Artikel Pflege

Klarheit und Unterstützung – Das Rilchinger Rezept gegen Sucht

15.10.2024 Maria Sinjakowa 8 Min. Lesedauer

Mitarbeitende in der Pflege und Betreuung stehen täglich unter Druck. Für einige bietet der Griff zu Medikamenten oder Suchtmitteln einen vermeintlichen Ausweg. Doch eingeschränkte Reaktionsfähigkeit und falsche Entscheidungen können fatale Konsequenzen haben. Programme zur Suchtprävention, wie sie die Barmherzigen Brüder Rilchingen seit Jahren erfolgreich umsetzen, schaffen nicht nur Bewusstsein für die Risiken des Suchtmittelmissbrauchs, sondern bieten Betroffenen auch konkrete Unterstützung.

Foto: Eine Pflegekraft hält in einer Hand ein Glas Wasser und in der anderen Hand Medikamente.
Medikamente oder Suchtmittel suggerieren manchen Menschen eine kurze Verschnaufpause vom psychischen und körperlichen Druck. Doch die Folgen können gravierend sein.

In Rilchingen-Hanweiler, einer Gemeinde im Saarland nahe der französischen Grenze, gehören Sekt und Wein wie selbstverständlich zur Lebensart dazu. Sie sind Bestandteil jeder Feier. Ob bei Hochzeiten, Familien- oder Betriebsfesten – das Glas soll immer gefüllt sein. Doch diese jahrhundertealte Tradition birgt eine stille Gefahr: eine sorglose Einstellung zum Alkoholkonsum, die das Risiko für Abhängigkeit schleichend erhöht. Denn bei Alkohol ist der Übergang zwischen Genuss und Gewohnheit oft fließend – mit Folgen, die kaum jemand offen anspricht.

Die Versorgungseinrichtungen

Foto: Frank Jordan, Einrichtungsleitung Besondere Wohnformen (BB - Rilchingen)
Frank Jordan, Einrichtungsleitung Besondere Wohnformen, Barmherzige Brüder Rilchingen

Was Alkohol mit Menschenleben machen kann, davon kann Frank Jordan viele Stunden erzählen. Der studierte Sozialpädagoge leitet zwei Versorgungseinrichtungen der Barmherzigen Brüder Rilchingen. Das Haus Johannes von Gott bietet Wohn- und Betreuungsmöglichkeiten für Menschen mit einer bestehenden Alkoholabhängigkeit. Und im Haus St. Elisabeth finden Menschen mit psychischen Erkrankungen Unterstützung und Begleitung. In die Einrichtungen kommen Menschen, die den Kampf gegen ihre Sucht verloren haben und damit nun leben müssen.

Oft bedingen sich die Alkoholabhängigkeit und psychische Erkrankungen gegenseitig. „Man weiß nicht, was da Henne und was Ei ist. Nicht selten konsumieren psychisch erkrankte Menschen Alkohol, um ihre seelische Balance wiederherzustellen. Dadurch verschaffen sie sich kurzfristig Erleichterung. Und umgekehrt: Menschen, die langjährig Alkohol trinken, um ihre Probleme zu vergessen, können dadurch auch psychische Erkrankungen auslösen“, erklärt Jordan.

Seine langjährigen Erfahrungen mit abhängigen und psychisch kranken Menschen haben den Sozialpädagogen dazu veranlasst, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen das Thema Suchtprävention im betrieblichen Umfeld anzugehen. „Menschen, die in unseren Einrichtungen leben, haben ein Recht auf eine professionelle Betreuung. Diese Professionalität können wir nur gewährleisten, wenn unsere Fachkräfte in einem Zustand völliger Klarheit arbeiten – also ohne jegliche Beeinträchtigung ihrer Sinne durch Alkohol oder andere Substanzen. Es geht darum, die Sicherheit unserer Klientinnen und Klienten zu garantieren. In diesem Punkt gibt es keine Kompromisse und keine Toleranz“, so Jordan.

Die Dienstvereinbarung

Foto: Alfred Klopries,  Direktor Unternehmenskultur (BB - Rilchingen)
Alfred Klopries, Direktor Unternehmenskultur, Barmherzige Brüder Rilchingen

„Weil wir über Jahrzehnte eine hohe Sensibilität für das Thema Abhängigkeit entwickelt haben, konnten wir diese Erfahrungen auch für die Mitarbeitenden nutzbar machen“, erzählt Alfred Klopries. Bei den Barmherzigen Brüdern Rilchingen verantwortet Klopries als Direktor aktuell den Bereich Unternehmenskultur. Davor war er 20 Jahre lang Heimleiter und hat das Thema Suchtprävention und -hilfe zur Chefsache gemacht.

