Interview Versorgung

„Wir mussten die Klinik aufgeben"

18.09.2024 Otmar Müller 4 Min. Lesedauer

Auch wenn die Evakuierung seiner Klinik in der Flutkatastrophe vor drei Jahren letztlich erfolgreich verlief – das Krankenhaus mit 220 Betten konnte nach der Flut nicht mehr weiterbetrieben werden, sagt Geschäftsführer Christian Sprenger.

Foto: Vor einem Fluß steht ein Warnschild "Hochwasser".
Das Jahrhunderthochwasser überraschte viele Gemeinden in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen am 14. und 15. Juli 2021.

Ihr Krankenhaus in Ehrang lag mehrere hundert Meter von der Kyll entfernt. War die Klinik zuvor schon öfters von Hochwasser betroffen, so dass es einen gewissen Erfahrungshorizont gab?

Dr. med. Christian Sprenger: In Trier-Ehrang, wo unsere Zweigstellenklinik mit 220 Betten lag, gab es in der Zeit, seitdem ich dort angefangen hatte, noch nie ein Kyll-Hochwasser, das auch nur annähernd in die Nähe der Klinik gekommen wäre. Und soweit ich weiß, ist das auch vor meiner Zeit noch nie passiert. Insofern waren wir an diesem Standort tatsächlich nicht auf Hochwasser eingestellt. Allerdings war unser Haupthaus im Zentrum von Trier schon mehrfach von Moselhochwasser betroffen. Insofern gab es dort durchaus auch einen entsprechenden Erfahrungshorizont. 

Gab es in Ihrem Haus irgendwelche Vorgaben, wie im Falle eines Hochwassers zu handeln sei?

Sprenger: Nein, für ein Hochwasser gab es keine klaren Vorgaben in unserer Klinik. Aber als das Wasser kam, haben wir sehr davon profitiert, dass wir einen wirklich gut aufgestellten Katastrophenschutz hatten. Es gibt bei uns einen Katastrophenschutzleiter und einen Stellvertreter, also klare Ansprechpartner. Wir haben uns auch von der „Deutschen Arbeitsgemeinschaft Krankenhaus-Einsatzplanung“ für den Katastrophenschutz zertifizieren lassen. Durch die intensive Beschäftigung mit außergewöhnlichen Krisensituationen gab es bei uns also schon eine gewisse Struktur. Und alle Verantwortlichen in der Klinik waren sehr früh miteinander im Austausch – das hat geholfen.

Hatten Sie klare Ansprechpartner bei der Kommune, an die sie sich wenden konnten? Gab es vonseiten der Kommune irgendwelche Notfallpläne?

Sprenger: Durch einen Amoklauf im Jahr 2020 in der Trierer Innenstadt und die bereits vorher eingesetzte Coronapandemie hatten wir bereits einige Krisensituationen hinter uns. Während der Pandemie gab es einen großen Krisenstab, der wöchentlich zusammengekommen ist. Hier kamen alle relevanten kommunalen Player wie Feuerwehr, Polizei und Oberbürgermeister gemeinsam mit Vertretern der Kliniken ständig zusammen. Wir wussten also sehr genau, wer unsere Ansprechpartner sind, die entsprechenden Kontaktdaten waren im Handy eingespeichert, so dass wir uns sehr schnell ausgetauscht haben. Dass es ein Hochwasser geben könnte, war ja vom Wetterdienst angekündigt und insofern auch frühzeitig Thema im Krisenstab.

„Als das Wasser kam, haben wir sehr davon profitiert, dass wir einen wirklich gut aufgestellten Katastrophenschutz hatten.“

Dr. med. Christian Sprenger

Geschäftsführer des Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen in Trier

Foto: Auf einer Straße stehen mehrere Rettungswagen mit Blaulicht.
Ob Klimawandel oder Pandemie – verschiedene Krisen und Naturkatastrophen haben in der jüngeren Vergangenheit massive Schäden angerichtet und klar gemacht, wie verletzlich unser Gesundheitssystem ist.
18.09.2024Otmar Müller3 Min
Foto: Dr. med. Christian Sprenger, Geschäftsführer im Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen.
Dr. med. Christian Sprenger ist Geschäftsführer des Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen in Trier.

Wie ist der Morgen verlaufen, als das Hochwasser immer weiter stieg.

Sprenger: Mitten in der Nacht bekamen wir einen Anruf aus Kordel, einem kleinen Örtchen nördlich von Trier. Dort musste ein Altenheim wegen Hochwassers evakuiert werden. Wir wurden gebeten, einige Bewohner aufzunehmen. Damit wurde bei uns schon sehr frühzeitig der Notfall-Einsatzplan ausgelöst, unser Katastrophenschutz war aktiviert und ab da mit dem Krisenstab der Stadt Trier in Kontakt. Gegen halb acht am Morgen kamen die Bewohnerinnen und Bewohner des Altenheims bei uns völlig durchnässt und unterkühlt an und wurden von uns aufgenommen und betreut.

