Legalisierung von Cannabis – „Der Schwarzmarkt wird befeuert“
Die Regierung will den Cannabis-Konsum teilweise legalisieren. Der Hamburger Suchtmediziner Rainer Thomasius erklärt im G+G-Interview, warum er von diesem Schritt abrät.
Herr Professor Thomasius, Sie arbeiten seit Jahrzehnten am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf mit drogensüchtigen Jugendlichen – und gelten als prominenter Gegner einer Cannabis-Legalisierung. Was sind die Gründe?
Prof. Dr. Rainer Thomasius: Der internationale Forschungsstand zeigt, dass eine Legalisierung gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erhöhtem Konsum und dadurch verursachten Gesundheitsschäden beiträgt. Eine weitere Folge ist die verminderte Risikowahrnehmung bei der Einschätzung der Gefahren des Konsums. Der Internationale Suchtstoffkontrollrat der Vereinten Nationen hat daher erst jüngst von weiteren Legalisierungsbestrebungen abgeraten. Die Kriminalität werde mit der Legalisierung nicht eingedämmt. Auch die und kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaften erwarten keine positiven Effekte für den Jugendschutz, da Kinder und Jugendliche vor einem deutlich erweiterten Markt und dessen permissiven Einstellungen nicht wirksam geschützt werden können.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach führt an, die bisherige Cannabis-Politik sei gescheitert.
Thomasius: Ich komme zu einer anderen Bilanz. Die bisherige Programmatik hat sich mit Blick auf Konsumquoten und Hilfestellungen für Suchtkranke durchaus bewährt. Sie fußt auf vier Säulen: Prävention, Hilfen, Schadensminimierung und Angebotsreduzierung. Nach Daten der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht liegen die Quoten täglichen oder fast täglichen Cannabisgebrauchs in Deutschland mit 0,4 Prozent im europäischen Vergleich besonders niedrig. Auch die Zahl regelmäßig konsumierender Jugendlicher hat nach Analysen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in den vergangenen 30 Jahren nicht bedeutsam zugenommen. Und mit Blick auf die therapeutischen Hilfen lässt sich feststellen, dass kaum irgendwo anders in Europa vergleichbar viele Cannabisabhängige in eine Suchtbehandlung vermittelt werden wie in Deutschland. Aus suchtmedizinischer Sicht sind dies durchaus respektable Befunde. Diese drohen, mit einer Legalisierung ins Gegenteil gekehrt zu werden.
Haben Sie im Zeitverlauf Veränderungen etwa bei der Häufigkeit von psychischen Erkrankungen wahrgenommen?
Thomasius: Der Gehalt an Tetrahydrocannabinol, also der psychoaktiv wirksamen Hauptsubstanz THC in Marihuana, hat sich in Deutschland und im europäischen Ausland in den letzten beiden Dekaden infolge professionellen Anbaus deutlich erhöht. Zeitgleich haben die Folgestörungen zugenommen, beispielsweise depressive Störungen, Suizidalität, bipolare Störungen und Angsterkrankungen. Cannabis mit hohem THC-Gehalt kann Psychosen auslösen und den Verlauf schizophrener Psychosen verschlechtern. Intensive Cannabis-Konsumierende brechen häufiger die Schule ab und weisen ungünstigere Bildungsabschlüsse auf als Nichtkonsumenten. Bei intensivem Konsum in Pubertät und Adoleszenz führen cannabisbedingte Störungen der Hirnreifung zu Intelligenzeinbußen. Es ist absehbar, dass mit der Legalisierung die THC-Gehalte in den Produkten weiter ansteigen.
„Aufklärung, Resilienzförderung, Jugendschutzgesetzgebung und Therapieforschung müssen gestärkt werden, um das Risikobewusstsein junger Menschen zu schärfen.“
Ärztlicher Leiter des Suchtbereichs am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Auch synthetische Cannabinoide werden häufiger zugesetzt. Ist das auf dem Schwarzmarkt angebotene Cannabis gefährlicher geworden?
