Prävention: Warten auf den Paradigmenwechsel
Ein neues Bundesinstitut soll künftig die Prävention fördern. Der erste Referentenentwurf von 2023 sowie der aktuelle Gesetzentwurf von 2024 zu seiner Errichtung bleiben hinter den Erwartungen diverser Akteure zurück. Zu den Gründen zählen die Ausrichtung, der Zuschnitt und die Finanzausstattung des Instituts.
Eigentlich waren die zwei Entwürfe Aufschläge mit Ansage. Bereits in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 hatten SPD, FDP und Grüne angekündigt, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in einem neuen Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit aufgehen zu lassen. Deren Aufgabe besteht seit ihrer Gründung 1967 darin, Gesundheitsrisiken vorzubeugen und gesundheitsfördernde Lebensweisen zu unterstützen. In der Corona-Zeit war sie jedoch völlig unsichtbar geblieben – warum auch immer.
Der erkennbar unter dem Eindruck der Pandemie verfasste Passus des Koalitionsvertrages zum öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) definierte 2021, im neuen Institut sollten „die Aktivitäten im Public-Health-Bereich, die Vernetzung des ÖGD und die Gesundheitskommunikation des Bundes angesiedelt“ sein. Im Koalitionsvertrag war dabei explizit von einem „Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit“ die Rede. Viele hielten den Namen der Behörde damit für bereits gesetzt und auch für sinnvoll. Die Abkürzung BIÖG wurde selbstverständlicher Teil des anschließenden Diskurses, bei dem eine Reihe von Institutionen und Experten dezidiert den Reformbedarf in Sachen ÖGD beschrieb und Vorschläge machte, wie das neue Institut und seine Zusammenarbeit mit anderen Playern am besten auszugestalten sei.
Ernüchterte Akteure
Fast drei Jahre später sind viele Akteure ernüchtert. Zwar wurde im Oktober 2023 ein Referentenentwurf für das Errichtungsgesetz bekannt, auch folgte ein geänderter Gesetzentwurf, der im Juli 2024 vom Kabinett gebilligt wurde. Doch deren jeweilige Inhalte tragen dem, was sich viele für den ÖDG und die Prävention in Deutschland erhoffen, nur sehr bedingt Rechnung. Das Problem beginnt schon mit dem Namen des Instituts: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach änderte diesen spontan in Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM).
Auf Kritik stießen dabei insbesondere die Termini „Aufklärung“ und „Medizin“. So schrieb der Gesundheitswissenschaftler Raimund Geene in der G+G Wissenschaft: „Der Begriff der Aufklärung hing schon der BZgA als Mühlstein eines überholten paternalistischen Verständnisses der Gesundheitskommunikation der 1960er-Jahre am Hals“. Die ÖDG-Experten Thomas Götz und Rolf Rosenbrock wiederum mahnten: „Public Health ist eine Multidisziplin und keine Unterabteilung der Medizin.“ Die Formulierung „Prävention und Aufklärung in der Medizin“ bedeute Früherkennung, Impfen und ärztliche Gespräche. Dafür aber brauche man kein neues Institut. Der Schwerpunkt müsse vielmehr auf besonders belastete und belastende Lebenswelten sowie vulnerable Gruppen gelegt werden.
Fragwürdige Aufgabenteilung
Auch eine 2023 im Referentenentwurf vorgesehene strikte Aufgabentrennung zwischen Robert-Koch-Institut (RKI) (übertragbare Krankheiten) und BIPAM (nicht übertragbare Krankheiten) stieß auf Widerstand. Sie sollte vollzogen werden durch die Eingliederung der kompletten Abteilung 2 des RKI in das neue Institut. „Für die Sozialepidemiologie ist diese Trennung nutzlos bis schädlich“, urteilten Götz und Rosenbrock. Sie ist darüber hinaus auch ohne internationales Vorbild.
