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Medizinstudierende mit Lust auf's Land

11.10.2024 Thomas Rottschäfer 4 Min. Lesedauer

Schon elf Bundesländer setzen auf eine Landarzt-Quote, um die ärztliche Versorgung zu sichern. Die Nachfrage unter den Medizinstudierenden ist groß.

Foto: Junger Arzt mit Kittel und Stethoskop steht draußen vor vielen Bäumen
Die Landarzt-Quote kann junge Mediziner motivieren, sich auf dem Land niederzulassen.

Wenn Karl-Josef Laumann von einer Sache überzeugt ist, zieht er sie durch. Der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen (NRW) gilt als Politiker, der über Wahltermine hinaus denkt. Beredtes Beispiel dafür ist die gegen anfänglichen Widerstand, inzwischen aber im Einvernehmen mit allen Beteiligten eingeleitete Krankenhausreform im bevölkerungsreichsten Bundesland. Sie gilt als Vorbild für den bundesweiten Umbau der stationären Versorgung.

Fünfmal mehr Bewerber als Studienplätze

Auch die sogenannte Landarzt-Quote ist ein Laumann-Projekt. Erstmals zum Wintersemester 2019/2020 vergab NRW als erstes Bundesland Medizinstudienplätze auch an motivierte junge Menschen ohne 1,0-Spitzenabitur. Im Gegenzug verpflichten sich die Studierenden, nach Abschlussprüfungen und Facharzt-Weiterbildung zehn Jahren lang als Ärztin oder Arzt in einer unterversorgten oder von Ärztemangel bedrohten Region zu arbeiten. Das Angebot kommt an: Über die vergangenen fünf Jahre hinweg überstieg die Nachfrage die zur Verfügung stehenden Plätze um das Fünffache. Seit Projektstart gingen für die inzwischen 1.043 Studienplätze beim zuständigen Landeszentrum Gesundheit in Düsseldorf (LZG) 4.825 Bewerbungen ein. Inzwischen setzen zehn weitere Bundesländer auf die Quotenregelung, darunter bis auf Brandenburg und Schleswig-Holstein alle Flächenländer.

947 Studierende mit Quoten-Ticket

Zum gerade begonnenen Wintersemester 2024/2025 wurden in NRW 147 neue Landarzt-Plätze geschaffen. Derzeit studieren dort nach Angaben des NRW-Gesundheitsministeriums (MAGS) 947 junge Leute mit Quoten-Ticket. 66 Prozent davon sind Frauen, 40 Prozent Männer. Sie kommen zu 85 Prozent aus NRW. Insgesamt sind 7,8 Prozent der pro Semester zur Verfügung stehenden Studienplätze für das Landarzt-Programm reserviert. Diese Quote wenden auch Mecklenburg-Vorpommern, das Saarland und Hessen an. In Bayern sind es 5,8 Prozent, in Sachsen 6,5 Prozent, in Thüringen sechs Prozent, in Sachsen-Anhalt fünf Prozent und in Rheinland-Pfalz 6,3 Prozent. Keine prozentuale Quote, sondern eine festgelegte Zahl an Studienplätzen pro Semester gibt es in Niedersachsen und in Baden-Württemberg. Hessen reservierte zudem zuletzt 13 Studienplätze für angehende Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst.

Foto: Nebeneinander stehen Ärztinnen und Ärzte unterschiedlichen Alters in weißen Kitteln und verschränken die Arme.
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Berufserfahrung von Vorteil

Die Auswahlverfahren der Bundesländer gleichen sich. Dabei spielt das Abiturzeugnis nach wie vor eine Rolle – in NRW zu 30 Prozent. Weitere 30 Prozent macht ein fachbezogener Test der Studierfähigkeit aus. Zu 40 Prozent zählen „Art und Dauer einer einschlägigen Berufsausbildung, Berufstätigkeit oder praktischen Tätigkeit, die über die besondere Eignung für den Studiengang Humanmedizin Aufschluss geben können“. Gute Karten hat, wer schon im medizinischen, pflegerischen oder therapeutischen Bereich Erfahrungen gesammelt hat. Abschließend folgt eine individuelle Auswahl, bei der laut MAGS besonders die Motivation und die sozial-kommunikativen Kompetenzen im Blickpunkt stehen.

