Interview Versorgung

Pflegerische Kompetenzen stärker nutzen

08.01.2025 Solveig Giesecke 4 Min. Lesedauer

Noch hat Pflegepersonal hierzulande im internationalen Vergleich weniger Kompetenzen. Wie der effektive Einsatz von Advanced Practice Nurses (APNs) aussehen könnte, beschreibt Anne Volmering-Dierkes, Vorstandsmitglied im Deutschen Netzwerk APN und Advanced Nursing Practice (ANP), im Interview.

Foto: Eine Pflegekraft zeigt zwei älteren Damen, eine davon deutlich jünger, eine älter und im Rollstuhl, etwas auf einem Tablet.
Durch eine höhere Qualifizierung stehen dem Gesundheitswesen Pflegeexpertinnen und -experten zur Verfügung, die komplexe Aufgaben- und Problemstellungen eigenverantwortlich übernehmen können.
Foto: Dr. Anne Volmering-Dierkes ist Vorstandsmitglied im Netzwerk APN und ANP e.V.
Dr. Anne Volmering-Dierkes, Vorstandsmitglied im Netzwerk APN und ANP e.V.

Frau Dr. Volmering-Dierkes, woher kommt der Begriff Advanced Practice Nursing, und was meint er? 

Dr. Anne Volmering-Dierkes: Die Bezeichnung Advanced Practice Nursing oder auch APN findet ihren Ursprung Mitte der 60er-Jahre in den USA. Im deutschsprachigen Raum werden Pflegefachpersonen mit einem (fach-)hochschulischen Masterabschluss seit 2013 als Pflegeexpertin und Pflegeexperte APN oder eben auch als APNs bezeichnet, die eine Qualifikation und somit eine erweiterte Kompetenz für eine spezielle Pflegepraxis besitzen. International werden auch die Begriffe Nurse Practitioner, Clinical Nurse Specialist oder Community Health Nurse verwendet. Ziel ist es, in unterschiedlichen Fachbereichen Patientinnen und Patienten sowie Pflegeempfängerinnen und -empfänger optimal zu behandeln und pflegerisch zu versorgen.

In welchen Bereichen konkret werden Advanced Practice Nurses (APNs) eingesetzt?

Volmering-Dierkes: Pflegeexpertinnen und -experten APN werden bei der Optimierung (pflege-)fachlicher Prozesse in Diagnostik, Therapie und Versorgung eingesetzt, um Risiken und Komplikationen zu vermeiden. Hier tragen sie maßgeblich zu einer sicheren Patientenversorgung bei. Aber auch die Unterstützung der Kollegen als Mentoren und Spezialisten gehört zum Aufgabenbereich der APNs. Sie kommen beispielsweise in der onkologischen Pflege, der Intensiv- und Anästhesiepflege und der neonatologischen, der geriatrischen, neurologischen und der psychiatrischen Pflege zum Einsatz.

Advanced Nursing Practice umschreibt die Fähigkeiten einer APN. Welche sind erforderlich? 

Volmering-Dierkes: Die gesellschaftlichen, demografischen Entwicklungen gekoppelt mit Ko- und Multimorbidität sowie chronischen Erkrankungen der Menschen zieht eine Zunahme von komplexen Behandlungen mit hohem Überwachungs- und Pflegebedarf nach sich, bei gleichzeitiger Verringerung der Behandlungsdauer und Krankenhausaufenthalte. Pflegeexperten APN schließen in der Durchführung von evidenter Pflegepraxis, sowie der Anwendung von Leitlinien, Handlungs- und Expertenempfehlungen immer mehr die Lücke zwischen aktueller und optimierter Versorgung von Patienten. APNs ermöglichen somit eine evidenzbasierte pflegerische Versorgung auf höchstem wissenschaftlichen Niveau und tragen so zur Weiterentwicklung der Versorgung der Patienten und Pflegeempfänger bei. APNs identifizieren Forschungslücken aus der Praxis für die Praxis und führen sowohl angewandte Pflegeforschung als auch Grundlagenforschung eigenverantwortlich durch.