Der von vielen Seiten erhobenen Kritik wurde im aktuellen Gesetzentwurf zum Teil Rechnung getragen: Inzwischen soll offenbar nicht mehr die gesamte Abteilung 2, aber definitiv die Gesundheitsberichterstattung einschließlich Gesundheitsmonitoring ins BIPAM überführt werden. „Allerdings bleibt rätselhaft, warum die Gesundheitsberichterstattung überhaupt aus dem RKI herausgelöst werden soll“, sagt dazu Oliver Huizinga, Leiter der Abteilung Prävention im AOK-Bundesverband. Viel ökonomischer und effizienter ist aus seiner Sicht, die Gesundheitsberichterstattung im RKI zu belassen und das BIPAM komplementär auszurichten. „Das RKI könnte weiterhin Krankheitslast und Gesundheitsverhalten erforschen und das neue Institut das Potenzial, die Machbarkeit und die Ausgestaltung von Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheitslast untersuchen“, so Huizinga.
Verwässerter Ansatz
Auch wenn wohl die strikte Trennung zwischen nicht infektiösen und infektiösen Krankheiten vom Tisch ist, scheint das Bundesgesundheitsministerium die Ausrichtung nun in anderer Hinsicht problematisch zu gestalten. War im Referentenentwurf von 2023 noch von der „Notwendigkeit eines Health-in-all-Policies-Ansatzes“ die Rede, so werden im Kabinettsentwurf lediglich die „Bedeutung und die Vorteile“ des Ansatzes im Sinne „einer sektorübergreifenden, freiwilligen Kooperation“ benannt. „Damit zeigt der aktuelle Gesetzentwurf samt seiner Ressortabstimmung unfreiwillig selbst auf, woran die Umsetzung eines Health-in-all-Policies-Ansatzes in Deutschland krankt: an Sektorengrenzen und Kompetenzstreitigkeiten“, meint Huizinga.
Mit Sorge blickt der AOK-Präventionsfachmann auch auf die Finanzausstattung des BIPAM. Ursprünglich war der jährliche Mehraufwand ab 2026 auf 30 Millionen Euro beziffert worden. Inzwischen ist nur noch von 14,5 Millionen Euro die Rede. Dazu Huizinga: „Nun sind nicht nur die Kompetenzen für die Gestaltung einer gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik knapp bemessen, sondern auch die Finanzausstattung. Das sind keine guten Vorzeichen für den dringend benötigten Kurswechsel hin zu einer politischen Gesamtstrategie gesundheitsfördernder Rahmenbedingungen.“
„Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Präventionspolitik. Dass das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erreicht werden wird, ist leider zu bezweifeln.“
Leiter der Abteilung Prävention im AOK-Bundesverband
Vertane Chancen
Zudem sind keine einmaligen Mehrausgaben des Bundes für den Aufbau eines Kinder- und Jugendpanels mehr vorgesehen. Neue Daten zu erheben, sei jedoch dringend geboten, meint Huizinga. Schließlich stamme die letzte große und vom RKI durchgeführte Erhebung aus dem Jahren 2014 bis 2017. Dabei handelt es sich um die zweite Welle der sogenannten KiGGS-Studie. Die Abkürzung steht für Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Eine erste Welle hatte es bereits 2003 bis 2006 gegeben.
„Die beiden KIGGS-Studien waren Meilensteine der Gesundheitsberichterstattung, aber mit den inzwischen teilweise zehn Jahre alten Daten der zweiten Welle kann man im Jahr 2024 keine zuverlässigen Aussagen mehr über den Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen machen“, zeigt sich Huizinga überzeugt. Sein Gesamtfazit zum BIPAM und zum aktuellen Gesetzentwurf: „Eine gesundheitsförderliche Gesamtpolitik mit Blick auf die hohe Krankheitslast durch vermeidbare Risiken ist dringend geboten. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Präventionspolitik. Dass das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erreicht werden wird, ist leider zu bezweifeln.“
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