Interview Prävention

Wie Ärzte und Psychologen besser bei der Prävention von Extremismus helfen können

03.03.2025 Annette Affhüppe 5 Min. Lesedauer

Aufgrund globaler Krisen haben psychische Belastungen und Ängste in den vergangenen Jahren zugenommen. Gleichzeitig finden extremistische Gruppierungen und Ideen Zulauf. Ärztinnen, Ärzte und Psychotherapeuten können Patienten, die auf dem Weg der Radikalisierung sind, helfen. Im Interview erläutert die Wissenschaftlerin Dr. Thea Rau Möglichkeiten der Extremismusprävention.

Ein Arzt führt ein vertrauliches Gespräch mit einem Patienten.
Menschen mit psychischen Erkrankungen sind zum Teil besonders empfänglich für extremistische Ansichten.

Frau Dr. Rau, wie entstand die Idee zum Forschungsprojekt? Welchen Bedarf haben Sie dafür gesehen?

Thea Rau: Wir haben im Jahr 2020 eine Handlungsempfehlung für Ärztinnen und Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten erstellt. Darin haben wir Informationen zusammengefasst, wie Fachkräfte aus Heilberufen Anzeichen einer Radikalisierung erkennen und wie sie darauf reagieren können. Die Broschüre, die inzwischen auch im Internet abgerufen werden kann, wurde bei uns sehr häufig angefragt. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gab es nochmals verstärkt Nachfragen dazu, vor allem von Kolleginnen und Kollegen in eigener Praxis.

Das damalige Projekt wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert. Wir haben dann gemeinsam überlegt, wie wir den Bedarf zum Thema aus der Krankenbehandlung vertiefender adressieren können und das Projekt – kurz HE-QV – mit seinen beiden Säulen entwickelt. Für eine der beiden Säulen (Qualifizierung) haben wir eine E-Learning-Fortbildung für Ärzte und Psychotherapeuten zum Thema entwickelt. Im vergangenen Jahr haben sich rund 3.000 Fachkräfte für diese Fortbildung registriert.

 

„Die Krisen und Entwicklungen in den letzten Jahren haben zu psychischen Belastungen und teilweise auch zu Ängsten bei Menschen geführt.“

Dr. Thea Rau

Sozialarbeiterin und Forschungsgruppenleiterin

Welche Erfahrungen haben Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeuten und -therapeutinnen mit extremistischen Einstellungen bei Patienten? Sind sie häufig damit konfrontiert?

Rau: Mit Beginn des Projektes haben wir im Jahr 2022 eine Online-Befragung durchgeführt. An dieser haben 364 Fachkräfte teilgenommen. Ein großer Teil davon waren Psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten. 58 Prozent gaben an, schon einmal Patienten mit extremistischer Einstellung behandelt zu haben. Fachkräfte, die dann an der Fortbildung teilgenommen haben, wurden bei Beginn ebenfalls zu ihren Berührungspunkten mit dem Thema Extremismus befragt. An dieser Befragung haben rund 3.000 Fachkräfte teilgenommen und 65 Prozent gaben an, dass sie schon mal Patienten mit extremistischer Einstellung behandelt haben. Die Befragung ergab, dass sie Sorgen und Bedenken im Umgang mit dem Thema hatten. Viele fühlten sich nicht sicher genug, wie sie die Ansichten im Rahmen der Krankenbehandlung ansprechen und wie sie bei möglichen Gefährdungslagen handeln sollen. Auch das Einordnen von Äußerungen von Patienten fällt teilweise schwer. Das aber gerade ist wichtig, um nicht vorschnell zu urteilen.

Beim Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und extremistischen Einstellungen können sich schnell auch Stigmatisierungen einstellen. Haben Sie diese Vorbehalte bei Angehörigen von Heilberufen gefunden?

Rau: „Stigmatisierung“ würde ich es nicht nennen. Aber wenn ein Therapie- oder Behandlungsplatz frei würde, würden einige Fachkräfte laut der Befragungsdaten eher keinen Therapieplatz für Menschen mit extremistischer Einstellung anbieten. Das hängt sicherlich auch mit der bereits erwähnten Unsicherheit bei dem Thema zusammen. Ein Großteil der Befragten sieht sich nicht gut ausgebildet im Umgang mit dieser Personengruppe und wünscht sich daher Fortbildungsangebote.

