Anschluss an Europäischen Gesundheitsdatenraum per „Konsultationsmarathon“
Deutschland muss mit dem Start des Europäischen Gesundheitsdatenraums einen passenden, nahtlosen Anschluss finden. Auf Durchbrüche im Gesundheitswesen hofft die EU durch KI-Gigafabriken.

Das Ziel, eine bessere Gesundheitsversorgung mithilfe der Digitalisierung zu schaffen, nimmt in Europa und Deutschland weiter Gestalt an. Was in den vergangenen Jahren mehr oder minder nur am Rande ein Thema in der Digital-Health-Branche war, wie der Europäische Raum für Gesundheitsdaten (European Health Data Space/EHDS) und der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI), ist nun endgültig in der Mitte angekommen, zeigt auch die Fachmesse DMEA 2025.
Neben Kostenersparnis bedeuteten die neuen Wege vor allem einen „Qualitätssprung zu einer Medizin, die deutlich menschlicher wird“, unterstreicht Stefan Höcherl, Leiter Strategie und Standards und des Kompetenzzentrums für Interoperabilität im Gesundheitswesen (KIG) bei der Gematik. In diesem Jahr sei es die große Herausforderung, die Parallelität der Dinge zu überwinden und „zu einer Gemeinsamkeit zu kommen“. Laut nationaler Digitalagentur, die für die Umsetzung des EHDS in Deutschland zuständig ist, liegt der Schlüssel für eine nahtlose Integration in die EU-weite Gesundheitsdatenlandschaft in einheitlichen Standards und Interoperabilität.
Gematik: „Jetzt die Zukunft mitgestalten“
Mit Blick auf den europäischen Gesundheitsdatenraum, der offiziell Ende März in Kraft getreten ist und sich in den kommenden zwei Jahren in einer Übergangsphase befindet, kündigt Höcherl einen „Konsultationsmarathon“ von April bis September an. Dabei werde es darum gehen, die Austauschformate und die Grenzüberschreitungen im gemeinsamen Austausch von Datenformaten für wichtige Anwendungen auf europäischer Ebene zu spezifizieren und zu homogenisieren. Wer wolle, könne jetzt „die Zukunft mitgestalten, danach müssen wir umsetzen“, fordert der KIG-Leiter relevante Akteurinnen und Akteure zum Mitmachen auf.
Eine erste Konsultation zu grenzüberschreitender Telemedizin war aus Sicht der Gematik „ein guter Erfolg“. Zudem sei es ein „absolutes Novum“, dass andere europäische Länder sich mittlerweile zum Datenaustausch hierzulande erkundigten, obwohl Deutschland lange kein Vorreiter gewesen sei, so Höcherl. In den zurückliegenden drei Jahren sei aber Liegengebliebenes nachgeholt worden.
Ziele und Fahrplan des EHDS
Eine optimierte Nutzung von Gesundheitsdaten durch den EHDS soll Innovationen vorantreiben und eine faktengestützte Politikgestaltung fördern. In den kommenden zehn Jahren strebt die EU Einsparungen in Höhe von elf Milliarden Euro an.
März 2025: Die EHDS-Verordnung tritt in Kraft und ist Startpunkt für die Übergangsphase.
März 2027: Frist für den Erlass mehrerer wichtiger Durchführungsrechtsakte durch die EU-Kommission mit genauen Vorschriften für die Operationalisierung der Verordnung, um festzulegen wie die neuen Regeln regulär funktionieren sollen.
März 2029: Die wichtigsten Elemente der EHDS-Verordnung treten in Kraft, darunter der Austausch von Gesundheitsdaten aus Patientenkurzakten und elektronischen Verschreibungen für die Primärnutzung in allen EU-Mitgliedstaaten. Die Vorschriften über die Sekundärnutzung gelten ab dann auch für die meisten Datenkategorien wie zum Beispiel Daten aus elektronischen Patientenakten.
März 2031: Für die Primärnutzung sollte der Austausch von weiteren Gesundheitsdaten wie medizinischen Bildern, Laborergebnissen und Krankenhausentlassungsberichte in allen EU-Mitgliedstaaten funktionieren. Die Vorschriften über die Sekundärnutzung gelten dann auch für die meisten Datenkategorien wie beispielsweise genomische Daten.
März 2034: Drittländer und internationale Organisationen können die Teilnahme an HealthData@EU für die Sekundärnutzung beantragen.
