Artikel Pflege

Den Rücken mehr in den Fokus rücken

30.01.2025 Maria Sinjakowa 5 Min. Lesedauer

Wer einen Menschen pflegt, ist vielen Belastungen ausgesetzt. Das geht sowohl an die Psyche als auch auf den Körper. In unbequemer Haltung verharren, andere stützen, heben, lagern – all das gehört zum Alltag von Pflegenden. Kreuzschmerzen sind häufig die Folge. Wer sich davor schützen will, sollte wissen, wie Rückenschmerzen entstehen und wie es gelingt, sie zu vermeiden.

Foto: Eine Frau in grüner Pflegetracht greift sich an die Schulter und verzieht das Gesicht.
Wegen Rückenschmerzen fielen Beschäftigte in der Altenpflege im Jahr 2023 durchschnittlich 4,4 Tage aus.

Die Rückenschmerzen

Dieses Gefühl kennen viele – ein stechender Schmerz zieht durch den Rücken, als wolle sich der Körper gegen jede einzelne Bewegung wehren. Kreuzschmerzen können den Alltag zur Qual machen. Einfache Aufgaben wie Aufstehen, Gehen oder Sitzen sind kaum zu bewältigen. Für Betroffene wird selbst die kleinste Bewegung zur Herausforderung. Dabei sind Rückenschmerzen nicht gleich Rückenschmerzen. Manche haben eine klare Ursache – ein Bandscheibenvorfall etwa, eine Zerrung oder eine Entzündung. Diese spezifischen Schmerzen sind oft behandelbar. Viel häufiger jedoch bleibt die Ursache von Rückenschmerzen im Dunkeln. Diese unspezifischen Schmerzen machen den Großteil der von Ärzten dokumentierten Fälle aus. Die Frage, warum der Rücken schmerzt, ist auch deshalb nicht einfach zu beantworten, weil diese Körperregion – also von der Halswirbelsäule bis zum Steißbein – komplex ist. Ein Netz aus Knochen, Muskeln und Nerven trägt das gesamte Gewicht eines Menschen und hält den Körper gleichzeitig beweglich. Und genau das macht den Rücken so anfällig.

Die Häufigkeit der Erkrankung und ihre Kosten

In Deutschland sind Rückenschmerzen eines der häufigsten Gesundheitsprobleme. Dem Gesundheitsatlas des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zufolge litten im Jahr 2021 hierzulande rund 26 Millionen Menschen unter Rückenschmerzen. Das entspricht 31 Prozent der Bevölkerung und betrifft fast jede dritte Person. Dieser hohe Wert ist laut WIdO seit 2017 nahezu unverändert geblieben.

Rückenschmerzen gehören zudem zu den teuersten Erkrankungen. Laut Krankheitskostenstatistik des Statistischen Bundesamtes verursachten Rückenleiden im Jahr 2020 Ausgaben in Höhe von 11,6 Milliarden Euro. Damit übertreffen sie sogar die Kosten für Volkskrankheiten wie Diabetes, Schlaganfälle oder Depressionen.  Auch die wirtschaftlichen Folgen von Rückenschmerzen sind enorm. Laut WIdO fehlte 2023 durchschnittlich jede berufstätige Person 2,9 Tage im Jahr krankheitsbedingt wegen Rückenbeschwerden am Arbeitsplatz. Hochgerechnet auf die knapp 34,7 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland ergibt das knapp 100 Millionen Fehltage allein im Jahr 2023.

Die Situation in der Pflege

In der Pflege gehören Rückenbeschwerden fast schon zum Alltag. Das legen auch Auswertungen der krankheitsbedingten Fehltage des WIdO nahe. So fielen im Jahr 2023 Beschäftigte in der Altenpflege wegen Rückenschmerzen durchschnittlich 4,4 Tage aus. In der Gesundheits- und Krankenpflege waren es 3,3 Tage. Beide Werte übersteigen den Durchschnitt aller Erwerbstätigen.

