Experten fordern Nachbesserung bei Lieferengpassgesetz
Die Erkältungssaison hat in diesem Jahr früh begonnen. Sie weckt Erinnerungen an vergangene Jahre, in denen Antibiotika und Fiebersäfte zum Teil nicht oder nur schwer lieferbar waren. G+G hat Experten gefragt, ob ein neuer Versorgungsengpass droht oder sich die Lage mittlerweile beruhigt hat.
Viele Eltern erinnern sich. Vor allem in der Wintersaison 2022/23, aber auch im letzten Jahr mussten sie teilweise zwei oder drei Apotheken ansteuern, um Fieber- oder Antibiotikasaft für ihre kranken Kinder aufzutreiben. Durch die starken Erkältungswellen nach der Pandemie waren Infekte wieder vermehrt aufgetreten und Vorräte knapp geworden. Auch in diesem Jahr gab es bereits Anfang Oktober Engpässe bei Kochsalzlösungen, die unter anderem für Infusionen, Spülungen und Operationen notwendig sind. Das schürt die Sorge vor einem erneuten Versorgungsmangel.
Bfarm und WIdO sehen Bedarf momentan gesichert
Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) ist die aktuelle Lage im Vergleich zum Vorjahr – insbesondere in Bezug auf Kinder-Antibiotika und Fiebersäfte – „wesentlich entspannter“. „Bei den Fiebersäften konnte sich der Großhandel gut bevorraten. Auch bei den Antibiotikasäften geht der Großhandel derzeit von einer generell stabilen Versorgungslage aus“, erklärt Bfarm-Pressesprecher Maik Pommer gegenüber G+G. Die Arzneimittelversorgung mit Antibiotikasäften für Kinder sei bis ins nächste Jahr auch bei steigenden Bedarfen grundsätzlich sichergestellt.
Auch das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) sieht derzeit keine Hinweise auf drohende Versorgungsengpässe oder Lieferschwierigkeiten bei Arzneimitteln. „Insbesondere Arzneimittelrabattverträge tragen zu einer hohen Versorgungssicherheit bei und senken die Arzneimittelkosten,“ macht WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder deutlich.
„Grundsätzlich ist Versorgungssicherheit in Zeiten der Globalisierung nicht zum Nulltarif zu haben.“
Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands
Kritik am Lieferengpassgesetz
Kritischer sieht der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ) die Situation. Jakob Maske, BVKJ-Bundespressesprecher, fordert gegenüber G+G mehr Produktionsstätten in Europa, „um unabhängiger von globalen Lieferketten zu werden“. Er erklärte weiter: „Es müssen Lösungen gefunden werden, die einen gesunden Wettbewerb ermöglichen und die Versorgungssicherheit langfristig gewährleisten.“
Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands, Hans-Peter Hubmann, verlangt gegenüber G+G „mehr Entscheidungsfreiheiten“ für Apotheken, um Medikamente austauschen zu können. „Grundsätzlich ist Versorgungssicherheit in Zeiten der Globalisierung nicht zum Nulltarif zu haben.“
Als „nahezu wirkungsfrei verpufft“ bezeichnet Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, den Nutzen des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG). Auf 98 Prozent der Medikamente würden die Gesetzesregeln keine Anwendung finden. „Hinter dieser Zahl stehen auch Menschen mit chronischen Erkrankungen, die nur schwierig an ihre Medikamente kommen“, betont Joachimsen.
Lieferengpass heißt nicht automatisch Versorgungsengpass
Nach Angaben des Bfarm sind in Deutschland insgesamt rund 100.000 Arzneimittel zugelassen, davon 50.000 verschreibungspflichtige. Aktuell bestünden bei 462 Arzneimitteln Lieferengpässe. Das Bfarm beschreibt einen Lieferengpass als „nicht automatisch vollständigen Lieferabriss“, sondern als „eine Situation, in der das jeweilige Arzneimittel nicht im üblichen Umfang in den Markt kommt“. „Ein Lieferengpass ist auch nicht automatisch ein Versorgungsengpass, weil Patienten in der Regel mit einem anderen, meist wirkstoffgleichen Generikum behandelt werden können“, machte Pommer deutlich. 2023 wurden dem Bfarm 1.017 Lieferengpässe gemeldet, in diesem Jahr waren es bis Ende Oktober 737. Es sei also zu erwarten, dass 2024 weniger Lieferengpässe gemeldet werden würden.
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