Zuerst sollte Primärdatennutzung funktionieren
Dass es immer noch viel zu viele unstrukturierte Daten, abgespeichert in PDF-Dokumenten, gebe, kritisiert die Industrie. Denn für den EHDS seien strukturierte Daten unerlässlich, um neue Datenmodelle sowie einen Zugang zu den Daten zu schaffen, sagt Jens Dommel vom Amazon Web Services, der Clouddienste für das Gesundheitswesen anbietet. Einheitliche Standards brauche es nicht nur auf Europaebene, sondern weltweit. Einen einfachen Marktzugang hinsichtlich der EU-Regularien wünscht sich zudem die Europaleiterin des Konzerns Philips, Clara Sattler.
Angesichts der EHDS-Ziele einer Primär- sowie Sekundärdatennutzung müsse erstere zunächst im Fokus stehen, fordert Annabel Seebohm, Generalsekretärin bei COCIR sowie Vorstandsmitglied der Innovative Health Initiative. Denn bevor Daten für Forschungszwecke zum Zuge kommen könnten, sei eine funktionierende Primärdatennutzung vonnöten. Diese generierten sich nicht nur aus interoperablen Patientenakten, sondern das System „bedeutet alles“. Sämtliche klinische, administrative, regionale, internationale, föderale Systeme seien damit gemeint, die dort einfließen könnten, so Seebohm. „Ohne eine gescheite Primärdatennutzung keine gute Sekundärdatennutzung.“ Daher seien die Konsultationen „so besonders wichtig“.
EU plant gigantische Recheninfrastruktur
Damit die EU den geplanten Sprung in eine digitale Gesundheitsversorgung schaffen kann, ist nicht nur ein funktionierender Datenaustausch nötig, sondern vor allem für den Einsatz von KI auch eine leistungsfähige Infrastruktur. Denn Europa soll nicht nur unabhängig werden, sondern der „Kontinent für KI“. Dazu hat die EU die InvestAI-Initiative ins Leben gerufen und passend zum zweiten Messetag der diesjährigen DMEA den Start des Aktionsplanes dazu verkündet. Ein neuer Fonds in Höhe von 20 Milliarden Euro soll die Errichtung von KI-Gigafabriken finanzieren. Diese sollen der Entwicklung und Erprobung von KI-Modellen dienen, unter anderem für den Schlüsselsektor Gesundheitswesen.
„Jedes Unternehmen, egal ob groß oder klein, soll in Zukunft Zugang zu diesen Giga-Fabriken haben, um große Rechenleistungen zu benutzen für neue Ideen, für Geschäftsideen und andere. Das gilt wirklich tatsächlich für jeden“, erläutert Seebohm. Einige KI-Fabriken gibt es bereits in Europa. In Deutschland soll laut Ankündigung der EU-Kommission im März zu der in Stuttgart eine weitere in Jülich entstehen. Die EU hofft auf Durchbrüche im Gesundheitswesen durch diese Art von Cern für KI. „KI wird unsere Gesundheitsversorgung verbessern“, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beim Aktionsgipfel hierzu im Februar.
Der Mensch als „Datenplattform“
Künftig werden mehr und mehr Gesundheitsdaten zur Verfügung stehen, die es gilt, optimal zu verwerten. „KI versucht Vorgänge zu visualisieren, zu automatisieren, Daten zusammenzubringen und den Menschen als Datenplattform zu sehen“, erklärt David Matusiewicz, Dekan und Institutsdirektor für Gesundheit & Soziales an der FOM Hochschule.
Praktisches Beispiel: Bei einer Erkrankung vor Kurzem hat der Experte für digitale Gesundheit ein Pflaster ausprobiert, das rund um die Uhr die Temperatur misst und in Echtzeit verfolgen lässt. Künftig soll es auch Verwendung finden zur Früherkennung von Sepsis. Für ihn ein echter „Gamechanger“. Es gebe immer mehr Datenpunkte am menschlichen Körper, ob über Pflaster, Ringe oder Clips am Ohr. „Wir schauen immer tiefer in den Menschenkörper.“ Besonders wichtig werde es daher, die Daten richtig zu interpretieren und zudem für Prävention zu nutzen.
Ebenso sollte das Augenmerk wieder mehr auf dem „Faktor Mensch“ liegen. Aktuell werde viel darüber geredet, was Maschinen alles können und Neues bringen, so der Gesundheitsökonom. „Dabei vergessen wir, den Menschen weiterzuentwickeln. Wenn ich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht mitnehme, ist das beste IT-Projekt gescheitert.“
Mitwirkende des Beitrags

Autorin
Datenschutzhinweis
Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.
Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.