Artikel Prävention

Bevölkerung für HIV sensibilisieren und Versorgungslücken schließen

02.08.2024 Tina Stähler 4 Min. Lesedauer

Die ersten Fälle der Immunschwächeerkrankung Aids, ausgelöst durch das HI-Virus, wurden in Deutschland Anfang der 1980er Jahre bekannt. Damals kam die Erkrankung einem Todesurteil gleich. Das hat sich gut 40 Jahre später – zumindest hierzulande – geändert. HIV ist in Deutschland mittlerweile gut therapierbar. Ganz anders sieht es im globalen Süden aus, wo Therapien rar und teuer sind. Ein Überblick über aktuelle Entwicklungen und den Stand der Forschung.

Foto: Scrabblesteine liegen nebeneinander, in Rot ist das Wort "HIV", in Weiß das Wort "Aids" gelegt.
Wenn HIV rechtzeitig therapiert wird, kommt es nicht zu einem Ausbruch von Aids. Doch nicht jeder hat Zugang zu den entsprechenden Medikamenten.

„Nothing about us without us!“ – „Nichts über uns ohne uns!" – so hieß es wiederholt auf der Welt-Aids-Konferenz, die Ende Juli in München stattgefunden hat. Winfried Holz, Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH), forderte in einer Presseerklärung zur Abschlusskundgebung, Geld und Verantwortung in die Hände der Communitys zu legen, die am stärksten betroffen sind: „Nur die Menschen, um die es geht, wissen wirklich, wie es geht." 

Unentdeckte Infektionen bergen Risiko

Während das Humane Immundefizienz Virus (HIV) für viele Menschen aus dem Bewusstsein verschwunden sei, unterstreiche die Münchner Konferenz die anhaltende Herausforderung, erklärte Anne von Fallois, geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Aids-Stiftung, gegenüber G+G. Weltweit seien fast 40 Millionen Menschen infiziert. In Deutschland lebten rund 100.000 Menschen mit dem Virus. Gerade bei der Diagnose von HIV gebe es noch Luft nach oben. „In Deutschland wissen geschätzt 8.200 Menschen nicht, dass sie das HI-Virus in sich tragen.“ Jede unentdeckte Infektion bedeute ein enormes Risiko. Laut einer Schätzung des Robert-Koch-Instituts haben sich 2023 wahrscheinlich rund 2.200 Menschen in Deutschland neu infiziert.

Silke Klumb, Geschäftsführerin der DAH, verwies gegenüber G+G auf bestehende Versorgungslücken in Prävention und medizinischer Versorgung – auch innerhalb Deutschlands: „Das ist nicht akzeptabel – erst recht nicht in einem Land, das sich gerne als Vorreiter betrachtet." Die Ampel-Regierung sei bislang ein Modell der medizinischen Versorgung für Menschen ohne Krankenversicherung beziehungsweise Aufenthaltspapiere schuldig geblieben, das sie im Koalitionsvertrag versprochen habe. „Weiterhin erkranken Menschen an Aids, weil sie aus Angst vor Abschiebung keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Ohne Therapie bleibt HIV übertragbar." Sie bezeichnete diese Versorgungslücke menschenrechtlich wie epidemiologisch als „Skandal".

Noch vor gut 40 Jahren, als die ersten Fälle des „Acquired Immunodeficiency Syndrome“ (AIDS), zu Deutsch „Erworbenes Immunschwächesyndrom", in Deutschland bekannt wurden, galt die Immunschwächeerkrankung als unheilbar. Mittlerweile gibt es wirkungsvolle Therapien, durch die – sofern regelmäßig eingenommen – HIV im Blut nicht mehr nachweisbar ist. Infolge der Medikamenteneinnahme bricht AIDS nicht mehr aus. 

Holz warnte jedoch zum Abschluss der Konferenz in München davor, die Erfolge der letzten Jahrzente aufs Spiel zu setzen: „Die Situation steht auf der Kippe. So deutlich wie nie zuvor hat diese Konferenz gezeigt: Die Welt verfügt über hochwirksame Mittel, aber die Finanzierung von Maßnahmen gegen HIV/Aids ist global unzureichend, in vielen Ländern fehlt zudem der politische Wille zu Prävention für die besonders stark betroffenen Gruppen." Vorhandene Therapien und Möglichkeiten müssten endlich allen Menschen zugänglich gemacht werden.

