Interview Versorgung

Künstliche Intelligenz schreibt Arztbriefe

15.02.2024 Änne Töpfer 5 Min. Lesedauer

Verlässt ein Patient das Krankenhaus, erhalten die weiterbehandelnden Ärzte Informationen über den Aufenthalt. Datenexperte Dario Antweiler erläutert, wie der „Arztbriefgenerator“ Künstliche Intelligenz nutzt, um Klinikärzte zu entlasten und die Qualität der Informationen zu verbessern.

Foto: Ein Mensch im weißen Arztkittel hält ein Tablet in der Hand und tippt mit einem Finger.
Der Aufwand für die Erstellung von Arztbriefen ist enorm – Digitalisierung kann hier Entlastung bringen.
Foto: Porträt von Dario Antweiler, Data Scientist am Fraunhofer IAIS.
Dario Antweiler ist Data Scientist am Fraunhofer IAIS in Sankt Augustin und betreut Projekte zur Künstlichen Intelligenz in der Pharmakologie sowie zur Digitalisierung im Krankenhaus.

Herr Antweiler, wie schreiben Ärztinnen und Ärzte heute üblicherweise die Krankenhaus-Entlassbriefe?

Dario Antweiler: Sie übernehmen viel aus älteren Arztbriefen des Patienten oder von ähnlich gelagerten Fällen. Manche Kliniken haben sich vordefinierte Vorlagen gebaut, andere beginnen mit einem leeren Word-Dokument, wieder andere haben eine Mischung aus verschiedenen Textbausteinen. Manche Ärztinnen und Ärzte nutzen Textbausteine intensiv, unter Umständen sogar schon intelligente Textbausteine, die Daten des Patienten einfügen können.

Intelligente Textbausteine gehen in die Richtung des von Ihnen entwickelten Arztbriefgenerators?

Antweiler: Beim Arztbriefgenerator, den wir als Konsortium im Forschungsprojekt SmartHospital.NRW entwickeln, nutzen wir auch intelligente Textbausteine. Wir wollen aber noch einen Schritt weitergehen und Vorschläge an generierten Sätzen dazugeben. Diese werden beispielsweise in der Epikrise am Ende des Briefes verwendet. Das ist eine Zusammenfassung des aktuellen Patientenaufenthalts im Krankenhaus inklusive relevanter Informationen aus der Zeit davor und einer Einschätzung, wie sich das Ganze entwickeln wird, sowie Empfehlungen für die weitere Diagnostik und Therapie. Das ist ein dichtes Stück Text, ein kreativer Akt, der den Assistenzärztinnen und -ärzten, die das üblicherweise schreiben, viel abverlangt.

Geht es beim Arztbriefgenerator nur um eine Entlastung der Ärzte oder auch um Qualitätsfragen?

Antweiler: Es geht um beides. Der Aufwand für die Erstellung der Arztbriefe ist enorm. In Deutschland werden circa 150 Millionen Arztbriefe im Jahr geschrieben. Wir wollen die Zeit reduzieren, die notwendig ist, um einen Arztbrief zu schreiben. Außerdem zeigen Befragungen unter niedergelassenen Ärzten, dass es bei der Qualität Luft nach oben gibt – sowohl was die inhaltlichen Bezüge angeht, als auch hinsichtlich von Missverständnissen, Fehlern oder unklaren Abkürzungen.

Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz (KI) beim Arztbriefgenerator?

Antweiler: Mit KI meinen wir computergestützte Systeme, die etwas nachahmen, was typischerweise der Mensch macht. Das kann Lesen, Schreiben, Sehen oder Entscheiden sein. Bei den Arztbriefen geht es um Verstehen und Schreiben. Das Ziel soll sein, aus den Dokumenten des Patienten, die im Laufe des Klinikaufenthaltes entstanden sind, die relevanten Informationen herauszufiltern und auf dieser Basis einen Arztbrief zu schreiben.

Mit welchen Daten wird die KI zur Erstellung der Arztbriefe gefüttert?

Antweiler: Zum einen mit allen Informationen, die der Patient mitbringt. Hinzu kommen im Krankenhaus entstandene Dokumente, wie beispielsweise radiologische Untersuchungsbefunde, Pathologiebefunde, OP-Berichte oder Verlaufsdokumentationen. Das ist viel Text, aber auch viel strukturierte Informationen. Damit meinen wir alles, was tabellarisch vorliegt, wie beispielsweise Laborwerte. Wir bauen den Arztbriefgenerator zunächst so, als würden alle Informationen in strukturierter Form vorliegen. Bei Texten und Dokumenten müssen wir eine andere KI vorschalten, die daraus strukturierte tabellarische Informationen generiert, die maschinenlesbar sind. Das ist nicht nur für den Arztbriefgenerator, sondern für viele andere Anwendungen wichtig.

Welche Voraussetzungen müssen im Krankenhaus erfüllt sein, damit der Arztbriefgenerator zur Anwendung kommen kann?

Antweiler: Es müssen so viele Daten wie möglich in einem interoperablen, also maschinenlesbaren Format vorliegen. Die Interoperabilität wird durch Gesetzesvorhaben angeschoben oder unterstützt. Das Ziel ist, dass in jedem Krankenhaus einheitliche Formate vorliegen. Dann wäre die Voraussetzung gegeben, den Arztbriefgenerator an jedem Krankenhaus einzusetzen.

Wann wird das so weit sein?

Antweiler: Wir testen einen Prototyp des Arztbriefgenerators noch in diesem Jahr an der Uniklinik Essen und sammeln Feedback. Doch die Entwicklung in Richtung Interoperabilität dauert an. Das liegt auch daran, dass man Soft- und Hardware im Krankenhaus nicht mal eben so wechseln kann. Das ist kritische Infrastruktur, die absolut sicher und privatsphärengeschützt aktualisiert und verändert werden muss.

An welcher Stelle werden weiterhin Ärztinnen und Ärzte bei der Erstellung von Entlassbriefen gefragt sein?

Antweiler: Ärztinnen und Ärzte müssen prüfen, was die KI vorgeschlagen hat. Wir sprechen von Semi-Automatisierung, weil wir dem Arzt die Arbeit leichter machen, sie ihm aber nicht komplett abnehmen können. Wir haben mit über 100 Anwendern über den Arztbriefgenerator gesprochen. Alle wünschen sich eine derartige Unterstützung. Aber die Umsetzung ist schwierig: alle Fachgebiete abzudecken, alle individuellen Wünsche. Es gibt in Deutschland keine gesetzlichen Vorgaben, wie so ein Brief auszusehen hat. Da gibt es enorme Unterschiede, und die Anwender wollen ihre Freiheit beim Arztbriefschreiben auch nicht ganz aufgeben.

Mitwirkende des Beitrags

Pflichtfelder sind gekennzeichnet.

Beitrag kommentieren

Alle Felder sind Pflichtfelder.

Datenschutzhinweis

Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.

Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.