Feature Prävention

Kick it like Hüppe: Wie der Bundestag gegen Diabetes dribbelt

03.07.2024 Anja Schnake 6 Min. Lesedauer

Im Match gegen die Fußballer der Deutsche Diabetes-Hilfe gelang dem FC Bundestag nur ein Ehrentreffer. Noch schwerer als die Duelle auf dem Platz war die Debatte nach dem Spiel.

Foto: FC Bundestag: Einlauf zu Spielbeginn, der FC Bundestag (in Weiß) mit Spielern des FC Diabethologie.
Gute Laune beim Einlauf ins Jahnparkstadion: Der FC Bundestag (in Weiß) mit Spielern des FC Diabetologie.

Die eisenbeschlagene Eingangstür des Hauptgebäudes der Bundestagsverwaltung öffnet sich schleppend. Heraus tritt ein Mann in den Sechzigern, weißes Trikot mit schwarzem Längsstreifen und goldenen Sternen. Die Fußballschuhe klackern auf dem Bürgersteig. Der Bus wartet schon. Es ist kurz nach fünf, ein warmer, sonniger Tag Ende Juni. Hubert Hüppe tritt heute mit dem Team des FC Bundestages gegen die Kicker der Deutschen Diabetes-Hilfe an. Am nächsten Tag wird der Unions-Mann die Sitzung des Gesundheitsausschusses leiten – heute verteidigt er außen rechts. Er fährt sich mit der Hand durch die weißen Haare. „Es ist schon ein paar Jahre her, dass wir gegen den FC Diabetologie gewonnen haben“, sagt er.

Einige Sitze sind leer geblieben, als der Bus anfährt. Fraktionstermine, womöglich auch das EM-Spiel um 18 Uhr, lichten die Ersatzbank der parlamentarischen Elf. Der bisherige Torwart Ingmar Jung hat kürzlich ins Ministeramt gewechselt. Die planungsrelevante Position besetzt nun Lasse Langemack, wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Abgeordneten - als Dauerleihgabe, wie er selber sagt. Auch Torschützenkönig Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) kann heute nicht dabei sein. Knapp zwanzig Männer und eine Frau machen sich auf den Weg zum kleinen Stadion im Jahn-Sportpark. Kapitän Mahmut Özdemir (SPD), nicht verwandt mit dem Bundesminister für Landwirtschaft, appelliert an sein Team: Die Viererkette müsse stehen, dann passiere schon nichts.

Fußballer sind anders

Foto: Hubert Hüppe, CDU-Bundestagsabgeordneter.
Der Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe (CDU) spielt seit seinem Einzug ins Parlament für den FC Bundestag.

Ankunft im Stadion. Am Spielfeldrand werden Getränkekisten und eine Aluminiumtruhe abgestellt, Jacken und Taschen auf der Bank verteilt. Hüppe wirft einen Blick auf die gegnerische Hälfte. Auf dem Rasen posieren etwa 40 hochgewachsene, teilweise sehr athletische Männer und zwei Spielerinnen in leuchtend grünen Trikots fürs Foto. Neben der Bank zeichnet eine junge Frau ihr Interview mit einem Spieler auf. Ein paar mitgereiste Fans, Frauen und Jugendliche tummeln sich am Spielfeldrand. Der FC Bundestag habe sich durch den Sieg der Ampelkoalition erheblich verjüngt, sagt Hüppe, „doch von der Konstitution und vom Alter her haben wir heute nicht so gute Chancen.“ Aus dem Gesundheitsausschuss sitzt noch Mannschaftsarzt Herbert Wollmann (SPD) auf der Bank. Gero Hocker (FDP) engagiert sich in der dritten Halbzeit und ist auf dem Platz nicht zu sehen. Auch die Fans des FC Bundestag haben wohl mehrheitlich das EM-Spiel gewählt.

18 Uhr, Anpfiff. Zwei Minuten später rollt der Ball zum ersten Mal ins Tor der Parlamentarier. Abseits. Hüppe sitzt zunächst auf der Bank. In seiner Jugend kickte der Verwaltungsexperte eher auf dem Schulhof im westfälischen Lünen als in Vereinen. „Der FC Bundestag war mein Dreamteam, als ich 1991 Abgeordneter wurde", sagt der Alterspräsent seines Teams, „das war natürlich toll, mit Norbert Lammert, Peter Struck und Theo Waigel zu spielen.“ Inzwischen hat der 67-Jährige mit dem Traditionsklub rund 200 Partien bestritten. Im Heimatwahlkreis Unna spielt er außerdem für die Eintracht Werne. „Mir gefällt die Gemeinschaft im Spiel“, sagt Hüppe. „Fußballer sind einfach anders sozialisiert als andere Menschen, das Team steht im Vordergrund.“ Dieses Team hat in der Verteidigung nun allerhand zu tun. Die Diabetologen kontrollieren den Ball, nur selten lassen sie sich in den eigenen Strafraum drängen.

Abgeordnete unter Beschuss

„Boah, ist die gut“, ruft einer von der Bank. Die drahtige, kleine Spielerin im grünen Trikot mit der Nummer 13 dribbelt sich allein durch fünf Verteidiger in Weiß hindurch. Auf der Bundestagsbank spricht sich herum, gegen wen sie da antreten: Sandra Starke ist deutsche Nationalspielerin und stürmt seit einem guten Jahr für den RB Leipzig. Eine Handvoll weiterer Ex-Profis verstärken Mittelfeld und Abwehr einer Truppe, die sich überwiegend aus Ärzten und Professoren rekrutiert. Auch der ehemalige Bundesliga-Trainer Christoph Daum – heute wegen Krankheit ausgefallen – hilft dem Team, das Thema Diabetes auf die politische Tagesordnung zu kicken. 18:20 Uhr, zweite Torchance für die Diabetologen. Bundestags-Torwart Lasse Langemack hält. Das Spiel geht weiter. Hüppe wird eingewechselt und wehrt einen gefährlichen Torschuss ab. Nach einem weiteren Ballverlust im eigenen Strafraum kassieren die Weißen in der 26. Minute dann doch den ersten Treffer. Kaum sechzig Sekunden später muss sich der junge Torhüter schon wieder auf den Ball werfen. „Langemack ist unser Man oft the match“, sagt einer auf der Bank. Ein weiterer Kopfball der grünen Angreifer fliegt nur knapp übers Bundestagstor. Halbzeit und Pause.

