Artikel Versorgung

OP ohne Klinikaufenthalt: Sektorengleiche Fallpauschalen fördern die Ambulantisierung

26.03.2025 Änne Töpfer 4 Min. Lesedauer

Mit den Hybrid-DRGs will der Gesetzgeber die Ambulantisierung von bisher stationär erbrachten Leistungen voranbringen. Auf einem Symposium in Hannover befassten sich Fachleute aus Wissenschaft, Politik und Praxis mit den Hemmnissen und Möglichkeiten der neuen Pauschalen.

Auf Stühlen vor einem Tresen sitzen drei Personen: Ein Mann, eine Frau und eine ältere Dame. Am Tresen steht ein älterer Herr und spricht mit der Sprechstundenhilfe hinter dem Tresen.
Mit der ambulanten Durchführung von chirurgischen Eingriffen könnte auf begrenzte Ressourcen und den Fachkräftemangel reagiert werden.

Leistenbruch-Operationen, Versteifung von Zehengelenken oder Entfernung von Harnleitersteinen: Viele chirurgische Eingriffe können heute aus medizinischer Sicht ambulant erfolgen. Das schont die finanziellen und personellen Ressourcen im Gesundheitssystem und entspricht dem Wunsch vieler Patientinnen und Patienten. Seit 1993 dürfen Krankenhäuser ambulante Operationen abrechnen. Auch niedergelassene Ärzte haben seit längerem die Möglichkeit dazu. Dennoch ist hierzulande – anders als in Nachbarländern wie Frankreich, Großbritannien und Dänemark – noch viel Ambulantisierungspotenzial zu heben.

Der Gesetzgeber hat deshalb zum 1. Januar 2024 die „spezielle sektorengleiche Vergütung“ (Paragraf 115f Sozialgesetzbuch V) eingeführt. Die Leistungserbringer erhalten Fallpauschalen, sogenannte Hybrid-DRGs, unabhängig davon, ob der Eingriff ambulant oder stationär erfolgt. Zum Start umfasste der Katalog rund 250 Prozeduren aus fünf Leistungsbereichen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der GKV-Spitzenverband haben sich auf etwa 100 weitere Eingriffe aus sieben Leistungsbereichen geeinigt, die seit 1. Januar 2025 mit den neuen Fallpauschalen vergütet werden.

Begrenzte Ressourcen sinnvoll einsetzen

„Lassen Sie uns Niedersachsen zum Vorreiter der Ambulantisierung machen“, motivierte Katrin Stary die Teilnehmenden eines Symposiums zum Stand der Umsetzung von Hybrid-DRGs. Die Leiterin der Abteilung „Gesundheit und Prävention“ im Gesundheitsministerium Niedersachsen unterstrich: „Die Ambulantisierung ist keine Option, sie ist die Zukunft.“ Das Ministerium hatte gemeinsam mit der AOK Niedersachsen, der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen und der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen in Kooperation mit der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft Fachleute aus Praxis, Politik, Wissenschaft und Verbänden zum Diskurs eingeladen.

„Wir hoffen, mit den Hybrid-DRGs Schwung in die Ambulantisierung zu bringen.“

Katrin Pohlabeln

Unternehmensbereichsleiterin Ärztliche Versorgung der AOK Niedersachsen

Die Ambulantisierung spiele eine Schlüsselrolle, wenn es darum gehe, begrenzte Ressourcen gerade im ländlichen Raum sinnvoll einzusetzen, so Stary. „Die Hybrid-DRGs geben die Möglichkeit, die richtigen Schritte zu gehen.“ Zwar seien viele Hürden zu überwinden. Sowohl im ambulanten wie im stationären Bereich herrsche oft eher Skepsis. Doch es gebe positive Beispiele großer ambulanter Operationszentren in Niedersachsen, die mit der Vergütung auskommen. Auch Nachbarländer wie Großbritannien, Frankreich und Dänemark würden zeigen, dass ein großer Teil beispielsweise der Leistenbruch-Operation ambulant erfolgen könnten.