Der konkrete Auslöser war, dass einige alkoholkranke Mitarbeitende auffällig geworden waren, und zusätzlich gab es in den Einrichtungen eine Gruppe von französischen Pflegekräften, die riskante Mengen an Medikamenten einnahmen. „In Frankreich ist der Konsum von Medikamenten in der Pflege ein ernstes Problem“, erklärt Klopries. Viele Pflegekräfte, die unter hohem psychischen Druck stünden, erhielten eher Medikamente wie Antidepressiva oder Beruhigungsmittel anstatt psychotherapeutischer Unterstützung. Dies führe häufig zu Abhängigkeiten.

„In Frankreich ist der Konsum von Medikamenten in der Pflege ein ernstes Problem.“

Alfred Klopries

Direktor Unternehmenskultur

Diese Situation brachte die Mitarbeitervertretung dazu, das Problem bei der Heimleitung anzusprechen und Vorschläge für präventive Maßnahmen zu erarbeiten, die den betroffenen Mitarbeitern helfen sollten. Das Ergebnis war eine Dienstvereinbarung zur Suchtprävention und zum Umgang mit suchtbedingten Auffälligkeiten am Arbeitsplatz. Herzstück der Dienstvereinbarung ist ein Fünf-Stufenplan, der Handlungsrichtlinien für Führungskräfte und Personalverantwortliche enthält. Wer zum ersten Mal auffällig wird, wird zu einem vertraulichen Gespräch mit der jeweiligen Führungskraft eingeladen. Es geht darum, die betroffene Person auf ihr problematisches Verhalten hinzuweisen und herauszufinden, wie sich das ändern lässt.

Wichtiger Bestandteil des Gesprächs sind Hilfsangebote und klare Zielvereinbarungen, die eine Veränderung unterstützen sollen. Kommt es erneut zu Auffälligkeiten, folgen weitere Gespräche in einem erweiterten Personenkreis. Es werden neue Ziele formuliert und dokumentiert. Gleichzeitig wird der betroffenen Person deutlich gemacht, welche Konsequenzen folgen, wenn sich das Verhalten nicht ändert. Bei jeder Stufe bekommt die betroffene Person Hilfe angeboten. Nimmt die Person diese nicht an und weigert sich beispielsweise eine Therapie zu machen, ist die Kündigung die letzte Konsequenz. Eine Wiedereinstellung ist dann aber trotzdem möglich, wenn sich die Person in die Therapie begibt und diese erfolgreich abschließt.

Der Arbeitskreis

Foto: Veronique Winter, Beauftragte für das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) / Arbeitskreis BB-Rilchingen
Veronique Winter, Beauftragte für das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM), Barmherzige Brüder Rilchingen

Für alle Maßnahmen der Suchtprävention und -hilfe bei den Barmherzigen Brüder ist der gleichnamige Arbeitskreis verantwortlich. Darin sind die Geschäftsführung, die Mitarbeitenden, die Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie Leitungen der Pflege- und sozialen Dienste einig. Veronique Winter leitet seit Anfang 2024 den Arbeitskreis und ist gleichzeitig Beauftragte für das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM).

„Wer Gefahr läuft, eine Abhängigkeit zu entwickeln, oder bereits erste Symptome zeigt, bekommt bei uns eine fachkundige Beratung und bei Bedarf auch Behandlung. Dabei handeln wir nach der Prämisse: Prävention vor Kuration. Bei uns haben also vorbeugende Maßnahmen wie Aufklärung, Informationsveranstaltungen oder Schulungen Vorrang. Aber auch, wenn eine Suchtproblematik bereits vorliegt, versuchen wir schnellstmöglich zu helfen, indem wir Gespräche anbieten, auf bestehende Angebote hinweisen oder den Kontakt zu Fachleuten herstellen, die Expertise in der Suchthilfe haben“, erläutert Winter.

„Wer Gefahr läuft, eine Abhängigkeit zu entwickeln, (...) bekommt bei uns eine fachkundige Beratung und bei Bedarf auch Behandlung.“

Veronique Winter

Beauftragte für das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM)

Die Suchtberaterin

Foto: Regine Kircher-Zumbrink, Suchtberaterin bei den Barmherzigen Brüder Rilchingen
Regine Kircher-Zumbrink, Suchtberaterin, Barmherzige Brüder Rilchingen

