Steril und unter Aufsicht – Experten fordern mehr Drogenkonsumräume
Steriles Besteck, Injektionen unter Aufsicht, Beratung und medizinische Hilfe im Notfall: Drogenkonsumräume leisten Experten zufolge wichtige Dienste. Sie retten Leben, verhindern Klinikaufenthalte und verhüten Infektionen mit HIV und Hepatitis. Verbände sorgen sich um die Zukunft der Einrichtungen und erheben klare Forderungen an die Länder und die neue Bundesregierung.

Im Jahr 2023 gab es in Deutschland 32 Drogenkonsumräume. 29 von ihnen beteiligten sich an einer aktuellen Erhebung durch die Deutsche Aidshilfe (DAH) und die Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft Drogenkonsumräume. Die Einrichtungen verfügten demnach über 302 Konsumplätze. Dort wurden 650.000 Mal Drogen genommen, 230.000 davon per Injektionen. 396.000 Mal wurden Drogen geraucht, beispielsweise Crack oder Heroin. Weitere Substanzen wurden geschnupft oder geschluckt. „Die Zeiten von reinen Fixerstuben sind längst vorbei“, sagt DAH-Drogenexperte Dirk Schäffer. Die Räume müssten auf verschiedene Konsumarten vorbereitet sein. Außerdem fanden 52.000 Beratungen statt.
650 Drogennotfälle und kein Todesfall
Insgesamt traten 650 Drogennotfälle auf. Dabei handelt es sich in der Regel um Überdosierungen. Anders als auf der Straße endete aufgrund der professionellen Hilfe in den Einrichtungen aber keiner von ihnen tödlich. Vielfach leiste das Notfallmedikament Naloxon Hilfe, erläutert Schäffer gegenüber G+G. Auch Folgebehandlungen im Krankenhaus hätten oft vermieden werden können.
Aufgrund der sterilen Spritzen und Utensilien, die in den Räumen ausgegeben würden, werden Infektionen mit HI-Viren, die zur Immunschwäche Aids führen können, und Hepatitis-Viren verhindert. „Das ist der Hauptgrund, warum wir die Drogenkonsumräume brauchen“, so Schäffer. Denn die Zahl der HIV-Neuinfektionen bei Personen mit intravenösem Konsum steigt seit 2010. In Deutschland lebten Ende 2023 laut Aidshilfe insgesamt fast 97.000 Menschen mit HIV, rund 87.000 nahmen deswegen Medikamente.
Die Einrichtungen seien aber auch eine wichtige Brücke ins Hilfesystem. „Der Weg zum Ausstieg aus dem Drogenkonsum zur Aufnahme einer Therapie kann in Drogenkonsumräumen angebahnt werden“, ergänzt der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), Dr. Peter Raiser. Oft würden Personen zudem in die Substitutionsbehandlung oder Entgiftung weitergeleitet. Auch Raiser verweist gegenüber G+G darauf, dass die Bereitstellung von sterilen Utensilien „lebensrettend und zumindest gesundheitsschützend“ sein kann. Und Kollege Schäffer gibt zu bedenken: „Wenn der Konsum in ein solches reguliertes Umfeld verlagert wird, findet er nicht mehr im öffentlichen Raum statt.“ Dementsprechend gebe es auch keine Hinterlassenschaften, wie etwa gebrauchte Spritzen in Parks oder gar auf Spielplätzen, die zur Gefahr für Kinder werden können.
Schutz vor HIV und Hepatitis
Die Vermeidung von HIV- und Hepatitis-Infektionen aber auch die Reduzierung von Notfalleinsätzen spare hohe Behandlungskosten, unterstrichen die an der jüngsten Erhebung beteiligten Organisationen. Die genauen Zahlen lassen sich allerdings schwer beziffern. Laut Statistischem Bundesamt landeten im Jahr 2022 17.200 Menschen wegen Vergiftungen durch illegale Substanzen wie Heroin, Kokain oder LSD im Krankenhaus. Binnen 20 Jahren ist die Zahl dieser stationären Behandlungen um 81 Prozent gestiegen. Auch die Deutsche Suchthilfestatistik (DSHS) weist im stationären Sektor hohe Zahlen von Hilfesuchenden etwa durch multiplen Substanzgebrauch oder Cannabinoid- oder Opioidkonsumstörungen aus. Letztere spielen auch im ambulanten Sektor eine gewichtige Rolle.
Ausbau weiter vorantreiben
Verbände warnen angesichts der Betroffenenzahlen vor weiteren Sparmaßnahmen. „Insgesamt steht die kommunale Suchthilfe finanziell mit dem Rücken zur Wand“, sagt Raiser von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Die Einsparungen führten bereits zum Abbau von Leistungen. Davon könnten auch Drogenkonsumräume betroffen sein. Auch Schäffer von der Deutschen Aidshilfe warnt, in den Kommunen würden Mittel für die Drogenhilfe teilweise gekürzt. Die Finanzierung von Drogenkonsumräumen sei schon jetzt „weder ausreichend noch gesichert“.
An die Politik haben die Experten die Erwartung, dass der Ausbau der Drogenkonsumräume in Deutschland vorangeht. Bislang gibt es solche Anlaufstellen nur in acht der 16 Bundesländer, die jeweils eine Rechtsverordnung erlassen müssen. Immerhin soll in Kiel (Schleswig-Holstein) noch dieses Jahr ein Drogenkonsumraum und in Leipzig (Sachsen) ein Konsummobil in Betrieb gehen. Rechtsverordnungen fehlen dann aber immer noch in Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen. „Bayern beispielsweise weigert sich hartnäckig, eine solche Rechtsverordnung zu erlassen“, kritisiert Schäffer. Städte wie München, Nürnberg und Augsburg dürften daher keine Drogenräume eröffnen, obwohl sie es wollten. „Wir erwarten vor allem von den Ländern, die noch keine Rechtsverordnung haben, dass sie nun zügig die rechtliche Grundlage für Drogenkonsumräume schaffen“, mahnt er.
Drogenbeauftragter: Mehr über Hilfsangebote sprechen
Weitere Gründe, warum die Zahl der Drogenkonsumräume bislang eher gering ist, sind die dafür erforderlichen Ressourcen. „Ein Drogenkonsumraum braucht einen geeigneten Ort, Personal und natürlich auch Konsumutensilien“, erläutert Schäffer. Dafür fehlten oft die Mittel. Mitunter sei es auch schwierig, einen geeigneten Standort zu finden, weil Anwohner oder Geschäftsleute keinen Drogenkonsumraum in ihrer Nachbarschaft wollten.
Nach Ansicht des scheidenden Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Burkhart Blienert, wird mit Blick auf den Konsum illegaler Drogen zu viel über Strafen und polizeiliche Verfolgung statt über Hilfen gesprochen. „Wir brauchen mehr Drogenkonsumräume, ein flächendeckendes Drug-Checking und eine bessere Finanzierung von Hilfsangeboten“, schreibt der SPD-Politiker der künftigen Regierungskoalition ins Stammbuch. Die Drogennachfrage müsse insbesondere durch Präventionsarbeit, vor allem an Schulen, verringert werden, so Blienert gegenüber G+G.
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