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Rettende Drohnen stehen bei Behörden im Stau

01.07.2024 Irja Most 5 Min. Lesedauer

Drohnen rücken im Gesundheitswesen immer mehr in den Fokus, denn sie sparen Zeit und Geld. Die Branche erwartet in den kommenden Jahren einen deutlichen Aufschwung. Doch bis zum Regelbetrieb ist es aktuell ein weiter Weg, die Genehmigungsverfahren laufen zäh. G+G gibt einen Einblick.

Eine Drohne für den medizinischen Einsatz fliegt am blauen Himmel.
Eingesetzt für medizinische Zwecke können Drohnen eine große Hilfe im Gesundheitswesen sein.

Leise surrend setzen sich die Propeller an dem kleinen Flugobjekt in Bewegung. Sanft hebt die Drohne vom Boden ab in die Lüfte und schwebt davon. An Bord Gewebeproben, auf die das Labor schon ungeduldig wartet. Denn je schneller der Befund vorliegt, desto besser für die Patientin. Der Pilot sitzt weit entfernt in einem Büro und steuert den unbemannten Helfer von seinem Monitor aus. Soweit das ideale Szenario. Ob für den Transport von wichtigen Proben, Blutkonserven, Spenderorganen oder zur Lebensrettung: Drohnen gewinnen zunehmend an Bedeutung in der Gesundheitsversorgung. 

Projekt 2017 in der Hauptstadt gestartet

In Deutschland gibt es derzeit einige Modellprojekte, die den optimalen Einsatz von Drohnen erforschen. Labor Berlin, nach eigenen Angaben Europas größtes Krankenhauslabor, will mittels Drohnen dringende Untersuchungen forcieren und arbeitet seit 2017 gemeinsam mit dem Anbieter Matternet, Genehmigungsbehörden sowie Akteuren der Stadt Berlin an der Umsetzung. „Der Transport zeitkritischer Proben durch batteriebetriebene Drohnen könnte perspektivisch auch in der Hauptstadt etabliert werden und somit die konventionelle Probenlogistik per PKW-Kurier ablösen“, ist das Ziel der Verantwortlichen. Diese könnten dann zwischen Charité- und Vivantes-Klinikstandorten und dem Zentrallabor am Charité Campus Virchow-Klinikum pendeln.

Eine Testphase im November 2020 an mehreren Klinikstandorten ist den Angaben zufolge erfolgreich verlaufen und Ende vergangenen Jahres sei die Betriebsgenehmigung für eine innerstädtische Flugstrecke über besiedeltem Gebiet außerhalb von Sichtweite vom Luftfahrtbundesamt ausgesprochen worden. Wann genau der Drohnenbetrieb starten kann, weiß das Krankenhaus-Labor allerdings selbst noch nicht. Es stünden weitere, gesetzlich vorgegebene Zustimmungen aus, die für eine Aufnahme des Flugbetriebs auf der ersten geplanten Strecke in Berlin zwingend erforderlich seien. „Die Zustimmungsanfragen hierzu sind gestellt und werden nachgehalten“, erklären die Initiatoren mit letztem Stand Mai auf ihrer Homepage.

Drohnenflüge zwischen Kliniken außer Sichtweite

Während das Labor in der Hauptstadt noch auf den Startschuss wartet, ist dieser im Süden der Republik bereits gefallen. Die deutschlandweit erste Genehmigung für eine Drohnenflugstrecke zwischen Kliniken außerhalb der Sichtweite verkündete nun die RKH Regionale Kliniken Holding und Services GmbH mit Sitz in Baden-Württemberg. Geplant ist zum Auftakt der Flugverkehr auf den Strecken zwischen den Helios-Kliniken Breisach und Müllheim – 30 Kilometer Entfernung – und zwischen den RKH Kliniken Ludwigsburg, Markgröningen und Mühlacker – 31 Kilometer Entfernung. In den kommenden Monaten und Jahren soll der Flugverkehr dann auf weitere Strecken ausgeweitet werden.

„Als erstes Unternehmen haben wir in Deutschland die Betriebsgenehmigung für komplexe, operative Drohnenflüge erhalten und damit einen wichtigen Meilenstein erreicht“, erklärt Holger Schulze, Geschäftsführer der German Copters DSL GmbH, die als Operator die Flüge managt. Zuvor habe es nach Unternehmensangaben in Deutschland in der medizinischen Logistik noch keine Drohnenflüge außerhalb der Sichtweite mit dieser Komplexität und Flugstreckenlänge gegeben. Jetzt hat nach zwei Jahren Vorbereitungszeit im April das Regierungspräsidium Stuttgart, landesweit zuständig für Luftverkehr und Luftsicherheit, die Drohnenflüge im Netzwerk der Helios Kliniken und der Kliniken der RKH Gesundheit genehmigt.