Eine solche Expertin ist Regine Kircher-Zumbrink. Die Diplomsozialarbeiterin hat viele Jahre in der Suchtkrankenhilfe als Therapeutin gearbeitet, bevor sie sich dazu entschloss, in die Wirtschaft zu wechseln und dort Betriebe beim Thema Suchtprävention zu beraten und zu begleiten. Dazu zählen auch die Einrichtungen der Barmherzigen Brüder Rilchingen. „Ich unterstütze die Einrichtungen unter anderem mit der Möglichkeit einer individuellen Einzelberatung. Das heißt, Mitarbeitende können sich bei mir melden, wenn sie zum Thema Sucht eine Beratung wünschen oder generell psychisch aus dem Gleichgewicht geraten sind. Meine Aufgabe ist es, gemeinsam mit den Menschen herauszufinden, ob eine Abhängigkeit oder Missbrauch vorliegt und dann gezielt die passende Unterstützung anzubieten“, erläutert die Suchtberaterin.

Manchmal würden bereits die Gespräche reichen, damit sich die betroffene Person stabilisiere und eine Verhaltensveränderung herbeigeführt werden könne. Wenn sich während des Kontakts herausstellt, dass eine behandlungsbedürftige Suchterkrankung vorliegt, stellt Kircher-Zumbrink gemeinsam mit der betroffenen Person ein Antrag auf Rehabilitationsbehandlung. „Und bei beginnender Therapie halte ich im Hintergrund auch Kontakt. Manchmal besteht auch der Wunsch, dass ich in die Therapieeinrichtung komme, meistens gegen Ende der Behandlung, wenn etwa ein Abschlussgespräch mit der betroffenen Person ansteht, bei dem gemeinsam überlegt wird, wie es weitergeht, auch im Hinblick auf die Wiedereingliederung im Betrieb.“

Die Wiedereingliederung ist ebenfalls Bestandteil der Dienstvereinbarung. Das Verfahren soll es allen Mitarbeitenden ermöglichen, nach einer erfolgreichen Therapie, ihre Arbeit wieder aufzunehmen und sich erneut in das Team zu integrieren. Kircher-Zumbrink begleitet sie auch dabei und vermittelt bei Bedarf Selbsthilfegruppen für Menschen, die sich eine weitere Unterstützung wünschen.

Die Führungskräfte

Nach Meinung von Kircher-Zumbrink spielen beim Thema Abhängigkeit die Betriebe eine Schlüsselrolle. Der Arbeitsplatz sei ein Motivationstrigger – denn kaum jemand möchte seinen Job verlieren – das gelte auch für Menschen mit problematischem Suchtmittelkonsum. Für viele sei die Angst vor dem Jobverlust ein starker Antrieb, ihr Verhalten zu ändern. Deshalb solle es immer darum gehen, schnell Hilfe anzubieten, meint die Suchtexpertin. Handeln statt Wegschauen laute ihr Motto. Oftmals könne bei schneller Ansprache eine langjährig chronifizierte Erkrankung vermieden werden.

Die Ansprechperson für Betroffene sei dabei oft die Führungskraft. So haben das die Einrichtungen der Barmherzigen Brüder in ihrer Dienstvereinbarung geregelt. Allerdings tun sich viele Menschen schwer, andere auf ihr Verhalten anzusprechen, gerade bei Verdacht auf Suchtmittelmissbrauch. Um ihre Führungskräfte darin zu schulen, problematisches Verhalten in ihrem Team anzusprechen, bieten die Einrichtungen regelmäßig Trainings an. „Unser Ziel ist dabei, die Führungskräfte für das Thema zu sensibilisieren und ihnen die Angst zu nehmen, es bei ihren Mitarbeitenden anzusprechen“, meint Veronique Winter, die als BGM-Beauftragte die Seminare koordiniert. Dort lernen Führungskräfte auch die wichtigsten Regeln – etwa den Menschen nicht zwischen Tür und Angel ansprechen, sondern einen Termin ausmachen und die Person unter vier Augen treffen. „Wenn Führungskräfte sachlich, höflich und wertschätzend bleiben, können sie ihre Wahrnehmungen gezielt ansprechen“, ist Kircher-Zumbrink, die die Seminare leitet, überzeugt.

„Als Führungskraft muss ich soziale Dynamiken und Verhaltensmuster meiner Mitarbeitenden erkennen.“

Frank Jordan

Einrichtungsleitung Besondere Wohnformen

Auch Frank Jordan führt solche Gespräche. Als Vorgesetzter ist es seine Fürsorgepflicht, seine Teammitglieder anzusprechen, wenn sie sich anders als sonst verhalten. Er sagt, dass ihm die Dienstvereinbarung dabei die Handlungssicherheit gibt. „Als Führungskraft muss ich soziale Dynamiken und Verhaltensmuster meiner Mitarbeitenden erkennen. Wenn jemand beginnt, sich herauszureden oder abzulenken, indem er Nebenkriegsschauplätze eröffnet, wie ‚Warum ich? Frag doch auch den und den‘, kann das ein Zeichen dafür sein, dass die Person versucht, die Aufmerksamkeit von sich abzulenken.“ Solche Vermeidungsstrategien seien oft ein Symptom dafür, dass jemand einer unangenehmen Situation entkommen wolle.

