Wenn Pendeln krank macht – Firmen können Betroffenen helfen
Lange Wege zur Arbeit gehören für viele Menschen zum Alltag. Jüngsten Zahlen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zufolge lag die Zahl der Pendlerinnen und Pendler Mitte 2023 bei 20,48 Millionen. Das waren 140.000 mehr als im Jahr davor. Allerdings ist mit der Anfahrt zum Job viel Stress verbunden, der sich negativ auf die Gesundheit auswirken kann. Die Unternehmen können Betroffenen unter anderem mit flexiblen Arbeitsmodellen unter die Arme greifen.
Der Anteil der Pendlerinnen und Pendler an allen Arbeitnehmern liegt laut BBSR bei 60 Prozent. Der Wert ist stabil geblieben, da sich auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Vergleich zu 2022 erhöht hat. 7,13 Millionen Bürgerinnen und Bürger legten im Jahr 2023 auf dem Weg zum Job mehr als 30 Kilometer zurück, 3,96 Millionen mehr als 50 Kilometer und 2,28 Millionen mehr als 100 Kilometer. Der durchschnittliche einfache Arbeitsweg lag bei 17,2 Kilometern. Unter den 80 deutschen Großstädten übt München die größte Anziehungskraft für Arbeitskräfte aus dem Umland aus. Es folgen Frankfurt am Main, Hamburg, Berlin und Köln.
Zahl der Pendlerinnen und Pendler deutlich gestiegen
Wenn Menschen eine neue Beschäftigung in einem anderen Ort anfangen, stellt sich für sie die Frage, ob sie täglich oder wöchentlich pendeln wollen oder sich für einen Umzug entscheiden. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) fand in einer Studie heraus, dass sich bei einer Entfernung zwischen 50 und 100 Kilometern rund 86 Prozent für das tägliche Pendeln entscheiden, zwischen 150 und 200 Kilometern sind es immerhin noch knapp neun Prozent. Doch verspätete und überfüllte Züge, verstopfte Autobahnen und andere Zwischenfälle können das Pendeln zu einer unangenehmen Tätigkeit werden lassen, die sich physisch und psychisch negativ bemerkbar macht.
Zahlreiche gesundheitliche Auswirkungen
„Zu den gesundheitlichen Auswirkungen langer Pendelzeiten gehören unter anderem ein erhöhtes allgemeines Stressempfinden, häufigeres Auftreten von Erschöpfung, Anspannung und Niedergeschlagenheit sowie eine verminderte Schlafqualität“, erläutert BiB-Mobilitätsforscher Dr. Heiko Rüger gegenüber G+G. Daneben führten lange Arbeitswege nicht selten zu Verspätungen, verminderter Produktivität oder kontraproduktiven Verhaltensweisen wie erhöhter Aggressivität am Arbeitsplatz.
„Gleichzeitig weisen verschiedene Studien darauf hin, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf insbesondere für Frauen durch lange Pendelwege erschwert wird“, so Rüger. Mit dem Übergang zur Elternschaft reduzierten Frauen ihren Pendelaufwand deutlich. Das könne zu ungünstigen Erwerbsverläufen von Müttern beitragen. „Darüber hinaus können sich lange Pendelzeiten – bei beiden Geschlechtern – negativ auf die Zufriedenheit mit dem Familienleben und der Partnerschaft auswirken.“ Nicht zuletzt üben Erwerbstätige mit langen Pendelwegen seltener ein bürgerschaftliches Engagement aus.
Doch Rüger betont zugleich, dass nicht alle Pendlerinnen und Pendler unter ihrem Arbeitsweg leiden. Manchen gelinge es, die Pendelzeit als „Auszeit“ zu nutzen. Außerdem gingen lange Pendelwege häufig mit besseren Berufs- und Einkommenschancen einher. Ein weiterer Vorteil sei, dass dadurch ein Umzug für den Rest der Familie vermieden werden könne.
Das Eimer-Modell
Die eigene verfügbare Energie müsse man sich wie einen Eimer vorstellen, erläutert Professorin Fabiola Gerpott von der WHU – Otto Beisheim School of Management. Im Arbeitsalltag werde dort Energie herausgenommen, etwa durch anstrengende Erlebnisse wie Verspätungen von öffentlichen Verkehrsmitteln, Stau beim Autofahren aber auch durch unliebsame Jobtätigkeiten. Auf der anderen Seite lasse sich die Energie durch Schlaf und Erholung wieder auffüllen. „Wichtig ist, dass der Eimer nie ganz leer ist“, so Gerpott. „Wenn man in anspruchsvollen Zeiten auch noch nervige Pendelerfahrungen macht, dann kann das den Eimer leer saugen.“ Die Betroffenen fühlten sich gestresster, schliefen schlechter und es ließen sich sogar negative Auswirkungen auf den Blutdruck messen, sagt die Expertin zu G+G.
Den Pendelstress ausgleichen
Unternehmen sollten, unterstützt durch Betriebsräte, für flexible Arbeitszeit- und Ortsregelungen sorgen, um der „Rush Hour“ zu entkommen und so das Pendeln weniger anstrengend zu machen, rät Gerpott. Zweitens könnten Betriebe das vermeintlich gesündere „aktive Pendeln“ unterstützen, also Radfahren und zu Fuß gehen, etwa indem sie Fahrrad-Zuschüsse, Duschmöglichkeiten und sichere Radparkplätze bereitstellten. Außerdem könnten Firmen Entspannungserlebnisse während des Pendelns fördern, zum Beispiel durch Bildungsangebote zu Stressmanagement-Techniken, freie Zugänge zu Meditations- und Musik-Apps oder zu E-Books.
Experte Rüger empfiehlt Unternehmen als erstes eine Bestandsaufnahme, etwa durch eine Beschäftigtenbefragung, um einen Überblick über die Mobilitätssituation zu bekommen. Das übergeordnete Ziel müsse sein, die mit dem Pendeln verbundenen Belastungen zu reduzieren. Dies könne durch mehr Autonomie bei der Gestaltung von Dienstplänen, Arbeitszeiten und Arbeitsorten erreicht werden, wozu etwa Homeoffice-Möglichkeiten zählen.
Flexible Arbeitszeit- und Ortsmodelle
Arbeitgeber täten gut daran, zur Kenntnis zu nehmen, dass Fragen der Ausgestaltung von Arbeitsort und Arbeitszeit heute einen sehr viel höheren Stellenwert bei der Jobsuche einnähmen, als in den vergangenen Jahrzehnten, sagt Professor Knut Petzold von der Hochschule Zittau/Görlitz zu G+G. Die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie oder ausreichende Möglichkeiten zur Regeneration hätten bei der Jobsuche eine hohe Bedeutung. „Diese Präferenzen lassen sich besser im Rahmen von flexiblen Arbeitszeit- und Arbeitsortmodellen realisieren, die auch verschiedene Spielarten von Pendelmobilität beinhalten können“, so Petzold. Angesichts des starken Wunsches in der Bevölkerung nach einer guten Work-Life-Balance stellten flexible Mobilitätsarrangements „einen Wert an sich“ dar. Die Pakete könnten ganz individuell ausgestaltet sein und Tages- oder Wochenpendeln ebenso umfassen wie Gleitzeit oder „vereinzelte, flexible Officetage bei sonst überwiegendem Homeoffice“.
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