Die Arbeit in der Pflege ist fordernd – oft zu fordernd. Hoher Zeitdruck, Personalmangel und das ständige Überschreiten der eigenen Belastungsgrenzen sind an der Tagesordnung. Dabei bleibt die eigene Gesundheit oft auf der Strecke. „Pflegekräfte setzen alles daran, den Menschen bestmöglich zu helfen – und vergessen dabei oft sich selbst. Besonders der Rücken zahlt dann den Preis“, sagt Petra Homberg. Doch Rückenschmerzen in der Pflege sind kein Schicksal. Davon ist die AOK-Expertin für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) überzeugt. Mit den richtigen Maßnahmen lassen sie sich verhindern.

„Pflegekräfte setzen alles daran, den Menschen bestmöglich zu helfen – und vergessen dabei oft sich selbst. Besonders der Rücken zahlt dann den Preis“

Petra Homberg

AOK-Expertin für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF)

Die Betriebliche Gesundheitsförderung

Homberg betreut seit vielen Jahren Unternehmen, darunter viele Pflegeeinrichtungen und unterstützt bei der Entwicklung eigener Strategien mit dem Ziel, die Arbeitsumgebung gesundheitsgerecht zu gestalten. Deshalb weiß sie um die vielen Möglichkeiten, die BGF den Einrichtungen bietet, damit Pflegekräfte nicht länger die Arbeitslast buchstäblich auf ihrem Rücken tragen müssen. Von ergonomischen Arbeitsverfahren über den Einsatz von Hilfsmitteln und gezielten Schulungen bis hin zu einer bessere Arbeitsorganisation – die Palette ist breit. Doch wo sollte man anfangen?

Pflegeeinrichtungen stehen oft vor der Frage, welcher Weg für sie der richtige ist, um die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu fördern. Eine der Möglichkeiten ist, zunächst die aktuelle Situation unter die Lupe zu nehmen, um herauszufinden, wo der Schuh drückt. BGF-Fachleute sprechen hier von Bedarfsanalyse. Doch viele Einrichtungen schrecken davor zurück. Der Prozess gilt als zeitaufwendig und mühsam: Fragebögen entwickeln, Mitarbeitende befragen, Ergebnisse auswerten. „All das kostet Kraft und frisst die eh schon knappen Ressourcen. Trotzdem lohnt sich die Bedarfsanalyse. Sie ist der erste wichtige Schritt hin zu einem wirkungsvollen Gesundheitsmanagement“, sagt Homberg. „Sie liefert wertvolle Hinweise, wo die größten Belastungsfaktoren und -spitzen bestehen. Beim Abbau dieser Belastungsfaktoren können Pflegeeinrichtungen dann gezielt ansetzen.“

Weil Gesundheitsförderung eine Kernaufgabe der Krankenkassen ist, unterstützt die AOK Pflegeeinrichtungen bei diesem Prozess. Das Angebot reicht von Arbeitsunfähigkeitsanalysen über Workshops und Schulungen bis hin zu umfassenden Programmen und Instrumenten. Ein Beispiel dafür ist QualiPEP – ein Werkzeug für qualitätsorientierte Prävention und Gesundheitsförderung. Mithilfe von Checklisten können Einrichtungen eigenständig prüfen, wo sie bei Themen wie körperliche Aktivität oder Stressprävention stehen. Die Qualitätskriterien in den Checklisten dienen als Leitfaden, um passende Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.

Steht beispielweise fest, dass eine Einrichtung, ihre Arbeitsabläufe rückenschonend gestalten möchte, sind vor allem Führungskräfte gefragt. Sie können etwa dafür sorgen, dass ein ausgewogener Wechsel zwischen stehenden, sitzenden und körperlich belastenden Tätigkeiten im Arbeitsalltag stattfindet. „Das schont nicht nur den Rücken, sondern verbessert erfahrungsgemäß auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden auf lange Sicht“, so Homberg.