„Schneller, zuverlässiger und umweltfreundlicher“

Enrico Jensch

Mitglied der Helios-Geschäftsführung

Die Vorteile liegen für die Krankenhäuser auf der Hand: „Der Transport von Blut- oder Gewebeproben in der Luft ist schneller, zuverlässiger und umweltfreundlicher als auf der Straße. Er macht uns unabhängiger vom Landverkehr und eröffnet völlig neue Perspektiven in Bezug auf Laborstandorte und deren Auslastung“, so Enrico Jensch, Mitglied der Helios-Geschäftsführung. Die Behandlungsqualität zum Wohle der Patientinnen und Patienten steige somit.

28 Minuten Zeitersparnis während laufender OP

Andere Projekte stehen indes ebenfalls noch in der Warteschleife: Auch die Franziskus-Stiftung im nordrhein-westfälischen Münster wartet auf die Freigabe durch die Behörden, gibt die Stiftung auf Nachfrage von G+G an. Die Einrichtung plant einen Drohnenbetrieb zwischen dem St.-Franziskus-Hospital in Ahlen und der St.-Barbara-Klinik in Hamm-Heessen. Auf diesem Wege sollen onkologische Operationen mit einer errechneten Zeitersparnis von durchschnittlich 28 Minuten durch die Befundung von Gewebeproben verkürzt werden, erläutern die Verantwortlichen.

Das Konzept der St.-Franziskus-Stiftung für das Projekt „Operation Drohne“ entstand in dem stiftungseigenen Institut für Krankenhausinformationsmanagement (IKiM). Diese Beschleunigung komme durch einen schnelleren Transport zu dem Histopathologischem Institut zustande, der zwingend während der OP erfolgen muss. Bisher stand für den Transport nur ein Taxi zur Verfügung. Die Drohne wird in der Pilotphase laut Stiftung von Projektpartnern aus dem internationalen Umfeld bereitgestellt.

Optimierung durch Künstliche Intelligenz (KI)

Zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in ländlichen Räumen durch den Einsatz von Drohnen sowie eine KI-basierte Optimierung von Transportwegen arbeitet die Universität Passau gemeinsam mit Akteuren aus Wissenschaft und Praxis am Projekt KIMoNo. Der abgekürzte Kunstname steht für „KI-basierte typübergreifende Mobilitätsoptimierung in nonurbanen Regionen“. Das vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr mit 2,4 Millionen Euro geförderte Projekt hat zum Ziel, durch den Einsatz von Drohnen die Transportzeiten für Laborproben zu verkürzen und damit eine schnellere Diagnostik und medizinische Versorgung vor allem in Notfällen zu ermöglichen.

„Durch die Kombination aus KI-basierter Simulation und Optimierung können wir die bestmöglichen Transportwege für die Proben ermitteln und den Mehrwert durch den Drohneneinsatz bestimmen“, erläutert Prof Dr. Tomas Sauer, Projektleiter KIMoNo und Leiter des Instituts FORWISS an der Universität Passau. Allerdings sei es noch ein weiter Weg bis zum realistischen Einsatz dieses Transportmittels, räumt er ein, „denn ein Drohnenflug ist ein regulatorisches Abenteuer. Aber wir können aufzeigen, wann sich das wirklich lohnen würde.“

Warum Genehmigungen so schleppend laufen

Dass die Genehmigungsverfahren derzeit zeitraubend sind und die ambitionierten Projekte ausbremsen, erklärt sich der Drohnenservice-Anbieter Labfly aus Berlin mit den Vorgaben durch die EU-Drohnenverordnung. Diese habe zwar den Einsatz der kleinen Flughelfer erst ermöglicht, musste aber in nationales Recht umgesetzt werden, weiß Geschäftsführer Tim Fischer. „Die Verordnung hat es den Bundesländern ermöglicht per Opt-Out das Genehmigungsverfahren an den Bund abzugeben und damit an das Luftfahrt-Bundesamt“, erklärt er im Gespräch mit G+G. Fischers Angaben nach haben davon inzwischen elf bis zwölf der 16 Länder Gebrauch gemacht.