Als Führungskraft ist es Jordan wichtig, hier konsequent zu bleiben und sich nicht ablenken zu lassen. Für ihn ist es entscheidend, in Gesprächen nicht nur Hilfe anzubieten, sondern auch konkrete Ziele zu formulieren, damit die Person weiß, worauf sie hinarbeiten soll. „Solche Gespräche verdeutlichen der betroffenen Person, dass ihr Verhalten ernsthafte Auswirkungen hat – sowohl auf die eigene Gesundheit als auch auf die Sicherheit und Qualität der Arbeit. Durch diese klare Rückmeldung kann man der Person helfen, die Dringlichkeit der Situation zu erkennen, und ihr dabei Unterstützung zu bieten, um einen Ausweg zu finden“, so Jordan.

Die Azubis

In der Ausbildung des Pflegenachwuchses spielt das Thema Suchtprävention ebenfalls eine wichtige Rolle. „Für unsere Auszubildenden bieten wir inzwischen einmal pro Jahr einen Kurs speziell zu diesem Thema an“, erzählt Veronique Winter, die auch für die Ausbildung von Pflegekräften bei den Barmherzigen Brüder zuständig ist. Die Veranstaltung sei für die Azubis Pflicht. Über die Inhalte stimmt sie sich eng mit der Suchtberaterin Kircher-Zumbrink ab, die den Kurs leitet. „Die Veranstaltung findet in einem geschützten Raum statt, ohne  Anwesenheit von Pädagogen, damit sich unsere Auszubildenden und die Suchtberaterin in einer vertraulichen Atmosphäre frei austauschen können“, erzählt Winter. Vor allem das Thema Cannabis, das zuletzt verstärkt in den Fokus gerückt sei, sorge für Redebedarf. Sie wisse aus Erfahrung, dass Auszubildende oft sensibler auf das Thema reagieren. Ihre größte Sorge sei, dass jemand mithören könnte. „Diese Sorge nehmen wir ihnen. Alles, was dort besprochen wird, bleibt im Raum und dringt nicht nach außen“, betont die Pädagogin.

Und es geht nicht immer nur um den persönlichen Konsum der Auszubildenden. Sie nehmen auch aus der Veranstaltung Impulse mit, die sie in ihrem Umfeld anwenden. „Ich erinnere mich an einen konkreten Fall: Eine junge Person, die nach der Veranstaltung auf mich zukam und aus der Anonymität herausgetreten ist. Durch den Vortrag hatte sie einen Weg gefunden, das Suchtproblem in ihrer Familie anzusprechen und sich Hilfe zu holen. Solche kleinen Erfolge sind selten, aber wertvoll. Aus meiner bisherigen Arbeit im Arbeitskreis Suchtprävention kenne ich drei Beispiele, bei denen unsere Angebote jungen Menschen geholfen haben, Unterstützung zu finden – oft durch den Kontakt mit unserer Suchtberaterin. Ohne diesen Zugang wüssten viele nicht, an wen sie sich wenden können.“

Foto: Eine Hand hält ein halb gefülltes Bierglas und hält eine Zigarette, daneben steht ein Aschenbecher.
In Deutschland konsumieren Millionen Menschen riskante Mengen an Alkohol, Tabak, Medikamenten oder Drogen, viele sind abhängig. Besonders in Gesundheitsberufen ist das Risiko hoch, da der Zugang zu suchterzeugenden Substanzen einfach ist und die Arbeitsbelastung enorm. Sucht führt zu erheblichen gesundheitlichen Schäden und hohen…
10.09.2024Maria Sinjakowa6 Min

Die Rahmenbedingungen

Auch langjährige Beschäftigte in den Einrichtungen der Barmherzigen Brüder profitieren von den Aufklärungs- und Informationsprogrammen. Viele von Ihnen sind dadurch stärker für das Thema sensibilisiert und gehen offener damit um. „In der Pflege erleben wir häufig, dass Menschen, die seit Jahrzehnten im Beruf sind, an ihre körperlichen und psychischen Grenzen stoßen. Eine Pflegerin Mitte 50, die seit über 30 Jahren arbeitet, kämpft oft mit chronischen Rückenschmerzen und anderen körperlichen Beschwerden. Trotzdem treibt sie ein starkes Verantwortungsgefühl an – sei es gegenüber den hilfsbedürftigen Menschen, ihren Kollegen oder dem eigenen familiären Umfeld, das oft ebenfalls ihrer Unterstützung bedarf“, sagt Jordan, der das Phänomen seit Jahren beobachtet. Diese Belastung führe dazu, dass Pflegekräfte nach Suchtmitteln greifen, um den Alltag zu bewältigen.

