Artikel Prävention

Prävention von Diabetes vorantreiben

07.08.2024 Hilke Nissen 4 Min. Lesedauer

Menschen mit Diabetes sterben etwa fünf Jahre früher im Vergleich zu gleichaltrigen Personen ohne Diabetes. Eine Nationale Diabetesstrategie gibt es seit vier Jahren, doch zu wenig sei seitdem passiert, kritisiert Baptist Gallwitz von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Er fordert, das Thema erneut auf die politische Agenda zu setzen und Präventionsmaßnahmen flächendeckend umzusetzen.

Foto: Eine Hand hält einen Teller voller Obst und Gemüse, darauf liegt ein Stethoskop, darunter auf einem Tisch ein Klemmbrett mit einem Blutzuckermessgerät darauf.
Typ-2-Diabetes lässt sich durch gesunde Lebensweise und ausgewogene Ernährung vorbeugen.

Die Bundesregierung wollte mit der Verabschiedung der Nationalen Diabetesstrategie (NDS) 2020 im Bundestag die Diabetesprävention in der gesamten Gesellschaft umsetzen. Doch statt einer konzertierten Handlungsoffensive verfolge das Bundesgesundheitsministerium (BMG) unkoordinierte Einzelmaßnahmen ohne anhaltende Präventionswirkung, moniert die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Das aktuelle Beispiel dafür sei das Gesundes-Herz-Gesetz (GHG).

Dieses ist nach Meinung vieler Verbände und Experten ein Tiefschlag für eine effektive Prävention im Land. In der Fachanhörung zum Referentenentwurf des BMG hagelte es deshalb Kritik, auch seitens der Stellungnahmen der Fachgesellschaften wie der DDG und der Krankenkassen. Der Gesetzentwurf etikettiere zwar Vorsorge und Prävention zur Senkung der Anzahl von Herz-Kreislauf-Toten. Aber Gesundheitsminister Karl Lauterbach verkürze die Mortalitätsraten allein auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und verkenne das Zusammenwirken von Diabetes, Bluthochdruck und Adipositas. „Statt die Primärprävention endlich konsequent zu fördern und durch bevölkerungsweite Maßnahmen den Konsum von Tabak, Alkohol und ungesunden Lebensmitteln zu reduzieren“, dehne die Ampelkoalition den GKV-Leistungskatalog auf sinnlose Früherkennungsuntersuchungen und forciere Verschreibungen von Cholesterinsenkern, kritisiert Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes.

Volkskrankheit Diabetes

Foto: Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Pressesprecher der Deutschen Diabetesgesellschaft.
Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Pressesprecher der Deutschen Diabetesgesellschaft

Derzeit sind in Deutschland rund neun Millionen Menschen an diagnostiziertem Typ-2-Diabetes erkrankt. Sehr viel weniger (372.000) haben den Typ-1-Diabetes. Zusätzlich wissen etwa zwei Millionen Menschen nichts von ihrer Erkrankung. Typ-2-Diabetes lässt sich durch gesunde Lebensweise und ausgewogene Ernährung vorbeugen. In Deutschland erkrankt jährlich mehr als eine halbe Million Erwachsene neu an Diabetes. Setzt sich diese Entwicklung fort, werden 2040 etwa 12,3 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt sein, hat die Deutsche Diabetes-Hilfe ermittelt.

Direkte Krankheitskosten aufgrund von Diabeteserkrankungen unabhängig des Typs werden vom Statistischen Bundesamt für das Jahr 2020 auf 7,4 Milliarden Euro geschätzt. Dies macht 1,7 Prozent aller direkten Kosten für alle Krankheiten aus. Direkte Diabetes-Krankheitskosten berücksichtigen nur Gesundheitsausgaben für die unmittelbare Erkrankung wie etwa für Insulin, Teststreifen oder die Behandlung von Komplikationen. Dabei sind Folge- und Begleiterkrankungen sowie indirekte gesellschaftliche Kosten wie Erwerbsminderungsrenten noch nicht eingerechnet.

Auch haben Menschen mit Diabetes eine durchschnittlich fünf Jahre geringere Lebenserwartung als gleichaltrige Personen ohne Diabetes. „Deshalb ist es heute wichtiger denn je, die Nationale Diabetes Strategie endlich beherzt auf die politische Agenda zu setzen und Präventionsmaßnahmen flächendeckend umzusetzen“, sagt der Diabetes-Experte Baptist Gallwitz von der DDG zu G+G. Diabetes und Adipositas mit ihren Begleit- und Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall sowie Gefäßerkrankungen seien die größten gesundheitspolitischen Herausforderungen deutschland- und weltweit.