Die Bundesbehörde warnt derzeit auf ihrer Homepage vor einer längeren Bearbeitungszeit: „Aufgrund der extrem hohen Anzahl an neuen Erstanträgen auf Betriebsgenehmigungen innerhalb der letzten Monate haben wir aktuell einen Rückstau abzuarbeiten. Die aktuelle Wartezeit beträgt ungefähr zwölf Wochen für Erstanträge.“ Der Labfly-Geschäftsführer sieht zudem Personalmangel auf Seiten der Behörde als Mitursache. Wenn allerdings die Erstgenehmigung erteilt sei, zeigten sich die Vorteile der EU-Verordnung von 2020: „Dann reicht ein Änderungsantrag, der etwa zwei Wochen dauert, um europaweit neue Strecken fliegen zu können“, erklärt Fischer. Wenn die grundsätzlichen Betriebserlaubnisse erteilt sind, erwartet er in den nächsten zwei Jahren einen regelrechten Boom am Markt.

Höchstgeschwindigkeit liegt bei 60 Stundenkilometer

Der Drohnenservice für Apotheken und Krankenhäuser, als Start-Up hervorgegangen aus einem Projekt an der TU Berlin, hofft derzeit selbst auf zeitnahe Betriebsgenehmigungen für seine Projekte. In Dessau ist eine Belieferung mit Medikamenten von Apotheken direkt zu den Kundinnen und Kunden ab Oktober geplant. Und in Baden-Württemberg möchte der Anbieter aus der Hauptstadt beim Zollernalb-Klinikum Drohnenflüge zwischen den Standorten Albstadt und Balingen im Sommer aufnehmen. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 60 Stundenkilometer und die Flughöhe bei 80 bis 120 Metern. Die Nutzlast beträgt 1.000 Gramm bei einer Reichweite von 30 Kilometern.

Ein weiteres Projekt in Nordbayern fördert der Verein „Oberfranken offensiv“ im Auftrag des Staatsministeriums. Hier soll durch Drohnen die Medikamentenversorgung verbessert werden, indem die Flugobjekte zwischen Apotheken, aber auch zu Arztpraxen fliegen. Einziger Wermutstropfen: Das Wetter muss mitspielen. Denn alles über leichtem Wind und etwas Regen könnte der Drohne einen Strich durch die Rechnung machen.

Wann ein Regelbetrieb in der Luftrettung denkbar wäre

In der Luftrettung sind Drohnen ebenfalls ein Thema. Der Einsatz müsse aber stets „im Kontext des gesamten Systems der medizinischen Notfallversorgung betrachtet werden“, teilt die DRF Luftrettung auf Nachfrage von G+G mit. Mögliche Szenarien wären im Rahmen der Notfallversorgung der Transport von Defibrillatoren  an den Einsatzort zur Bereitstellung für Ersthelfer oder geschultes Personal vor Eintreffen der Rettungskräfte oder zur Unterstützung von Rettungsdiensten, Feuerwehren und Polizei beim Krisenmanagement. Drohnen könnten eine hilfreiche Ergänzung sein, aber Rettungshubschrauber nicht ersetzen.

Besonders im Fokus stünde die Weiterentwicklung einheitlicher Kommunikationsstandards zwischen bemannten und unbemannten Luftfahrzeugen. Dies erfolge unter Berücksichtigung geltender gesetzlicher Regularien sowie existierender und neuer (Unmanned-)Traffic-Management-Systeme (U-TMS) für die bemannte und unbemannte Luftfahrt. „Unter U-TMS versteht man die digitale Darstellung der Position der unbemannten und bemannten Luftfahrzeuge und ihrer unmittelbaren Umgebung in einem Luftlagebild“, so die fachliche Erläuterung. Derzeit finde die Erprobung von Drohnen zu medizinischen Einsatzzwecken überwiegend im Rahmen von Simulationen und Forschungsprojekten statt. „Aufgrund der positiven Entwicklungen gehen wir davon aus, dass Drohnen innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre tatsächlich im Regelbetrieb eingesetzt werden können“, hofft der nach dem ADAC größte nicht kommerzielle Luftrettungsbetreiber in Deutschland.

Eine Voraussetzung neben passenden Versorgungsstrukturen: Um einen standardisierten Betrieb von unbemannten Luftfahrtsystemen (Unmanned Aircraft System/UAS) im medizinischen Sektor zu ermöglichen, müsse ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, der für die beteiligten Akteure, auch bei einem flexiblen Betrieb, zum Beispiel in Ad-hoc-Szenarien wie dem UAS-gestützten Transport eines automatisiertem externen Defibrillators, Rechtssicherheit bietet.

Mitwirkende des Beitrags

Irja Most

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