Zum Forschungsprojekt

Das Forschungsprojekt „Aktivierung von Angehörigen von Heilberufen für das Thema Extremismusprävention durch Qualifizierung und Vernetzung (HE-QV)“, geleitet von Dr. Thea Rau und Prof. Marc Allroggen an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Ulm, hatte zum Ziel, Angehörige von Heilberufen zum Thema Extremismusprävention zu qualifizieren und eine Vernetzung der Berufsgruppen und Akteure herzustellen. Das rund dreijährige Projekt (01.09.2021 bis 31.12.2024) wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert.

Warum ist es wichtig, Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeuten und -therapeutinnen für Extremismusprävention zu sensibilisieren?

Rau: Die Krisen und Entwicklungen in den letzten Jahren haben zu psychischen Belastungen und teilweise auch zu Ängsten bei Menschen geführt. Menschen mit psychischen Erkrankungen sind wiederum teilweise besonders suggestibel für extremistische Ansichten. Extremistische Gruppierungen wiederum finden häufig Zulauf, weil sie „einfache Antworten“ auf komplexe gesellschaftliche Fragen und Probleme kommunizieren und zum Beispiel auch „Freund-Feind“-Bilder propagieren. Das sind nur vermeintlich schnelle Entlastungsmöglichkeiten.

Ärzte und Psychotherapeutinnen können wichtige Ansprechpersonen sein, denn sie können Einblick in die bisherigen Bewältigungsmechanismen von Patientinnen und Patienten gewinnen und im Rahmen der Krankenbehandlung möglicherweise sehr zeitnah erkennen, wenn sich Menschen von der Gesellschaft entfernen.

Ein vertrauliches Gespräch, was Menschen bewegt, was sie belastet und wie ihnen geholfen werden kann, kann so auch Teil von Extremismusprävention sein, auch wenn der Auftrag die Krankenbehandlung ist und bleibt.

„Extremistische Gruppierungen finden häufig Zulauf, weil sie „einfache Antworten“ auf komplexe gesellschaftliche Fragen und Probleme kommunizieren (...). “

Dr. Thea Rau

Sozialarbeiterin und Forschungsgruppenleiterin

Welche Maßnahmen und Möglichkeiten haben sich als besonders hilfreich für die Extremismusprävention herausgestellt? Wie waren Ihre Ansätze?

Rau: Wir haben als zweite Säule im Projekt eine Deutschlandkarte auf unserer Projektwebseite entwickelt, über die für ein jeweiliges Bundesland tätige Anlaufstellen zum Thema Extremismus ausgewählt werden können. In den Veranstaltungen haben wir immer wieder darauf hingewiesen, dass die Fachkräfte in diesen Anlaufstellen/Fachberatungsstellen Experten zum Thema sind und Angehörige von Heilberufen im Umgang mit Patienten oder Angehörigen beraten können. Im Projekt bauen wir damit „Brücken“ zwischen verschiedenen Berufsgruppen. Und auch die Sicherheitsbehörden waren Teil von Gesprächsrunden. Denn in einem möglichen Gefährdungsfall können diese Kontakte weiterhelfen. Dabei spielt eine wesentliche Rolle zu wissen, unter welchen Bedingungen Informationen weitergegeben werden können, denn es besteht die ärztliche Schweigepflicht gegenüber den Patientinnen. Und dann hat sich die Fortbildung als hilfreich gezeigt, gerade auch für Informationen zum Umgang mit der Schweigepflicht.

Wie geht es weiter mit den Ergebnissen des Projekts? Können Sie uns einen Ausblick geben?

Rau: Die Projektförderung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurde für dieses Jahr auf den Erhalt der Projekt-Webseite beschränkt. Wir suchen daher nach weiteren Finanzierungsmöglichkeiten für die E-Learning-Fortbildung, die ein voller Erfolg war. Denn in allen Lernbereichen stellten sich bedeutsame Wissenserweiterungen ein und auch die Handlungssicherheit wurde nach Beendigung der Fortbildung deutlich höher eingeschätzt von den Teilnehmenden. Aktuell können sich Interessierte für die Fortbildung in die Interessentenliste auf der Webseite eintragen. Außerdem werden wir Schwerpunkte aus den Befragungen publizieren und mit Fachkräften aus verschiedenen Arbeitsbereichen diskutieren, wie es mit dem Thema im Rahmen der Krankenbehandlung weitergehen kann.

Zur Person

Dr. Thea Rau ist Sozialarbeiterin und arbeitet als Forschungsgruppenleiterin in der Arbeitsgruppe „Gewalt, Entwicklungspsychopathologie und Forensik“ an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm.

Mitwirkende des Beitrags

Optionale Felder sind gekennzeichnet.

Beitrag kommentieren

Alle Felder sind Pflichtfelder.

Datenschutzhinweis

Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.

Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.