Wie lässt sich die Impfbereitschaft steigern?
Der Tod eines zehnjährigen Jungen aus Brandenburg, der Ende Januar an den Folgen von Diphtherie gestorben ist, hat deutlich gemacht, dass Infektionskrankheiten auch hierzulande nicht ausgerottet sind. Impfstoffe sind deutschlandweit verfügbar, doch die Impfquoten – gerade bei Kindern und Jugendlichen – zum Teil schlecht. Woran das liegt und wie sich gegensteuern lässt, hat G+G zusammengefasst.
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Der gelbe Impfpass ist eines der ersten offiziellen Dokumente, die ein Mensch in Deutschland erhält, und ist ein Leben lang gültig. Dort werden alle durchgeführten Impfungen vermerkt. Ein allgemeines elektronisches Impfregister gibt es noch nicht. Geht der Impfausweis verloren oder wechselt der Patient häufig den Arzt, bedeutet das einen Verlust des „Impfgedächtnisses“. Impferinnerungen, sogenannte Recall-Systeme, sind nicht einheitlich geregelt. Einige Ärzte erinnern ihre Patientinnen und Patienten per Post oder Mail an ihre Impfungen, andere nicht. Das sind keine idealen Voraussetzungen, um die Impfquoten in Deutschland zu verbessern.
Arzt-Patienten-Kommunikation unverzichtbar
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bereits vor Beginn der COVID-19-Pandemie Impfmüdigkeit als eine der „zehn wichtigsten Bedrohungen der globalen Gesundheit“ bezeichnet. Doch wie lassen sich mehr Menschen zum Impfen bewegen? Aus Sicht von Gesundheitskommunikationsexperten der Universität Erfurt sei es wichtig, Falschinformationen im Gespräch mit dem Patienten effektiv zu korrigieren und eine vertrauensvolle Beziehung zu ihm aufzubauen oder zu stärken. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz, etwa in Form von Chatbots, bietet Chancen für personalisierte und empathische Informationsvermittlung. Die „menschliche Dimension der Arzt-Patienten-Kommunikation“ bleibe aber unverzichtbar.
Dies bestätigt auch die Einschätzung von Hausärztinnen und Hausärzten: Eine feste Hausarzt-Patienten-Beziehung wirke sich grundsätzlich positiv auf die Impfquote aus, erklärte Nicola Buhlinger-Göpfarth, Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, auf Anfrage von G+G. „Unsere Verträge zur Hausarztzentrierten Versorgung sind der beste Beweis. Laut einer Studie führt die Teilnahme zu einer zehn Prozent höheren Impfquote als in der Regelversorgung.“ Die Sorge vor Impfnebenwirkungen steige, auch weil deren Häufigkeit und Schwere von impfkritischer Seite oft „massiv“ übertrieben werden, betonte Stefan Vieths, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), gegenüber G+G. „Die aktuelle Flut widersprüchlicher Informationen und die gezielten Falschbehauptungen verunsichern viele Menschen.“ Hier sei eine „gute, faktenbasierte Aufklärung“ vonnöten. Laut den Experten der Universität Erfurt hat die Corona-Pandemie die schon vorher existierenden Herausforderungen im Bereich der Impfkommunikation und der Bekämpfung von Impfmüdigkeit verschärft.
Nach wie vor Impflücken vorhanden
Viele Krankheiten, wie Polio, Diphtherie und Tetanus, haben im Laufe des letzten Jahrhunderts durch Impfungen an Schrecken verloren und galten zum Teil in Deutschland als ausgerottet. Der Fall eines ungeimpften zehnjährigen Jungen aus Brandenburg, der an den Folgen von Diphtherie Ende Januar 2025 gestorben ist, hat verdeutlicht, wie wichtig Impf- und damit auch Herdenschutz nach wie vor ist. Laut Robert-Koch-Institut sind nur 64 Prozent der Kinder im Alter von 15 Monaten (Geburtsjahr 2021) vollständig gegen Diphtherie geimpft.
Auch bei der Impfung gegen Polio besteht noch viel Luft nach oben: Nur 21 Prozent der Einjährigen in Deutschland sind vollständig gegen Polio geimpft, obwohl die Grundimmunisierung bis zu einem Alter von zwölf Monaten abgeschlossen sein sollte. Bei den Zweijährigen haben nur 77 Prozent einen vollständigen Impfschutz. Gegen Mumps, Masern und Röteln weisen rund 77 Prozent des gleichen Geburtsjahres mit zwei Jahren eine vollständige zweifache Impfung auf. Bis zum Schulalter wird die zweite Impfung zwar oft nachgeholt, empfohlen ist der Abschluss der zwei Impfungen aber bis zum Alter von 15 Monaten.
Durch Impfungen schützt jeder Mensch in erster Linie sich selbst vor einer ansteckenden Krankheit. Allerdings gibt es auch Menschen, die sich beispielsweise aufgrund einer chronischen Erkrankung nicht impfen lassen können. Einzelne Impfungen, wie die gegen Mumps, Masern und Röteln, sind noch nicht im frühen Säuglingsalter möglich. Deshalb sollten möglichst viele Menschen – im besten Falle 95 Prozent – gegen eine Erkrankung geschützt sein. Erst dann kann der sogenannte Herdenschutz (Gemeinschaftsschutz) greifen.
Appell an Eltern nach Diphtherie-Todesfall
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat nach dem Todesfall des Kindes auf die Dringlichkeit von Impfungen hingewiesen. „Diphtherie galt lange Zeit als Würgeengel für Kinder. Erst die Impfung nahm der Infektionskrankheit ihren Schrecken“, erklärte Lauterbach. Die Impfangebote nicht zu nutzen, sei „fahrlässig und kann tödlich enden“. Auch Michael Hubmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen e. V., appellierte an die besondere Verantwortung der Eltern und machte deutlich, dass es häufig zwar nur um seltene Erkrankungen gehe, wer sich aber infiziere, riskiere schwer zu erkranken oder sogar zu sterben. „Jeder Tote ist einer zu viel.“ Diphtherie ist eine bakterielle Infektion, die durch Diphtherie-produzierende Bakterien, sogenannte toxigene Corynebakterien hervorgerufen wird. Das Toxin der Bakterien ist für teils schwere Krankheitsverläufe verantwortlich. Die Ständige Impfkommission (Stiko) rät Menschen aller Altersklassen zu einer Diphtherieimpfung.
ePA könnte Impflücken schneller identifizieren
Laut Bundesgesundheitsministerium wird es mit der elektronischen Patientenakte (ePA) perspektivisch möglich sein, Daten zu Impfungen in einem elektronischen Impfpass zu sammeln. Auf diese Weise könnten Versicherte künftig auch von einer digitalen Impferinnerung profitieren. Zugleich könnten bestehende Impflücken schneller erkannt und geschlossen werden. Die ePA würde damit sowohl für Versicherte als auch für Ärzte die Übersicht über Impfungen erleichtern. Der Aufbau der ePA erfolgt in mehreren Stufen. Mit Start der ePA werden zunächst die Voraussetzungen für die digitale Unterstützung des Medikationsprozesses unter Einbindung des E-Rezepts geschaffen. In weiteren Ausbaustufen folgen weitere Daten und Funktionalitäten, unter anderem der elektronische Impfpass. Der genaue Termin für den Beginn der ePA steht noch nicht fest. Ursprünglich war der 15. Februar 2025 als Starttermin vorgesehen. Seit Mitte Januar läuft der „Rollout“ der ePA in einzelnen Testpraxen.
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