„Die besten Mittel gegen die hohen Erkrankungszahlen und die Diabetessterblichkeit sind Prävention und Aufklärung.“

Prof. Dr. Baptist Gallwitz

Deutsche Diabetesgesellschaft (DDG)

Prävention: Gesunder Lebensstil, gesetzlicher Rahmen und mehr Aufklärung

Diabetes- und Herz-Kreislauf-Experten sind sich einig, dass Präventionsmaßnahmen weit vor der Entstehung des sogenannten „Lifestyle Diabetes“ (Typ 2) zum Einsatz kommen müssen. Die Begünstigung, eine Diabeteserkrankung Typ-2 zu entwickeln, könne nicht isoliert, sondern müsse immer mit den Hauptrisikofaktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel, Rauchen und ungesunder Ernährung betrachtet werden.

„Die Politik hat die Aufgabe, vor allem ganzheitliche verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen in die Gesellschaft zu bringen. Das heißt, dass die Prävention zum einen am individuellen Gesundheitsverhalten ansetzt und zum anderen die Gestaltung der Verhältnisse, wie den Arbeitsplatz oder die Lebensbedingungen allgemein ins Auge fasst. Im Rahmen des „Health-in All-Policies“-Ansatzes sollten Gesundheitsthemen in allen geeigneten Ministerien, wie zum Beispiel Ernährung, Verbraucherschutz, Sport und Bildung, verankert werden. Wenn in der Politik Einigkeit herrschen würde, könnte kurzfristig endlich gesetzgeberisch gehandelt werden“, erklärt Gallwitz der G+G.

Hauptforderungen zur ganzheitlichen Diabetesprävention

Die DDG fordert zum Beispiel bundesweit verpflichtende Qualitätsstandards bei der Kita- und Schulverpflegung sowie die Einführung einer „gesunden Mehrwertsteuer“. Sie begünstigt gesunde Lebensmittel und erhöht die Steuer für ungesunde Lebensmittel (Zuckersteuer).

Eine Simulationsstudie der Technischen Universität München (TUM) zeigte etwa, dass eine Softdrink-Steuer positive Auswirkungen hätte, so das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung. Bei allen simulierten Varianten würde weniger Zucker konsumiert. Erkrankungen, die aus dem Zuckerkonsum resultierten, wären seltener. Dadurch würden rund 16 Milliarden Euro eingespart werden. In anderen Ländern, wie etwa in Großbritannien, die Softdrinks und Limonaden höher besteuern, hat die Getränkeindustrie bereits ihre Rezepturen zur Absenkung des Zuckergehaltes verändert.

Die verpflichtende Kennzeichnung mit dem Nutri-Score für alle Lebensmittel käme nach Meinung der DDG ebenfalls der Prävention zugute. Mit ihm können Verbraucherinnen und Verbraucher mit einem Blick auf die Verpackung den Nährwert eines Produktes in einer fünfstufigen Farbskala erkennen und schnell beurteilen, welches Produkt gesundheitsförderlich oder eher ungesund ist. Auch ein Werbeverbot für ungesunde Kinderlebensmittel ist dringend geboten, um die junge Generation zu schützen. „Beim Kinderlebensmittel-Werbegesetz des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) herrscht immer noch Stillstand“, kritisierte Gallwitz. Denn im Kindesalter würde das Ernährungsverhalten entscheidend geprägt. Durchschnittlich schauten Kinder zwischen drei und 13 Jahren täglich 15 Werbespots für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt. Ohne gesetzliches Gegensteuern würden viele Kinder und Jugendliche weiter ins Übergewicht und in den Diabetes driften, vor allem diejenigen, die sozial und wirtschaftlich benachteiligt aufwachsen, so die DDG.

„Bereits nach der Verabschiedung der Nationalen Diabetes Strategie 2020 haben wir darauf hingewiesen, dass das Bekenntnis zu verhältnispräventiven Maßnahmen nachgebessert werden muss. Die besten Mittel gegen die hohen Erkrankungszahlen und die Diabetessterblichkeit sind Prävention und Aufklärung. Dazu braucht es keine weiteren Maßnahmenideen und Strategiepapiere, sondern das konsequente Umsetzen der bereits beschlossenen Maßnahmen“, betont Gallwitz.

Foto: FC Bundestag: Einlauf zu Spielbeginn, der FC Bundestag (in Weiß) mit Spielern des FC Diabethologie.
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