Dabei gehe es nicht immer nur um Alkohol, sondern häufig auch um Medikamente, die von Ärzten verschrieben würden, um den Stress zu dämpfen. Das sei häufig bei seinen französischen Kolleginnen und Kollegen der Fall. Der Kreislauf sei dann vorgezeichnet. Jordan: „Abends greifen sie zu Medikamenten, um zur Ruhe zu kommen. Am Morgen folgt dann der Griff zum Kaffee oder anderen Wachmachern, um den Arbeitstag zu überstehen, oft kombiniert mit Schmerzmitteln, die inzwischen zum Alltag vieler Pflegender gehören.“ Dieser Mix aus Medikamenten, Schlafmitteln und Koffein entwickele sich schleichend zu einer Abhängigkeit – ohne dass dies von den Betroffenen bewusst gewollt sei. „Sie wollen schlicht funktionieren und ihre Arbeit fortsetzen, da sie wissen, dass ohne sie vieles nicht läuft.“

„Abends greifen sie zu Medikamenten, um zur Ruhe zu kommen. Am Morgen folgt dann der Griff zum Kaffee oder anderen Wachmachern(...), oft kombiniert mit Schmerzmitteln.“

Frank Jordan

Einrichtungsleitung Besondere Wohnformen

„Als Arbeitgeber haben wir bereits vor Jahren begonnen, diesem Phänomen schrittweise entgegenzuwirken, und zwar mit unserem BGM“, sagt Alfred Klopries. Es gehe darum, die Probleme anzuerkennen und nicht zu individualisieren – also nicht so zu tun, als ob es nur das Problem einzelner Personen wäre. Vielmehr sei es ein strukturelles Problem, das in der Arbeitsrealität der Pflege verankert ist: Schichtarbeit, hohe Verantwortung und der ständige Druck, immer einsatzbereit zu sein. „Hier liegt eine unserer zentralen Aufgaben: Unsere Mitarbeitenden sowohl körperlich als auch psychisch zu stärken. Wir können nicht jede Ursache beheben, aber wir können die Arbeitsbedingungen so gestalten, dass sie weniger belastend sind. Der erste Schritt ist, die Probleme offen anzusprechen und die Mitarbeitenden ernst zu nehmen. Indem wir anerkennen, dass ein Problem existiert, können wir an konkreten Lösungen arbeiten, die langfristig den Mitarbeitenden helfen.“

Foto: Eine ältere Person hält Tabletten in der Hand und zeigt auf eine davon. Eine zweite Person mit Stethoskop hat eine Tablettendose in der Hand.
Wenig Personal, mehrere Berufsgruppen mit unterschiedlichen Fachkenntnissen, manchmal schwierige Bewohnerinnen und Bewohner: Die Arbeit im Pflegeheim ist von vielerlei Herausforderungen geprägt. Eine davon ist die Gabe von Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Astrid Eich-Krohm vom Institut für gerontologische Forschung (IGF) erläutert im Gespräch mit…
09.04.2024Taina Ebert-Rall4 Min

Alkoholfreies Feiern

In den letzten Jahren hat sich durch die Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen in den Einrichtungen der Barmherzigen Brüder ein deutlicher Wandel vollzogen. Suchtprävention und -hilfe sind nun fest im BGM und der Unternehmenskultur verankert. Und auch Sekt und Wein spielen trotz Tradition bei den Feiern in den Einrichtungen mittlerweile nur noch eine sehr eingeschränkte Rolle. Das liegt vor allem daran, dass sich alkoholfreie Alternativen zu einer neuen Normalität entwickelt haben und nun als selbstverständlich und gleichwertig wahrgenommen werden. „Das sehe ich als einen großen Erfolg. Durch kontinuierliche Maßnahmen und Angebote im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements haben wir es geschafft, eine echte Veränderung der Wahrnehmung, die das Thema Sucht betrifft, zu bewirken und eine unterstützende Unternehmenskultur zu etablieren“, sagt Klopries.

 

Mitwirkende des Beitrags

Pflichtfelder sind gekennzeichnet.

Beitrag kommentieren

Alle Felder sind Pflichtfelder.

Datenschutzhinweis

Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.

Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.