Artikel Prävention

Hoffnung aus der Steckdose

25.06.2024 Frank Brunner 7 Min. Lesedauer

Europas Atmosphäre soll sauberer werden, unter anderem um die Zahl der Atemwegserkrankungen zu senken. Deshalb verschärft die EU ab 2030 die Schadstoffgrenzwerte, mancherorts drohen Fahrverbote. Kann Elektromobilität für gesündere Luft sorgen?

Foto: Ein weißes E-Auto lädt an einer Ladestation.
Laut Bundesregierung sollen bis 2030 mindestens 15 Millionen Elektroautos durch Deutschland fahren. Doch dieses Ziel scheint unerreichbar.

Wer die unauffälligen Büroräume in einer Seitengasse von Münchens Prachtboulevard Maximilianstraße besucht, sollte viel Geld mitbringen. Am Eingang fragen freundliche Mitarbeiterinnen nach den Namen von Neuankömmlingen. Zutritt nur für geladene Gäste. Gleich beginnt hier die Abendveranstaltung einer globalen Vermögensverwaltung. „Wir investieren nur in Unternehmen, die Umwelt und Gesellschaft positiv beeinflussen“, sagt einer der Vermögensverwalter zur Begrüßung. „Die Welt ist nicht nur ein Marktplatz, sondern auch ein Lebensraum“, fügt er hinzu. Um herauszufinden, welche Technologien Kriterien für wegweisende Geldanlagen erfüllen, laden die Vermögensverwalter regelmäßig Wissenschaftler ein. An diesem Dienstag schaltet Maximilian Fichtner kurz nach 19 Uhr seinen Laptop ein. „Ist die Batterie die Lösung für unsere kohlendioxidarme neue Welt?“, lautet der Titel seines Vortrags.

Zukunft des Individualverkehrs

Fichtner ist Professor für Festkörperchemie an der Universität Ulm, Direktor vom Helmholz Zentrum für Elektrochemische Energiespeicherung und Leiter der Abteilung Energiespeichersysteme am Institut für Nanotechnologie am Karlsruhe Institut für Technologie (KIT). „Batterie-Papst“ nannte ihn der „Spiegel“. An diesem Abend preist Fichtner das E-Auto und untermalt seine Predigt mit einer Serie von Grafiken, Formeln und Diagrammen.  Er sagt: „Derzeit sind batterieelektrische Fahrzeuge die umweltfreundlichste Art des Individualverkehrs“. Für Probleme, wie schwere Batterien mit schädlichen Bestandteilen und geringer Kapazität, gebe es Lösungen. Einige davon wird er an diesem Abend vorstellen.

Fichtners Lektion dürfte Balsam sein für die Seele mancher Autofans. Denn der Individualverkehr mit Benzin und Diesel droht, in eine Sackgasse zu geraten. Zwar diskutieren europäische Politiker derzeit darüber, das ab 2035 geplante Verbrennerverbot zu kippen, aber eine andere Regelung könnte künftig Autos ausbremsen. Zumindest in Innenstädten.

Gesundheit mit Grenzwerten

Ab 2030 gelten in der EU strengere Grenzwerte für Luftschadstoffe. Bei Feinstaub PM 2,5 – das sind Partikel mit einem maximalen Durchmesser von 0,0025 Millimeter – soll der Jahresmittelwert auf fünf Mikrogramm pro Kubikmeter gesenkt werden. Momentan beträgt die Grenze 25 Mikrogramm pro Kubikmeter. Die Stickstoffdioxidkonzentration darf künftig zehn Mikrogramm nicht überschreiten. Derzeit beträgt das Maximum 40 Mikrogramm. Zwar existieren Möglichkeiten, die neue EU-Luftqualitätsrichtlinie erst spätestens 2037 umzusetzen, aber Ausnahmen sind an Bedingungen gekoppelt. Werden Werte überschritten, müssen Behörden kurzfristige Notfallmaßnahmen einleiten.

Aus Sicht von Barbara Hoffmann, Professorin für Umweltmedizinische Epidemiologie an der Universität Düsseldorf, sind schärfere Grenzwerte dringend nötig. „Mit jedem Atemzug in der Stadt atmen wir allein zwei bis drei Millionen Feinstaubpartikel ein.“ Diese Partikel gelangten in die Atemwege und könnten sich im Blut verteilen, das sie zu Organen transportiere, wo sie oxidativen Stress auslösen, der zur Bildung von Sauerstoffradikalen führe, die wiederum Entzündungen im Gewebe hervorrufen. „Bei bis zu acht Prozent aller Todesfälle in Deutschland ist Luftverschmutzung eine Mitursache“, warnt Hoffmann.

Vertreter von Kommunen und Wirtschaftsverbänden fürchten dagegen Fahrverbote in Innenstädten. Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetags, sagt: Man dürfe die Verantwortung für saubere Luft „nicht einseitig den Städten zuschieben.“ Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), spricht unter anderem von „unzumutbaren Eingriffen“ in die Mobilität. Hauke Dierks, Umweltexperte der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), hofft auf einen Siegeszug der Elektroautos. Auf G+G-Anfrage sagte er: Wenn die Bundesrepublik „ihre Ziele zum Hochlauf der Elektromobilität und Energiewende“ erreiche, erscheine eine Einhaltung der neuen Grenzwerte „realistisch – auch ohne Fahrverbote“.