„Die Situation steht auf der Kippe.“

Winfried Holz

Vorstand der Deutschen Aidshilfe

Neues Mittel könnte viele Infektionen verhindern

Die weltweit verfügbaren Mittel gegen HIV/Aids sind seit 2020 nach Informationen des gemeinsamen Programms der Vereinten Nationen für HIV/AIDS (UNAIDS) um knapp acht Prozent zurückgegangen. Die verfügbare Summe ist weit entfernt von den 29,3 Milliarden Dollar, die 2025 für weniger zahlkräftige Länder benötigt würden. Das neuartige HIV-Medikament Lenacapavir der Firma Gilead schützt laut einer ersten Studie in Südafrika zuverlässig vor einer HIV-Infektion und muss nur zweimal jährlich injiziert werden. Der Kongresspräsident der Welt-Aids-Konferenz und Infektiologe Christoph Spinner bezeichnete das Medikament als möglichen "Gamechanger". In Südafrika sind besonders sehr junge Frauen von HIV-Infektionen betroffen. „Da liegt eine Chance für den Durchbruch in der Prävention“, erklärte Spinner. Gerade in benachteiligten Gruppen mit hohem HIV-Risiko, zum Beispiel bei jungen Frauen, könnte es viele Infektionen verhindern. Der Preis, den die Firma für das Präparat bisher aufruft, würde den breiten Einsatz jedoch unmöglich machen. Das Medikament kostet pro Jahr 40.000 Dollar – bei Produktionskosten von unter 100 Euro, wie UNAIDS schätzt.

„Wir fordern die Herstellerfirma auf, den Wirkstoff über den Patentpool zur Produktion in ärmeren Ländern freizugeben und zudem Transparenz über Entwicklungskosten zu schaffen. Fantasiepreise dürfen wir uns nicht länger gefallen lassen. Wenn dieses Medikament wirklich so gut ist, darf die Firma es der Welt nicht vorenthalten“, erklärte Holz. Laut DAH stirbt bis heute jede Minute weltweit ein Mensch an Aids – also an den vermeidbaren Folgen einer HIV-Infektion. Nach Schätzungen von UNAIDS lebten Ende 2023 etwa 39,9 Millionen Menschen weltweit mit einer HIV-Infektion oder AIDS. Demnach wurde die Zahl der HIV-Neuinfektionen 2023 auf 1,3 Millionen Menschen geschätzt. Mehr als 95 Prozent aller HIV-Infizierten leben im globalen Süden, die Hälfte aller betroffenen Erwachsenen sind Frauen. Bis Ende 2023 waren bereits über 42,3 Millionen Menschen an den Folgen einer HIV-Infektion verstorben – allein im Jahr 2023 waren es 630.000 Menschen.

Foto: Eine Menschenmenge formt die Buchstaben "HIV" – um diese herum stehen weitere Menschen.
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Heilung durch Stammzellspende erfolgreich, aber riskant

Eine Heilung von HIV ist generell noch nicht möglich. Es gibt weltweit nur wenige Fälle, bei denen trotz abgesetzter antiviraler Therapie seit mehr als fünf Jahren kein HIV nachweisbar ist. Zuletzt wurde Mitte Juli 2024 ein Patient der Berliner Charité bekannt, der durch eine notwendig gewordene Stammzelltransplantation als von HIV geheilt gilt – der sogenannte zweite „Berliner Patient". Der erste „Berliner Patient" war vor mehr als 15 Jahren weltweit der erste Mensch, der von HIV geheilt wurde. Bei diesem war es nach einer Leukämie-Diagnose gelungen, einen Stammzellspender zu finden, dessen Gewebeeigenschaften zu ihm passten und der eine immunitätsstiftende Mutation in sich trug. Durch die Stammzellspende wurde das Immunsystem des Spenders inklusive der Mutation übertragen. 

Bei dem aktuellen „Berliner Patienten" kam eine Neuerung gegenüber dem ersten Fall hinzu: „Weil es für die Stammzellspende leider keine geeignete HIV-immune Person gab, haben wir eine Spenderin ausfindig gemacht, die auf ihren Zellen neben der normalen Version des CCR5-Rezeptors zusätzlich auch die mutierte Version der Andockstelle trägt“, erklärte Olaf Penack, Oberarzt an der Charité Berlin. „Dass die Stammzelltransplantation gegen das HI-Virus dennoch erfolgreich war, zeigte sich, nachdem der Patient 2018 aus eigenen Stücken die empfohlene antivirale Therapie absetzte. In der umfassenden Verlaufskontrolle konnte das Behandlungsteam bis zum heutigen Tage keinerlei Hinweise auf Virus-Reste finden." Das Immunsystem des Patienten sei funktional, auch Krebszellen seien nicht nachweisbar, so Panack. „Der Patient ist in erfreulich guter gesundheitlicher Verfassung.“

Weltweit wurden bisher vier weitere Personen durch Stammzellspende behandelt, auch sie gelten als geheilt. Die Behandlung ist allerdings riskant, das Risiko, infolge der Therapie zu sterben, liegt laut Charité bei rund zehn Prozent. Aus diesem Grund kommt sie für ansonsten gesunde HIV-Infizierte nicht infrage.

 

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