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Mehr Forschungsgelder für Endometriose

09.07.2024 Ulrike Serbent 4 Min. Lesedauer

Durchschnittlich dauert es acht Jahre oder länger bis eine Endometriose-Diagnose gestellt wird. Das bedeutet ein wahres Martyrium für viele der etwa zwei Millionen davon betroffenen Frauen in Deutschland. Nun endlich wird in Forschung investiert.

Foto: Ein Frauenhand hält eine Organnachbildung einer Gebärmutter vor ihren Unterbauch.
Viele Jahre lang wurden nur geringe öffentliche Mittel in die Erforschung der Endometriose investiert.

In den mehr als zwanzig Jahren seit der Jahrtausendwende wurden in Deutschland insgesamt nur rund 500.000 Euro für Forschung zu Endometriose bereitgestellt. Auch deshalb fehlt es an wichtiger Grundlagenforschung. 2023 hatte der Bundestag erstmalig fünf Millionen Euro für die Endometrioseforschung freigegeben. Ab 2024 sollen die Forschungsmittel verstetigt werden. Das hierfür federführende Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert deshalb den Aufbau von interdisziplinären Verbünden zur Erforschung von Pathomechanismen der Endometriose. Diese Forschungsverbünde wurden in einem Verfahren unter Beteiligung eines internationalen Gutachtergremiums ausgewählt. Für die Maßnahme werden insgesamt rund 10,2 Millionen Euro für drei Jahre bereitgestellt. Eine weitere Förderung für zwei Jahre soll nach einer positiven Zwischenevaluation möglich sein.

Krankheitsursachen besser verstehen

Nach Angaben des BMBF wurde besonders Wert auf den interdisziplinären Ansatz der Verbundforschung und auf die Kooperation zwischen Forschenden aus der Grundlagen- und der klinischen Forschung gelegt. Ziele sind, die wesentlichen Forschungsfragen zu beantworten und neue Erkenntnisse und Lösungsansätze finden zu können. Eine Sprecherin des BMBF erklärte: „Die Maßnahme zielt darauf ab, die Krankheitsursachen besser zu verstehen und Ansätze für eine verbesserte Prävention, Diagnostik und Therapie zu identifizieren. Aufgrund der begrenzten Anzahl von klinisch-wissenschaftlichen Endometriose-Einrichtungen in Deutschland wurden nur zehn Anträge gestellt. Die Forschungsgelder und Forschungsverbünde wecken große Hoffnungen, die Versorgung an Endometriose erkrankter Frauen endlich signifikant zu verbessern.

Nationaler Aktionsplan Endometriose

Auch Stefan Schwartze, Patientenbeauftragter der Bundesregierung, ist zufrieden, dass das Thema endlich adressiert wird und hofft, dass bereits im September die Forschungsverbünde ihre Arbeit aufnehmen können. „Es ist ein wichtiger Schritt, um den Bedürfnissen von Millionen von Frauen gerecht zu werden, die unter dieser Erkrankung leiden. Endometriose ist eine weit verbreitete Erkrankung, die jedoch oft unterschätzt oder ignoriert wird“, so Schwartze. Der Patientenbeauftragte will unbedingt am Thema dranbleiben, damit die Aufmerksamkeit für die Erkrankung nicht versiegt. Schwartze würde auch die Entwicklung eines nationalen Aktionsplans Endometriose begrüßen. Nach seiner Meinung ist ein ganzheitlicher Ansatz zur Bewältigung der Endometriose-Epidemie in Deutschland notwendig.

So könnte sich Schwartze auch einen gemeinsamen EU-weiten Aktionsplan vorstellen. Das Europäische Parlament beziffert die jährlichen Sozialausgaben für den krankheitsbedingten Arbeitsausfall infolge Endometriose auf 30 Milliarden Euro. „Das sind Kosten, die zu den direkten und intangiblen Krankheitskosten dazu kommen. Das viel wichtigere Argument für einen Aktionsplan ist allerdings, dass eine frühe Erkennung und verbesserte Behandlung Schmerz, Leid, den Verlust von Lebenszeit und -qualität, gesundheitliche und soziale Langzeitfolgen zumindest abschwächen könnte“, betont Schwartze. Ein solcher Aktionsplan könnte beispielsweise die Implementierung von Früherkennungsmaßnahmen und verbesserten Diagnoseverfahren fördern, den Zugang zu spezialisierten Behandlungszentren erleichtern, die Schulung von medizinischem Fachpersonal verbessern und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Endometriose fördern.