Stromer mit Startschwierigkeiten

Die Bundesregierung hatte beschlossen, dass 2030 mindestens 15 Millionen Elektroautos durch Deutschland kurven. Doch dieses Ziel scheint unerreichbar. Von den rund 49 Millionen Fahrzeugen auf unseren Straßen fahren aktuell gut 1,4 Millionen rein elektrisch. Seit die Ampel Ende 2023 abrupt auf die Bremse trat und den Umweltbonus für E-Autos abgeschafft hat, bewegen sich die Zulassungszahlen nur noch im Schneckentempo nach oben. Zwischen Januar und April 2024 registrierte das Kraftfahrzeugbundesamt gerade einmal 111.000 Neuanmeldungen für E-Autos. Doch selbst wenn Model Y, ID4, EQA & Co. zurück auf die Überholspur finden, bleibt die Frage: Verbessern E-Autos wirklich die Luftqualität und damit unsere Gesundheit?

Beispiel Feinstaub. Verbrenner mit modernen Abgasreinigungssystemen emittieren kaum noch Feinstaub aus dem Auspuff. Stattdessen gelangen die winzigen Partikel durch Reifen- oder Bremsabrieb in die Luft. Ein Nachteil für die im Vergleich zu Benzinern und Dieseln meist deutlich schwereren E-Autos. Denn mit dem Gewicht steigt der Abrieb. Würde mehr Elektromobilität also sogar zu einer höheren Feinstaubbelastung führen?

Markus Langner ist Geoökologe, hat über die Filterung von Feinstaub durch Straßenbäume promoviert und ist Luftqualitätsexperte beim Umweltbundesamt (UBA). Er sagt: „Sicher sind Elektrofahrzeuge per se schwerer als ein Verbrenner und deshalb ist davon auszugehen, dass der Reifenabrieb etwas höher ist.“ Gleichzeitig hätten E-Autos aber einen geringeren Bremsabrieb. Ursache sei die Rekuperation, also die Energierückgewinnung mit einer Kontaktbremse, die das Fahrzeug wie mit einer Motorbremse verzögert. Dadurch werden die herkömmlichen Bremsen weniger beansprucht. „Unterm Strich dürften sich Feinstaubemissionen durch Abrieb kaum unterscheiden“, so UBA-Experte Langner.

Beispiel Kohlendioxid. Hier sind E-Autos zunächst im Vorteil, fahren sie doch lokal emissionsfrei. Wird jedoch ihre Produktion in die Berechnung einbezogen, ist die Antriebsquelle aus der Steckdose gar nicht so umweltfreundlich ist, wie postuliert. Demnach muss ein E-Auto mindestens 30.000 Kilometer fahren, um eine bessere CO2-Bilanz aufzuweisen als ein Verbrenner – und das auch nur, wenn es ausschließlich mit Ökostrom fährt. Ende 2022 berechnete Thomas Koch, Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), dass E-Autos teilweise klimaschädlicher sind als Verbrenner. Während ein E-Auto der Kompaktklasse 175 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoße, emittiere ein moderner Diesel nur 153 Gramm. Grund: Ein großer Teil des Stroms für E-Autos wird hierzulande aus Kohle gewonnen.

E-Autos nur ein kleiner Teil der Lösung

Gegner eines Verbrennerverbots setzen deshalb darauf, klassische Motorentechnik umweltfreundlich weiterzuentwickeln. Statt Benzin oder Diesel sollen Kraftstoffe aus regenerativen Rohstoffen unsere Pkw antreiben. Für diese E-Fuels wird durch Elektrolyse Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten. Der dafür nötige Strom stammt aus Wasser- oder Windkraft. In einem zweiten Schritt verbinden sich Wasserstoff und Kohlendioxid, das aus der Umgebungsluft extrahiert wird oder als Abfallprodukt industrieller Prozesse anfällt. Am Ende verbrennt das Gemisch C02-neutral, denn während der Fahrt wird nur so viel Kohlendioxid freigesetzt, wie bei der Produktion der Atmosphäre entzogen wurde. 

Epidemiologin Barbara Hoffmann fordert von der Politik dagegen eine grundlegende Verkehrswende. „Elektromobilität ist ein kleiner Baustein, der vor allem vor Ort, in dicht besiedelten Regionen, etwas zur Reduktion der Luftschadstoffbelastung beitragen kann“, sagt die Wissenschaftlerin. Man müsse jedoch auch die Emissionen bei der Stromerzeugung und den schon jetzt vorhandenen Platzmangel in Innenstädten berücksichtigen. Letztlich löse es keine Probleme, jeden Verbrenner durch ein Elektroauto zu ersetzen. Stattdessen sollten Straßen und Parkplätze so weit wie möglich in Grünanlagen oder Flächen für Fußgänger, Fahrradfahrer und den öffentlichen Nahverkehr umgewandelt werden, um damit auch die Anpassung an den Klimawandel zu verbessern, so Hoffmann.

In München hat Chemieprofessor Fichtner seinen Vortrag über E-Autos beendet. Als er das Gebäude längst verlassen hat, beginnt einer der Investoren zu erzählen; über seine Firma, die sich bundesweit an Energieunternehmen beteiligt und über einen möglichen privaten Autokauf. „Hybrid, Elektro oder Wasserstoff?“, fragt sein Kollege. Der Mann ist sichtlich ratlos, überlegt sekundenlang und sagt dann: „Ich habe keine Ahnung.“

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