Langer Atem gefragt

Das Landarzt-Projekt verlangt von allen Beteiligten einen langen Atem. „Wir begleiten die Studentinnen und Studenten von der ersten Stunde an über die gesamte Vertragslaufzeit von etwa 20 Jahren“, erläuterte LZG-Direktorin Simone Gurlit jetzt bei einer Infoveranstaltung in Bochum. Die ersten Absolventen beginnen voraussichtlich im Herbst 2025 ihre fünfjährige Facharzt-Weiterbildung. Zur Auswahl stehen dazu die Bereiche Allgemeinmedizin und Innere Medizin (ohne Schwerpunktbezeichnung). Mit den ersten fertigen Landärztinnen und Landärzten rechnet die Landesregierung ab 2030. Sie werden dringend erwartet: „Mehr als die Hälfte der 11.000 Hausärztinnen und -ärzte in NRW ist über 55 Jahre alt“, sagte Minister Laumann in Bochum.

„Wir begleiten die Studentinnen und Studenten von der ersten Stunde an über die gesamte Vertragslaufzeit von etwa 20 Jahren.“

Simone Gurlit

Direktorin des Landeszentrums Gesundheit Nordrhein-Westfalen (LZG. NRW)

Bei Ausstieg 250.000 Euro Vertragsstrafe

Zwischen Rhein und Weser sind aktuell mehr als 1.000 Hausarzt-Sitze frei. Unterversorgung droht nach Zahlen des zuständigen Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vor allem Landgemeinden im Sauerland und in Ostwestfalen. Die angehenden Landärztinnen und -ärzte müssen im Prinzip für alle Einsatzorte im Land offen sein. Sie dürfen sich allerdings aussuchen, in welcher zum Zeitpunkt ihres Einstiegs unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Region sie tätig werden möchten. Wer es sich nach Studium und Weiterbildung doch anders überlegt, muss tief in die Tasche greifen. „Die Erfüllung der Verpflichtung wird durch eine Vertragsstrafe in Höhe von 250.000 Euro gesichert“, heißt es im Amtsdeutsch. Die Summe entspricht in etwa den Steuerausgaben für ein Medizinstudium. Auch die meisten anderen Bundesländer mit Landarzt-Quote verlangen diese Summe bei einem Ausstieg.

Kritik von Ärzteverbänden

In NRW stehen die beiden Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) hinter der Landarzt-Quote. Kein Wunder: Sie stehen innerhalb der Selbstverwaltung für die Sicherstellung einer flächendeckenden ärztlichen Versorgung gerade. Auch die Ärztekammer Nordrhein und die Ärztekammer Westfalen-Lippe stützen das Projekt. Dagegen sehen Verbände der niedergelassenen Ärzte, aber auch der Marburger Bund als Vertretung der Krankenhausärztinnen und -ärzte die Landarzt-Quote eher kritisch. „Wir können Abiturienten nicht ernsthaft bis zu ihrem vierzigsten Lebensjahr an eine wirtschaftlich und kulturell abgehängte Region binden wollen“, bemängelte die Vorsitzendes des NRW-Hartmannbundes, Anke Lesinski-Schiedat, zum Start 2019. Außerdem falle bei den meisten Studierenden die Entscheidung für eine fachliche Spezialisierung meistens erst gegen Ende des Medizinstudiums.

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Parallel neue Studienplätze schaffen

Der Marburger Bund kritisierte, dass die Landarzt-Quote lediglich auf eine „andere Verteilung der Zulassungen, nicht aber auf eine dringend erforderliche Erhöhung der Medizinstudienplätze“ abziele. Außerdem müsse auch der Ärztemangel in den Krankenhäusern berücksichtigt werden.

In der Frage der Studienplätze hat Karl-Josef Laumann den Kritikern bereits Wind aus den Segeln genommen. 2021 entstanden mit der neuen medizinischen Fakultät an der Universität Bielefeld 60 weitere Medizinstudienplätze. Bis zum Wintersemester 2026/2027 sollen es insgesamt 300 werden. Zudem wurde die Zahl der Studienplätze an der Universität Witten-Herdecke auf rund 80 verdoppelt. Bei aller Euphorie, mit der Laumann jetzt fünf Jahre nach dem Start eine Zwischenbilanz zog, ist die Landarzt-Quote auch in NRW lediglich ein Baustein zur Sicherung der ärztlichen Versorgung. Ein weiterer ist das Hausarzt-Aktionsprogramm, mit dem die Landesregierung insbesondere die Niederlassung, aber auch die Anstellung von Hausärztinnen und Hausärzten, die Einrichtung von Lehrpraxen oder den Quereinstieg in die Allgemeinmedizin fördert.

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