Zu diesem Zeitpunkt waren tieferliegende Straßen in unserem Stadtteil Ehrang bereits selbst vom Kyll-Hochwasser bedroht. Da unsere Klinik im Stadtteil recht weit oben liegt, gab es Anfragen, ob wir eventuell, falls nötig, weitere evakuierte Personen aus der tieferliegenden Umgebung aufnehmen könnten. Zu diesem Zeitpunkt glaubte wohl niemand, dass das Wasser bis hoch zur Klinik steigen könnte. Ich war in einem engen Austausch mit dem Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe, der ja vor der Entscheidung stand, welche Teile von Ehrang er evakuieren lassen soll. Zwei Stunden später, nachdem der Wasserstand mehrfach hoch und wieder runter und wieder hoch gegangen war, haben wir dann gemeinsam entschieden, auch die Klinik zu evakuieren. Alle für den Tag noch geplanten Operationen wurden abgesagt und wir fingen an, stockwerkweise alle rund 110 Patientinnen und Patienten zu evakuieren. Zu diesem Zeitpunkt stand das Wasser dann schon fast vor dem Haupteingang und lief kurz danach in den Keller. Deshalb konnten wir bei der Evakuierung die Aufzüge nicht mehr benutzen. Da die Klinik in Hanglage steht, liegt allerdings die gesamte Rückseite des Gebäudes höher als der Haupteingang. Deshalb konnten wir die Evakuierung zur Rückseite des Gebäudes auf den dortigen großen Parkplatz problemlos im Trockenen durchführen. Das Ganze hat drei Stunden gedauert. Ab mittags wurden unsere Patienten sowie die Bewohnerinnen und Bewohner eines Altenheims direkt neben der Klinik per Hubschrauber, mit Rettungswagen und auch mit Bussen evakuiert.      

Am Ende war die Evakuierung erfolgreich, was aber ja nicht überall der Fall war. Im Hochwasser starben 185 Menschen. Hatten Sie das Gefühl, dass in Trier das Katastrophenmanagement besser geklappt hat oder war da auch viel Glück im Spiel?

Sprenger: Ich glaube, es war eine Mischung aus guter Vorbereitung und glücklichen Zufällen. Dass die Anfrage aus Kordel schon mitten in der Nacht kam, hat uns Zeit gegeben, die Hochwasserlage die ganze Nacht hindurch zu beobachten. Wir wurden also nicht überrascht, wie so viele andere, etwa im Ahrtal. Durch unseren gut aufgestellten Katastrophenschutz und den direkten Draht zum Krisenstab und zum Oberbürgermeister waren wir zudem frühzeitig in der Lage, die Situation zu bewerten und eine Entscheidung zu treffen. Dass es dann beim Verlassen der Klinik keine Zwischenfälle gab, war wiederum auch Glück. Dass wir nach der Flutkatastrophe vom Land Rheinland-Pfalz eine Auszeichnung für besondere Verdienste im Krisen- und Katastrophenschutz erhalten haben, zeigt aber auch, dass wir einiges richtig gemacht haben.

Ist das Krankenhaus mittlerweile saniert und wieder in Betrieb?

Sprenger: Nein, wir mussten den Standort in Ehrang nach dem Hochwasser aufgeben. Das Wasser hat den Keller des Krankenhauses vollständig geflutet. Dort befand sich die gesamte Klinik-Technik, die damit unwiederbringlich zerstört war. Nun kann man aber nicht einfach nach der Flut das Haus trocknen und die Technik ersetzen und dann weitermachen. Durch die Wiederanschaffung der Technik hätten wir keinerlei Bestandsschutz mehr gehabt bei den Themen Brandschutz, Arbeitsschutz und so weiter. Das hätte enorme Kosten verursacht, die wir einfach nicht stemmen konnten.    

Auch wenn die Klinik nicht wieder eröffnet wurde – welche Lehren wurden aus der Beinahe-Katastrophe gezogen?

Sprenger: Wir haben für unseren Hauptstandort in Trier ganz ernsthaft bewertet, was uns bei einem größeren Mosel-Hochwasser drohen kann. Denn natürlich haben wir hier auch die ganze Technik im Keller, wie das bei Krankenhäusern üblich ist. Deshalb haben wir begonnen, noch mehr Hochwassersicherung einzuführen, also beispielsweise Spundwände einzurichten in besonders gefährdeten Bereichen. Außerdem haben wir Teile des Rechenzentrums in hochwassersichere Bereiche ausgelagert. Wenn es um geplante Um- oder Neubauten geht, wird heute das Thema Hochwasserschutz immer von Anfang an mitgedacht. Zudem machen wir regelmäßig Übungen mit der Feuerwehr, um für verschiedene Krisenszenarien gut gewappnet zu sein. Ich denke also, dass wir unsere Lehren aus der Katastrophe gezogen haben. Und trotzdem: Wenn wieder ein Jahrhunderthochwasser käme, diesmal noch höher und über die Mosel – dann würde es auch an unserem Standort im Zentrum eng werden.

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