Thomasius: Gesundheitsschäden durch synthetische Cannabinoide sind aufgrund ihrer deutlich erhöhten Wirkstärke sehr ernst zu nehmen. In Einzelfällen sind nach dem Konsum synthetischer Cannabinoide Todesfälle aufgetreten. Daher muss vor dem Konsum gewarnt werden. Ich bezweifle allerdings, dass zukünftig Verunreinigungen und synthetischen Zusätze eine geringere Rolle spielen. Der verbesserte Gesundheitsschutz ist ja ein zentrales Ziel der Legalisierung. Verunreinigungen werden im privaten Eigenanbau und dem Cannabis-Anbau in Vereinen jedoch nicht vermieden. Der Markt für synthetische Cannabinoide wird dadurch nicht abgeschafft. Ganz im Gegenteil. Der Schwarzmarkt wird befeuert, denn Vereine werden die Nachfrage nicht ausreichend bedienen können.
Die Befürworter hoffen, dass eine Legalisierung den Schwarzmarkt massiv zurückdrängt und damit den Kinder- und Jugendschutz verbessert. Teilen Sie diese Hoffnungen?
Thomasius: Mit dem Vorhaben der Bundesregierung sollen Cannabis-Anbau und Produktabgabe in Vereinen, sowie privater Eigenanbau von drei blühenden Pflanzen zugelassen werden. Vorgesehen ist die Abgabe von jeweils bis zu 25 Gramm Cannabis an erwachsene Mitglieder, beschränkt auf 50 Gramm pro Monat. Für Heranwachsende unter 21 Jahren soll die monatliche Abgabe auf 30 Gramm beschränkt werden. Straffreier Besitz zum Eigengebrauch und Mitführen in der Öffentlichkeit ist bis zu 25 Gramm gestattet. 30 Gramm Cannabis entsprechen 90 Joints im Monat oder drei Joints pro Tag. Das entspricht dem Quantum, das Jugendliche aufweisen, die wir mit schweren Abhängigkeiten stationär behandeln. Dass Suchtrisiken mit der Legalisierung verringert werden würden, ist nicht plausibel.
Früher wurde angeführt, Cannabis sei die Einstiegsdroge für härtere Drogen. Das hört man in der aktuellen Debatte nicht mehr. Wurde diese Sorge entkräftet?
Thomasius: Etwa 90 Prozent der Cannabis-Erfahrenen konsumieren keine härteren illegalen Drogen. Jeder Zehnte erweitert jedoch das Konsumspektrum durch stimulierende Substanzen wie Amphetamine, Ecstasy oder Kokain und in einigen Fällen durch Opioide. Persönliche und soziale Umstände tragen dazu bei, entweder beim Cannabis stehenzubleiben oder auch härtere Drogen zu konsumieren.
Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Thomasius: Die Aufklärung über Gesundheitsgefahren, Resilienzförderung im Kindes- und Jugendalter, Jugendschutzgesetzgebung und Therapieforschung müssen gestärkt werden, um das Risikobewusstsein junger Menschen zu schärfen, ihre Widerstandskraft gegen verfrühten Substanzkonsum zu erhöhen und die noch allzu schwachen Interventionserfolge zu verbessern. Die Legalisierungspläne führen zu einer Gefährdung der psychischen Gesundheit und der Entwicklungschancen junger Menschen in Deutschland. Für das Bundesgesundheitsministerium sind in der Haushaltsplanung 2024 Kürzungen in der Suchtprävention in einer Größenordnung von etwa einem Viertel des bisherigen Etats vorgesehen. Es passt alles nicht zusammen.
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2 Kommentare
Georg Forster
Wenn etwas den Schwarzmarkt befeuert, sind es von Abstinenzfantastereinen getriebene Verbotspolitik, die den Schwarzmarkt überhaupt erst erzeugt.
Thomas
"Verunreinigungen werden im privaten Eigenanbau und dem Cannabis-Anbau in Vereinen jedoch nicht vermieden"
Auf welcher Grundlage basiert diese Behauptung? Momentan wird das Cannabis aufm Schwarzmarkt zu sehr großen Teil gestreckt oder mit künstlichen Cannaboiden versetzt. Das Risiko was von dem Schwarzmarkt ausgeht, ist also tatsächlich viel höher. Künstliche Cannaboide wirken wesentlich anders und gefährlicher. Durch eine fehlende Legalisierung wird der konsumierende Teil der Bevölkerung dieser Gefahr dauerhaft ausgesetzt.