ Obwohl es seit Jahren auf dem Markt ist, sei es vielen kaum bekannt. Deshalb überrascht der Effekt: Denn es ist nur ein dünner Stoff, der unter dem Körper gleitet und trotzdem biete es Sicherheit und Entlastung.

Auch die Sanzeberg Seniorenresidenz in Cottbus gehört zu den Einrichtungen, die Wilke betreut. „Wir möchten, dass unsere Mitarbeitenden ihren Beruf viele Jahre ausüben können, ohne sich kaputt zu machen“, sagt Anne Kunze, die die Pflegedienstleitung im stationären Bereich innehat. Fünf Mitarbeitende der Einrichtung aus verschiedenen Bereichen – stationär und ambulant – nahmen an der dreitägigen Schulungsreihe teil. „Was besonders gut ankam, war die enge Zusammenarbeit während der Trainings. Die Situation – eine Trainerin und fünf Teilnehmende – hat intensive Anleitung und Raum für konkrete Fälle aus dem Alltag ermöglicht“, so die Pflegedienstleitung. Die Inhalte werden nun als Impulse über die geschulten Mitarbeitenden weitergetragen – nicht als starres Konzept, sondern als alltagstaugliches Werkzeug.
„Die Aha-Momente entstehen meist im Tun“, erklärt Wilke. So ist beispielsweise bei den Schulungen aufgefallen: Nicht jedes Hilfsmittel funktioniert überall. „Die Anti-Rutsch-Matte etwa – großartig im Heim, ist in der Häuslichkeit oft nutzlos, weil sie auf Elastanlaken wegrutscht“, erklärt Wilke. Die Lösung sei dabei einfach: das Laken wegnehmen.
Das habe bei den Teilnehmenden für Heiterkeit gesorgt. Ihre Kommentare: „Okay, hätte ja mal selber draufkommen können.“ Wilke arbeitet nach der Devise: In der Praxis hilft oft zeigen mehr als reden. Ihrer Ansicht nach braucht Pflege auch Raum, um die richtigen Handgriffe und Techniken regelmäßig zu üben. Die AOK, sagt sie, habe mit dem Modellvorhaben dafür den richtigen Impuls gesetzt.
Evaluation steht noch aus

Die teilnehmenden Einrichtungen steht es frei zu wählen, ob sie ihre Mitarbeitenden an zwei ganzen oder drei halben Tagen schulen lassen wollen. Zwischen den Terminen sollen die Teilnehmenden die gezeigten Techniken im Arbeitsalltag testen, um dann Rückmeldung zu geben, wie und ob es geklappt hat.
Sowohl in Forst als auch in Cottbus sind die Schulungen bereits gelaufen. In anderen Einrichtungen werden die Schulungen noch erprobt. Die abschließende Evaluation, mit der ein unabhängiges Institut beauftragt ist, steht noch aus. Die Ergebnisse mit Empfehlungen für die praktische Arbeit sollen voraussichtlich Anfang 2027 vorliegen. Erste Rückmeldungen zeigen, dass die Maßnahmen ankommen – als konkreter Wissenszuwachs und als Zeichen der Fürsorge. „Die Pflegekräfte erleben echte Wertschätzung, weil es um sie geht: um ihren Rücken, um ihre Gesundheit, um ihren Alltag“, sagt Projektleiterin Homberg. Doch für langfristige Wirkung braucht es mehr als gute Schulungen. „Es braucht Multiplikatoren in den Einrichtungen, Menschen, die das Thema hochhalten“, so Homberg. „Denn in der Pflege stehen oft die Bedürfnisse der Bewohner an erster Stelle. Dass auch die Pflegenden selbst zählen – daran müssen wir sie gemeinsam immer wieder erinnern.“
Das ist beim Pflegedienst Wunderlich bereits Realität. Heute spricht das Team offen über Rückenentlastung: in den Dienstbesprechungen und unter Kolleginnen. „Die Mitarbeitenden fragen häufiger nach den Hilfsmitteln, sie denken anders, selbstfürsorglicher“, erzählt Schmidt. Die Inhalte der Schulungen lebten weiter im Austausch, in der täglichen Anwendung. „Das ist unsere Aufgabe als Arbeitgeber – aber auch die der Mitarbeitenden selbst.“ Jede Pflegedienstleitung in der Einrichtung trage nun Verantwortung dafür, dass das Wissen frisch bleibt. Dass ein solches Projekt überhaupt möglich wurde, erfüllt Schmidt mit Dankbarkeit. „Ich finde es großartig, dass die AOK solche Angebote macht – nicht erst, wenn es zu spät ist, sondern im Vorfeld, als echte Präventionsarbeit.“
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