Studie: Radfahren stärkt sozialen Zusammenhalt
Radfahren macht Spaß, hält gesund und wirkt sich nicht nur auf jeden Einzelnen, sondern auf die ganze Gesellschaft positiv aus. Das belegt eine aktuelle Studie der FernUniversität Hagen. Hauptautor Harald Schuster erläutert die Hintergründe.
Herr Schuster, was bedeutet Ihnen persönlich das Radfahren?
Harald Schuster: Ich war schon immer gerne draußen, an der frischen Luft und in der Natur. Als Schüler bin ich jeden Tag sieben Kilometer zur Schule und zurück mit dem Fahrrad gefahren. Unvergesslich sind auch die Fahrradurlaube mit der Familie. Mit dem Rad unterwegs sein bedeutet, ganz nah an Menschen und Natur zu sein. Heute wohne ich in der Stadt. Das Fahrrad ist für mich mein Hauptverkehrsmittel. Ein Auto benötige ich gar nicht.
Warum ist Radfahren gut für die Gesundheit?
Schuster: Mitte November wurden neue Zahlen veröffentlicht, die besagen, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache in Deutschland sind. Die Menschen in den Industrieländern bewegen sich zu wenig. Wir wissen aus vielen Studien, dass moderate Bewegung gesund ist. Zudem zeigen Untersuchungen, dass Menschen, die mit dem Fahrrad zur Arbeit pendeln, signifikant weniger Krankheitstage haben. Bewegung ist übrigens auch gut für die mentale Gesundheit. Es stärkt die Stressabwehr und kann auch bei Depressionen helfen.
Sie sagen, dass Radfahren auch den sozialen Zusammenhalt stärkt. Woran machen Sie das fest?
Schuster: Zunächst ist es gar nicht so einfach zu sagen, was der soziale Zusammenhalt eigentlich ist. Die Fakultät für Psychologie der FernUniversität in Hagen hat hierzu einen eigenen Forschungsschwerpunkt. Wir verstehen den sozialen Zusammenhalt als ein Konzept mit vielen Facetten. Kernbestandteile von sozialem Zusammenhalt sind zum Beispiel die Akzeptanz von Vielfalt und die Orientierung am Gemeinwohl. Wir haben uns in unserer Studie auf Städte konzentriert, weil es dort für die meisten Menschen gute Alternativen zum Auto gibt und weil Städte Orte der Vielfalt sind. Mit Blick auf die Orientierung am Gemeinwohl haben wir vier Aspekte untersucht: politische Partizipation, soziale Beteiligung an Organisationen, Nachbarschaftssolidarität und nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft. Wir haben herausgefunden, dass Radfahren positiv mit diesen vier Aspekten zusammenhängt. Wir haben dabei auch mögliche Störfaktoren wie beispielsweise Wohneigentum, Einkommen, Bildung oder Geschlecht berücksichtigt.
Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Radfahren beispielsweise Solidarität und Hilfsbereitschaft unter Nachbarn wachsen lässt?
Schuster: An dieser Fragestellung arbeiten wir gerade. Tatsächlich steht sie im Fokus der laufenden Studien. Schon jetzt kann ich sagen, dass ein grundsätzliches Gefühl der eigenen Sicherheit eine Voraussetzung ist, dass sich Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer überhaupt öffnen für soziale Erfahrungen.
Wie ist es um den Radverkehr in Deutschland bestellt?
Schuster: Was die Menge von Radverkehr angeht, haben wir noch deutlich Luft nach oben. Insbesondere in den Städten könnten wir viel mehr Wege mit dem Rad zurücklegen. Das ist übrigens auch erklärtes Ziel der Bundesregierung. Interessant ist, dass in Deutschland einmal mehr Menschen Rad fuhren als in den Niederlanden. Wir haben in den automobilen Jahren hier in Deutschland viel Fahrrad-Infrastruktur zurückgebaut. Jetzt bauen wir sie wieder auf. Meiner Meinung nach sollte das wesentlich schneller passieren.
Wie ließe sich das Radfahren weiter fördern?
Schuster: Menschen fahren dann Rad, wenn sie sich dabei sicher fühlen. Das bedeutet konkret, dass wir mehr Infrastruktur für das Radfahren brauchen. Noch immer wird jedoch viel mehr Infrastruktur für das Auto gebaut, als für das Rad und den Fußverkehr. Und übrigens wird auch viel mehr Geld für den Auto-Straßenbau ausgegeben als für den Rad- oder Fußverkehr.
Sie arbeiten im Fachgebiet Community Psychology. Womit beschäftigt sich diese Disziplin?
Schuster: Im Fokus der Community Psychology steht die Analyse des Erlebens und Verhaltens von Menschen in ihren räumlichen und sozial definierten Kontexten – ihren Communities. Dabei werden neben den individuellen Einstellungen soziale, organisationale sowie politische Aspekte und deren Zusammenspiel in den Blick genommen. Durch die Anwendung von Erkenntnissen aus empirischer Forschung möchte sie Impulse geben wie das Zusammenleben von Menschen innerhalb ihrer Communities verbessert werden kann. Da wir Menschen viel Zeit mit Mobilität verbringen, ist es naheliegend, mit der community-psychologischen Brille unser Mobilitätsverhalten im Hinblick auf den sozialen Zusammenhalt in der Nachbarschaft zu erforschen.
Welche Forschungsfragen werden Sie als nächstes angehen?
Schuster: In unserer weiteren Forschungsarbeit möchten wir die zugrunde liegenden Prozesse besser verstehen und die Wirkmechanismen zwischen unserem Mobilitätsverhalten und dem Erleben eines sozialen Zusammenhalts untersuchen. Dabei nehmen wir insbesondere den Fußverkehr in den Blick. Zum einen ist der Fußverkehr chronisch unterschätzt. Dabei gehen fast alle Menschen täglich zu Fuß. Zum anderen ist der Fußverkehr die Form der Mobilität, die am meisten soziale Teilhabe ermöglicht. All das, was fürs Radfahren zutrifft, gilt wahrscheinlich für das Fuß gehen: Es ist nicht nur gesund, sondern wirkt auf das Erleben eines sozialen Zusammenhalts. Vielleicht noch mehr als das Radfahren.
Zur Person:
Harald Schuster ist Sozialpsychologe und arbeitet als Moderator und Berater für Politik und Verwaltung. Derzeit forscht er im Rahmen seiner Promotion an der Fakultät für Psychologie an der FernUniversität Hagen zum urbanen Mobilitätsverhalten und den Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt. Er ist Vorstand des Umweltschutz-Vereins „RADKOMM“ und gehört zum Gründungskreis von „Aufbruch Fahrrad“, einem Aktionsbündnis für nachhaltige Mobilität.
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