„Noch viel Aufklärung zu Hitzegefahren notwendig“
Die nächste Hitzeperiode kommt bestimmt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erwartet für 2024 gar einen besonders gefährlichen Sommer. Mit Kristina Böhm, Leiterin des Gesundheitsamtes in Potsdam und Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), sprach G+G über Hitzegefahren vor Ort und geeignete Schutzmaßnahmen.
Frau Dr. Böhm, Monat für Monat werden weltweit neue Wärmerekorde verkündet. Tun wir in Deutschland genug?
Dr. Kristina Böhm: Eine ganze Weile haben wir hierzulande das Thema weggeschoben. Allmählich steht es aber oben auf der Agenda und das ist auch notwendig. Wenn die Hitze über viele Tage nicht mehr abflaut, dann steigt das Risiko für Gesundheitsschäden bis hin zum Hitzetod deutlich. Das betrifft vor allem die vulnerablen Gruppen: Alte und chronisch Kranke. Betroffen sind aber auch die Obdachlosen, die Kinder und Jugendlichen in Schule, Kita und Hort. Auch die Arbeitskräfte leiden. Es ist eine enorme Herausforderung, bei Hitzeperioden arbeiten zu müssen, zumal unsere Gebäude zum Teil gar nicht in der Lage sind, die Temperaturen zu kompensieren. Die sind gebaut worden, als das Thema noch nicht in dem Ausmaß präsent war. Da liegen noch viele Hausaufgaben vor uns.
Was konkret schwebt Ihnen vor?
Böhm: Wir müssen Krankenhäuser oder Einrichtungen wie etwa zur Pflege soweit ertüchtigen, dass es Areale gibt, in denen es halbwegs auszuhalten ist. Städte müssen zudem dringend etwas tun, um ihre Klimabilanz zu verbessern. Die ganze Versiegelung von Flächen hat negative Auswirkungen auf die Temperaturen. Es gibt Leuchtturmprojekte, die nachweisen: Wenn die Versiegelung aufgebrochen wird und wir die Begrünung forcieren, wird das Stadtklima deutlich besser. In vielen Kommunen gibt es inzwischen eine Karte der kühlen Orte. Es werden nicht zuletzt zunehmend Strategien von Städten und Gemeinden entwickelt, um Cooling Points einzurichten. Aber das wird von Kommune zu Kommune höchst unterschiedlich gehandhabt.
Mit Ertüchtigung von Gebäuden meinen Sie Umbau?
Böhm: Das kommt darauf an. Erste einfache Sonnenschutzmaßnahmen sind Jalousien und alles, was irgendwie dafür sorgt, dass die Sonne nicht in das Gebäude eindringen kann und dort die Luft aufwärmt. Aber das ist natürlich architektonisch nur begrenzt möglich. Außenjalousien, die oft nachträglich angebaut werden, sind gut und schön, haben aber das Problem, dass sie bei starkem Wind hochgefahren werden müssen. Dann heizen die Gebäude unter Umständen übers Wochenende auf. Lange Zeit war es schick, in Gebäude große Glasfronten zu zimmern und große Foyers zu schaffen. Die fallen uns jetzt auf die Füße, weil sie wie ein Brutkasten wirken.
Sind Klimaanlagen eine Möglichkeit?
Böhm: Manchmal. Sie verbrauchen aber viel Strom und sind kostenintensiv, etwa bei Wartung und Überwachung. Klimaanlagen sind zudem nicht umweltfreundlich. Wenn sie dann noch ans Wasser angeschlossen werden, dann haben wir zusätzlich ein Hygienethema. Insgesamt ist es notwendig, um die Ecke zu denken. Pflegeeinrichtungen sind da besonders gefordert, denn sie sind als erste verpflichtet, in ihren Einrichtungen den Hitzeschutz anzugehen.
Vor welchen Problemen stehen die Pflegeheime dabei?
Böhm: Wichtig ist, dass das Personal sensibilisiert wird, dass Hitze ein Gesundheitsthema ist und die Bewohner in Hitzeperioden besonders beobachtet werden müssen. Sie nehmen oft nicht genug Flüssigkeit zu sich, denn für alte Menschen ist das Trinken oft gar nicht so einfach. Wer trinkt, muss auch zur Toilette. Alte Menschen haben oft Angst, dass kein WC in der Nähe ist oder sie schaffen es alleine nicht dorthin und müssen dafür erst das Pflegepersonal rufen. Das ist mitunter schambesetzt oder unangenehm. Aber wenn bei heißen Temperaturen nicht getrunken wird, geht das Austrocknen sehr schnell. Das haben wir bislang nicht ausreichend auf dem Schirm.
„Noch nicht genug durchgedrungen ist, dass es sich beim Hitzeschutz um ein gesamtgesellschaftliches Thema handelt. Jeder Einzelne kann etwas tun.“
Leiterin des Gesundheitsamtes in Potsdam
Welche besonderen Hitzegefahren sehen Sie für chronisch Kranke?
Böhm: Alte Menschen oder chronisch Kranke nehmen ja in der Regel viele Medikamente gleichzeitig ein, was für den Körper an sich schon eine Herausforderung darstellt. Und wenn jetzt noch die Hitze dazukommt, bei der Herz und Kreislauf stark belastet sind, und die Patienten zu wenig trinken, dann kann es zu einer ungünstigen Wirkung kommen. Diuretika zum Beispiel regulieren den Blutdruck, sie entwässern aber. Wenn ich nun eine Tablette nehme, die dem Körper Wasser entzieht und ich parallel dazu nicht genügend Flüssigkeit zu mir nehme, wird es gefährlich. Über solche Aspekte und Risiken müssen Ärzte mit ihren Patientinnen und Patienten reden. Das braucht Zeit, die in den Praxen aber oft nicht mehr vorhanden ist.
In Potsdam schaffen Sie Trinkwasser-Zapfstellen für die Bürger ...
Böhm: Ja, wir haben Trinkbrunnen im Stadtgebiet, die vom Wasserversorger betrieben werden. Allerdings sind es noch nicht so viele. Da kann man sich jederzeit Wasser abfüllen. Und wir sind gerade dabei, ein System zu etablieren, bei dem Bürger sich in öffentlichen Gebäuden Trinkwasser zapfen können. Diese Gebäude haben aber den Nachteil, dass sie am Wochenende geschlossen sind. Deswegen sind wir alle über das Wasserhaushaltsgesetz verpflichtet worden, Trinkwasserstellen zu schaffen, die im Außenbereich ohne Probleme zugänglich sind. Noch nicht genug durchgedrungen ist, dass es sich beim Hitzeschutz um ein gesamtgesellschaftliches Thema handelt. Jeder Einzelne kann etwas tun.
Wie?
Böhm: Wenn Gebäude erstmal zu heiß geworden sind, nützen auch Querlüften oder Ventilatoren nichts mehr, weil nur noch warme Luft bewegt wird. Hier lässt sich selbst viel steuern, indem an den Anfangstagen die Fenster zu bleiben, die Jalousien geschlossen werden. Außerdem passiert es im Sommer viel zu oft, dass Menschen nicht genügend zum Trinken dabeihaben. Wir müssen stärker dafür sensibilisieren, sich an heißen Tagen eine Flasche mitzunehmen. Über die Breite der Gesellschaft ist zu diesem Thema noch einiges an Aufklärung und Beratung notwendig.
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