Konzept für die Umsetzung liegt vor

Das bestätigte Jonas Schreyögg: „Die Vergütungspauschalen für sektorengleiche Leistungen sind ein wirkungsvolles Instrument und schnell umzusetzen“, so der Professor für Gesundheitsmanagement an der Universität Hamburg und stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege. Allerdings: Von der bisherigen Umsetzung der Hybrid-DRGS erwartet Schreyögg einen „eher kleinen Ambulantisierungseffekt“. „Die Vergütungsanreize der aktuellen Hybrid-DRGs reichen noch nicht aus.“

In einem Innovationsfonds-Projekt hat Schreyögg von 2020 bis 2022 ein Konzept für die Ausgestaltung der einheitlichen, sektorengleichen Vergütung entwickelt. Er empfiehlt, für die ambulante Leistungserbringung geeignete Operationen und Prozeduren aus dem DRG-System auszuwählen, zur Abgrenzung von der rein stationären Versorgung einen Schwellenwert für den patientenbezogenen Gesamtschweregrad zu definieren und alle für die sektorengleiche Vergütung ausgewählten Fälle aus dem DRG-Katalog herauszunehmen. Weiter rät er, zunächst den Tagessatz unter Nutzung des Kostengerüstes der Kalkulationshäuser des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zu berechnen, alle Leistungserbringer identisch zu vergüten und nach drei Jahren die sektorengleichen Pauschalen auf Basis einer neuen Datengrundlage zu kalkulieren. „Wir müssen weiterkommen, wir haben keine Alternative“, betonte Schreyögg. „Wir brauchen in der kommenden Legislaturperiode ein politisches Commitment zu den Hybrid-DRGs.“

„Die Vergütungsanreize der aktuellen Hybrid-DRGs reichen noch nicht aus.“

Prof. Dr. Jonas Schreyögg

Stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege

AOK will Ambulantisierung vorantreiben

Katrin Pohlabeln, Unternehmensbereichsleiterin Ärztliche Versorgung der AOK Niedersachsen, verwies darauf, dass die Ambulantisierung eine langfristige Entwicklung sei. Sie habe mit dem Ambulanten Operieren (AOP) nach Paragraf 115b SGB V 1993 begonnen. 30 Jahre später, im Jahr 2023, hätten die Leistungserbringer in Niedersachsen rund 300.000 AOP-Fälle abgerechnet. „Wir hoffen, mit den Hybrid-DRGs Schwung in die Ambulantisierung zu bringen“, so Pohlabeln. Davon verspricht sich die AOK-Expertin nicht zuletzt eine Verbesserung der regionalen Versorgung. Durch die Umwandlung von Krankenhäusern in multiprofessionelle Gesundheits- und Notfallzentren könne eine bedarfsgerechte, ambulante und kurzstationäre Versorgung sichergestellt werden. Die Integration von stationären und ambulanten Leistungen ermögliche eine effizientere Nutzung der Ressourcen.

Doch noch ist die Zahl der nach diesen Pauschalen abgerechneten Fälle in Niedersachsen gering. So wurden in dem Bundesland seit Anfang 2024 beispielsweise gerade einmal 1.799 Hernien-Eingriffe im ambulanten Sektor und 6.085 im stationären Sektor nach Hybrid-DRGs abgerechnet. Lediglich 1,4 Prozent der somatischen Krankenhausfälle entfielen 2024 auf Hybrid-DRGs. „Das hat deutlich mehr Potenzial“, betonte Jan Wagenaar, Geschäftsführer Gesundheitsmanagement stationär der AOK Niedersachsen. „Wir sind als Kasse bereit, die Ambulantisierung voranzutreiben“, so Pohlabeln. „Um das sektorenübergreifende Handeln zu fördern, werden wir uns innerhalb der AOK noch stärker vernetzen.“

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