Wo stehen wir in Deutschland – auch im Vergleich zum Ausland?  

Volmering-Dierkes: In Deutschland arbeiten immer mehr APNs in Krankenhäusern und Kliniken, doch wir stehen noch am Anfang. In der ambulanten Versorgung oder der stationären Betreuung alter Menschen sind Pflegeexpertinnen und -experten sehr selten oder gar nicht zu finden. Von einer Durchdringung in der gesundheitlichen Versorgung sind wir in Deutschland noch weit entfernt, da es sowohl zu wenige Masterstudiengänge für APNs gibt, wie auch zu wenige Pflegefachpersonen einen entsprechenden Masterabschluss vorweisen können. Deutschland kann allgemein bezüglich der Akademisierung in der Pflege zu den europäischen Schlusslichtern gezählt werden.

„Deutschland kann allgemein bezüglich der Akademisierung in der Pflege zu den europäischen Schlusslichtern gezählt werden.“

Dr. Anne Volmering-Dierkes

Vorstandsmitglied im Netzwerk APN und ANP e.V.

Bitte erläutern Sie kurz den Vorteil der akademischen Ausbildung der APNs.

Volmering-Dierkes: Advance Nurse Practice ist gleichzusetzen mit Fortschritt und Patientensicherheit sowie Spezialisierung in der Pflegepraxis. Durch die Qualifizierung auf Masterniveau oder auch Doktorat stehen dem Gesundheitswesen Pflegeexpertinnen und -experten mit Kompetenzen zur Verfügung, die komplexen Aufgaben- und Problemstellungen in eigenverantwortlicher Steuerung begegnen können.

Hindern da nicht Sektorengrenzen in Deutschland?

Volmering-Dierkes: Die erworbene Kompetenz der APNs muss mit einer erweiterten und eigenständigen Steuerungsverantwortung einhergehen, sowohl in der Akut-, Langzeit- und ambulanten Versorgung als auch sektorenübergreifend beziehungsweise verbindend. Doch viele Bereiche des Gesundheitswesens in Deutschland sind von hierarchischen Strukturen und der Monopolstellung der Ärzteschaft geprägt. Dabei können APNs erste Anlaufstelle im Aufnahmebereich von Krankenhäusern oder bei fachlich herausfordernden Situationen Ansprechpartner für Kollegen und Patienten auf den Stationen sein. In der Langzeit- und ambulanten Versorgung sind Pflegefachpersonen immer noch auf ärztliche Verordnung angewiesen, auch wenn sich die pflegerische Kompetenz durch die hochschulische Ausbildung beispielsweise im Bereich der Wundversorgung, Inkontinenz, Immobilität und Hautpflege stark herausgebildet hat. Hier braucht es eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, um die Kompetenz der APNs zu nutzen. Es geht nicht um die Überwindung des Arztvorbehalts, sondern um inter- und intraprofessionelle, kompetenzorientierte Aufgabenausübung und die Nutzung der Expertise von APNs entlang den Bedarfen von Patienten und Pflegeempfängern. Doch dazu braucht es zukünftig eine Gesetzgebung, die APNs in der deutschen Gesundheitsversorgung eindeutig berücksichtigt.

War Minister Lauterbach da mit dem Pflegekompetenzgesetz auf dem richtigen Weg?

Volmering-Dierkes: Ja, das Gesetz zur Stärkung der Pflegekompetenz ist ein Schritt in die richtige Richtung und dient zur Klärung der Kompetenzen und Aufgaben der allgemeinen, professionellen Pflege. Zukünftig muss der Bereich APN ebenfalls gesetzlich abgebildet werden, um das Rollenbild sowie den Aufgabenbereich zu klären und zu stärken – zur Sicherheit der Versorgung von Patienten.

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