Der lange Weg bis zur Diagnose

Als wichtige Interessenvertretung für Endometriose-Betroffene fordert auch die Endometriose-Vereinigung Deutschland zumindest ein konzertiertes nationales Vorgehen. Anja Moritz, Geschäftsführerin der Vereinigung, erklärt: „Endometriose ist als Thema platziert, aber alles andere als gelöst.“ Besonders wichtig ist dem Verein die Reduzierung der langen Diagnosezeiten. Die häufig genannte Zahl von acht Jahren sei ein Durchschnittswert. Sehr oft dauere es zehn, 15 oder gar 20 Jahre, bis Betroffene ihre Diagnose erhalten. Das bedeutet für viele ein wahres Martyrium, das ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Auch deshalb ist die Endometriose-Vereinigung Deutschland Partner in mehreren Verbünden, die Anträge zur Ausschreibung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Erforschung der Pathomechanismen der Endometriose einreichten.

Obwohl die derzeitigen Forschungsvorhaben mit fünf Millionen Euro pro Jahr finanziert werden, sieht Anja Moritz dies nur als einen Anfang. „Die Forschung zu Endometriose muss verstetigt und ausgeweitet werden.“ Besonders im klinischen Bereich fehle es an Forschung zu passenden und angemessenen Therapien, erläutert Moritz. Um die Situation der Betroffenen zeitnah zu verbessern, fordert die Vereinigung die Kostenübernahme für Therapien wie Physiotherapie und Osteopathie sowie einen zuzahlungsfreien Zugang zu hormonellen Präparaten und einem kostenlosen vaginalen Ultraschall. Zudem fehlen Strukturen, die einen effektiven Austausch über Endometriose ermöglichen. Es gibt zum Beispiel keine Landesfachstellen oder Landesbeauftragte für Endometriose in den Bundesländern, und auch keine Datensammelstellen oder Register. Diese Stellen könnten, so Moritz, dazu beitragen, Endometriose besser zu verstehen und die Bedürfnisse der Betroffenen nachhaltig in den Fokus zu stellen.

Vorbild Australien und Frankreich

Moritz gehört mit ihren Mitstreiterinnen von der Endometriose-Vereinigung Deutschland deshalb zu den Verfechtern eines nationalen Aktionsplans für Endometriose. Neben Frankreich hat auch Australien bereits mit einer solchen nationalen Strategie einen zielführenden Weg eingeschlagen. „Das Beispiel Australien zeigt, dass nur ein konzertiertes Vorgehen eine nachhaltige Verbesserung der Situation der Endometriose-Betroffenen bewirken kann.“

Australien war 2018 das erste Land weltweit, das eine nationale Endometriose-Strategie verabschiedet hat. So wurden alle Anstrengungen im Land unter einem Dach gebündelt und konkrete Ziele gesetzt. Zudem wurden mehr Gelder für Forschung und Entwicklung, Aufklärung und Therapie zur Verfügung gestellt. Der australische Aktionsplan stellte sicher, dass finanzielle Mittel zielgerichtet eingesetzt und strukturelle Anpassungen entsprechend den tatsächlichen Aufgaben vorgenommen wurden. Frankreich ist 2022 als erstes europäisches Land mit Australien gleichgezogen. Der französische Staatspräsident hatte sich persönlich dafür eingesetzt. Die französische Endometriose-Strategie will Ressourcen auf nationaler Ebene bündeln. Zu jedem der Ziele gibt es einen ganzen Katalog an verschiedenen Maßnahmen mit konkret formulierten Leistungen. Bis 2025 sollen konkret messbare Erfolge erzielt werden.

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24.06.20241 Min

Wie eine DiGA helfen kann – die Endo-App

Im Oktober 2022 wurde die erste Endometriose-App in das DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgenommen. Die digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) ist bisher die einzige deutschsprachige App zur Begleitung von Endometriose-Patientinnen. Sie wurde von Ärztinnen und Ärzten und anderen Gesundheitsexertinnen und -experten entwickelt und ist kostenlos als „App-auf-Rezept“ erhältlich. Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten können sie verordnen. Krankenkassen tragen die Kosten für die Endo-App und stellen einen Aktivierungscode aus, wenn das ärztliche Rezept vorliegt. Betroffene können die App auch ohne ärztliche Verordnung erhalten, indem sie ihrer Krankenkasse die ärztliche Diagnose vorlegen.

Innerhalb von neun Monaten nach ihrer Zulassung wurde die App bereits 10.000 Mal verschrieben. Sie soll Endometriose-Betroffene in ihrem Alltag unterstützen und ihre Lebensqualität verbessern. Sie bietet ein Symptom-Tagebuch zur detaillierten Dokumentation der Beschwerden und eine umfassende Wissensvermittlung zu der Krankheit. Durch die Integration in den Alltag der Betroffenen unterstützt die App eine kontinuierliche und multimodale Therapie. In einer zwölf Wochen randomisierten, kontrollierten Pilotstudie mit 122 Studienteilnehmerinnen wurde die positive Auswirkung der Endo-App auf die Lebensqualität von Endometriose-Betroffenen bereits nachgewiesen.

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