Hüppe greift sich eine Wasserflasche aus der Kiste neben der Bank. Bisher sei er nicht unzufrieden, sagt er: „So ein Spiel ist ja auch spannender, wenn es sich vor dem eigenen Tor abspielt.“ Zwei lange Schrammen zieren sein rechtes Knie; er weiß nicht, woher sie kommen. Es werde absolut fair gespielt, berichtet der Verteidiger. Etwas gemein findet er, dass die Diabetologen zwar eine Reihe grauer Eminenzen ans Spielfeld stellen, aber fast nur Jüngere oder Top-Athleten einsetzen.

FC Bundestag

Der FC Bundestag e. V. ist eine Fußballmannschaft, die sich aus ehemaligen und aktuellen Mitgliedern des Deutschen Bundestages zusammensetzt. Sie ist Teil der Sportgemeinschaft Deutscher Bundestag e. V. und fraktionsübergreifend besetzt. Neben Spielen gegen andere Parlamentsauswahlen tritt die Mannschaft zugunsten karitativer Zwecke gegen verschiedene Hobbymannschaften an. Der Mannschaft gehören Männer und Frauen an. Das erste Spiel des FC Bundestags fand am 12. April 1961 statt.

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Wolken überm Fußballhimmel

Auch zu Beginn der zweiten Halbzeit sitzt Hüppe zunächst auf der Bank. Nach dem Seitenwechsel drängen sich die Grünen weiter vor dem Tor des Bundestagsteams. Ecke, Pfiff, Doppelpass und Tor. Spielstand: zwei zu null. „Was ist denn mit der Abwehr da los?!“, schimpft Hüppe. Vielleicht klappt es mit dem Angriff: Kapitän Özdemir erobert den Ball und läuft ins gegnerische Feld, jemand fällt. Ein Freistoß aufs Tor der Diabetologen scheitert am Torwart, der auch den nächsten Schuss abfängt. Wenige Minuten später löst sich die hochgewachsene grüne Nummer 30 aus dem Getümmel. Der Leichtathlet und Typ-1-Diabetiker Daniel Schnelting stürmt auf Tor des FC Bundestags und trifft zum 3:0. Es ist 18:57 Uhr. Ein paar Wolken haben sich vor die Sonne geschoben.

Der Vorsprung bringt Dynamik ins Spiel. Özdemir kämpft sich durch die grüne Verteidigung und trifft für den FC Bundestag. Eine Minute nach sieben steht es 3:1. Ein Parlamentarier trabt zum Auswechseln vom Platz, das sei kein Spaß da draußen, sagt er Richtung Bank. Hüppe kommt wieder ins Spiel und bleibt im eigenen Strafraum ein gefragter Mann. Kapitän Özdemirs Siegeswille ist ungebrochen: „Los, Jungs, noch eine Minute für drei Tore, das schaffen wir!“. Doch es kommt anders: Um 19:07 Uhr fällt das 4:1 für die Diabetologen. Wenige Minuten später der Abpfiff. Kein Foul, keine Nachspielzeit. Allgemeines Händeschütteln unter den Teams, Schulterklopfen, anerkennende Worte. Ein verdienter Sieg für die Grünen, findet Hüppe. Der Kapitän fasst es auf der Rückfahrt im Bus so zusammen: „Vom Ergebnis abgesehen, haben wir heute ein super Spiel gemacht!“

Dritte Halbzeit mit Minister

Die Fußballer haben noch eine andere Art von Verlängerung vor sich. Bis viertel nach acht finden sie sich in einem Konferenzraum des Amano Hotels Grand Central am Hauptbahnhof ein. Dunkler Marmor statt Rasen, Kunstlicht, ein paar Sponsorentafeln stehen hinter vier Stehpulten am schmalen Ende des Raumes. Nicht um den Ball, sondern gegen die Volkskrankheit Diabetes kämpfen sie hier. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir erklärt vor gut besetzten Stuhlreihen seine Nationale Ernährungsstrategie. Er erntet Zustimmung, aber auch Kritik. Das sei ein guter Schritt, sagt Jens Kröger, Vorstandschef der Deutschen Diabetes Hilfe, auf dem Rasen die Nummer Neun im grünen Trikot, „echte Tore sehe ich allerdings noch nicht." Auf dem Podium wird über Sinn und Unsinn einer Zuckersteuer diskutiert, Einschränkungen für Werbung, die sich an Kinder richtet, gesünderes Essen in Kitas und Schulen sowie eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleischprodukte. Bald kommen die Gespräche zu den großen Fragen im Gesundheitswesen: Sollte man eher Geld ausgeben, um Krankheiten zu verhindern, oder um sie zu kurieren?

Antworten findet heute niemand. Die Zeit ist knapper als sonst. Ab 21 Uhr werden auf der Dachterrasse die EM-Spiele England gegen Slowenien und Dänemark gegen Serbien übertragen. Die Fußballer verlassen pünktlich ihre Plätze. Im Fahrstuhl auf dem Weg nach oben ist Hubert Hüppe unter den Ersten.

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