Der Körper

Der AOK-Expertin zufolge muss rückenschonendes Arbeiten außerdem regelmäßig geübt und angewendet werden. „Es reicht nicht aus, das einmal zu lernen. Pflegekräfte müssen ihr Wissen immer wieder auffrischen, um langfristig gesund zu bleiben.“ Das betrifft auch den Umgang mit Hilfsmitteln wie Lifter oder Rutschtücher. „Nur wer die Hilfsmittel sicher handhaben kann, setzt sie im Alltag auch ein“, berichtet Homberg. Dabei entlasten sie nicht nur den Rücken der Pflegekräfte, sondern verbessern auch die Sicherheit und den Komfort für die Pflegebedürftigen.

Trotz vorhandener Hilfsmittel lassen sich körperlich anstrengende Aufgaben nicht vermeiden – vor allem bei der Betreuung bewegungseingeschränkter Menschen. Damit sie sich dabei nicht überlasten, setzen viele Einrichtungen auf Kinästhetik. Laut European Kinaesthetics Association kann die Methode helfen, neue Bewegungsmöglichkeiten zu entdecken und arbeitsbedingte Rückenschmerzen, Verspannungen oder andere körperliche Beschwerden anzugehen, im Alter beweglich und selbständig zu bleiben, oder auch sich mit der eigenen Kreativität und Flexibilität (z.B. im Umgang mit Stress) auseinanderzusetzen. Dabei fördert Kinästhetik die Zusammenarbeit zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen. „Man nutzt die Energie des Gegenübers, um die eigene Kraft zu schonen“, erklärt Homberg. Statt Heben oder Ziehen stehen sanfte Bewegungen im Mittelpunkt. Ruckartige oder schwungvolle Aktionen, die den Rücken belasten, werden vermieden.

Bei allen Rückenangeboten in der Pflege ist nach Meinung von Homberg ein ganzheitlicher Ansatz wichtig. Es solle darum gehen, den Alltag rückenfreundlich zu gestalten, Fehlbelastungen zu vermeiden und die Muskulatur regelmäßig zu dehnen und zu kräftigen. Auch dafür bietet die AOK Programme, zum Beispiel „Rückenaktiv“ und „Rückenaktiv im Job“ oder den „AOK-Rückentrainer“. Solche Schulungen tragen nicht nur dazu bei, das Risiko von körperlichen Beschwerden zu reduzieren, sondern erhöhen auch das Wohlbefinden der Mitarbeitenden. „Ein gesunder Rücken ist ein wichtiger Faktor, um langfristig in diesem anspruchsvollen Beruf arbeiten zu können“, betont die AOK-Expertin.

Die Psyche

Doch Rückenschmerzen entstehen nicht immer durch körperliche Überlastung. Häufig sind auch Stress und psychische Belastung die Ursache. „Ein hoher Stresspegel führt oft zu Verspannungen und Schmerzen“, sagt Homberg. Pflegeeinrichtungen sollten daher nicht nur auf die körperliche Gesundheit achten, sondern auch psychische Belastungen ihrer Mitarbeitenden ernst nehmen. Auch hierfür können Pflegeeinrichtungen die QualiPEP-Checklisten nutzen. Damit lassen sich zum Beispiel die Organisation der Arbeit oder die Führungskultur auf die Gesundheit auszurichten, um stressbedingte Beschwerden zu verringern sowie die psychische Gesundheit von Beschäftigten in der Pflege langfristig zu sichern.

Und auch im Alltag lässt sich viel tun, ist Homberg überzeugt. Zum Beispiel: kurze Wege lieber zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen, die Treppe statt des Fahrstuhls nutzen oder eine Station früher aussteigen und die restliche Stecke laufen. „All das stärkt den Rücken. Gleichzeitig profitiert das Immunsystem, und das allgemeine Wohlbefinden steigt. Das Beste für den Rücken ist also, in Bewegung zu bleiben“, rät Homberg.

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