Schutz vor tödlicher Gewalt: Mangel an Frauenhäusern in Deutschland groß
Zu gering ist die Sensibilisierung für häusliche Gewalt im Gesundheitswesen und immer noch gibt es viel zu wenige Schutzunterkünfte für Frauen und Kinder, angepasst an den jeweiligen Bedarf, erläutert die neue Vorständin des Vereins Frauenhauskoordinierung, Stefanie Leich. Im Interview mit G+G erklärt sie, wo die Politik sonst noch nachbessern muss.
Jede Stunde erleiden durchschnittlich mehr als 14 Frauen Gewalt in der Partnerschaft. Beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder Ex-Partner eine Frau zu töten. Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch ihren derzeitigen oder vorherigen Partner, zeigt das jüngste Bundeslagebild „Häusliche Gewalt“ des Bundeskriminalamtes, das es in dieser Form seit 2022 gibt. Die Zahl der Opfer ist zudem um 8,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Dabei stellte die Weltgesundheitsorganisation WHO schon vor etlichen Jahren heraus, dass häusliche Gewalt als eines der weltweit größten Gesundheitsrisiken für Frauen und Kinder gilt, heißt es in der Gesundheitsberichterstattung des Bundes „Gesundheitliche Folgen von Gewalt unter besonderer Berücksichtigung von häuslicher Gewalt gegen Frauen“, herausgegeben vom Robert Koch-Institut.
Damit Frauen geholfen werden kann, heißt es in dem Bericht: „Die wichtigsten Aufgaben von Fachkräften im Gesundheitswesen sind: wahrzunehmen, dass häusliche Gewalt vorliegen könnte; einen geschützten Raum anzubieten, in dem sich die Frau sicher und aufgehoben fühlen und Vertrauen entwickeln kann; Frauen mit Verständnis zu begegnen und mit geeigneten Interventionen zu ihrer Stabilisierung beizutragen; so weit wie möglich, Wissen über Rechte zu vermitteln und Frauen auf Angebote spezialisierter Stellen hinzuweisen.“ Doch allein der Ausbau eines Schutzangebots in Form von Frauenhäusern geht bis heute in Deutschland nur schleppend voran.
Wie ist die aktuelle Situation der Frauenhäuser in Deutschland? Es heißt ja überall, dass ganz viele Plätze fehlen?
Stefanie Leich: Das ist tatsächlich ein großes Thema, mit denen die Frauenhäuser in Deutschland zu kämpfen haben. Viele Frauen können nicht aufgenommen werden, weil keine Plätze frei sind. Dann heißt es, bundesweit zu schauen, wo sie hingehen können. Aber das ist in der Regel nicht sonderlich förderlich für die Frauen und die Kinder. Es gibt knapp 7.000 Frauenhausplätze in Deutschland, nach der Istanbul-Konvention müssten es rund 21.000 Plätze für Frauen und Kinder sein.
Dann kommt noch hinzu, wie müssen diese Plätze aussehen? Denn die schutzsuchenden Frauen und Kinder sind sehr unterschiedlich, zum Beispiel wenn sie eine Beeinträchtigung haben. Im Frauenhaus in Hamburg hatten wir sehr viele Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Das heißt, es muss Frauenhäuser geben, die darauf ausgerichtet sind. Es reicht nicht nur, dass es Plätze gibt, sondern diese Plätze müssen eben auch für sehr unterschiedliche Zielgruppen zugänglich sein. Dann nehmen viele Häuser Jungen über 14 oder manchmal auch über zwölf Jahre nicht auf, weil die Enge des Hauses und die fehlende Privatsphäre das nicht hergeben. Damit haben Frauen, die ältere Kinder haben, die viele Kinder haben oder Kinder mit bestimmten Beeinträchtigungen große Schwierigkeiten, Plätze zu finden.
Welche Schwierigkeiten gibt es mit Blick auf die Bundesländer?
Leich: Es gibt in den meisten Bundesländern das große Problem, dass Frauen, die nicht im SGB-II-Bezug (Bürgergeld) sind, keine Mittel für einen Frauenhausplatz bekommen. Es sind etwa 25 Prozent, die zuzahlen müssen. Und das ist zum Teil auch wirklich viel, so dass Betroffene sich zum Teil ein Frauenhaus überhaupt nicht leisten können. Und das ist von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden. Schleswig-Holstein, Hamburg und Berlin-Brandenburg haben aufgrund ihrer eigenen Finanzierungsmodelle diese Hürde nicht. Dort können auch Frauen ohne SGB-II-Bezug kostenfrei unterkommen.
Welche Entwicklungen lassen sich aus den statistischen Zahlen ablesen?
Leich: Nach unseren aktuellsten Zahlen haben im Jahr 2022 14.400 Frauen und 16.670 Kinder Schutz gesucht. Bundesweit gab es in den letzten fünf Jahren einen Anstieg an Gewaltbetroffenen, zeigt die Polizeiliche Kriminalstatistik. Über das Dunkelfeld wissen wir allerdings gar nichts. Das Bundeshilfetelefon verzeichnete ebenfalls mehr Anfragen. Ob das daran liegt, dass es mehr Menschen gibt, die von Gewalt betroffen sind, oder ob möglicherweise einfach mehr nach Hilfe fragen, lässt sich wirklich ganz schwer sagen. Ein sprunghafter Anstieg ist uns aber nicht bekannt.
Im Koalitionsvertrag hat die Ampel die finanzielle Absicherung sowie den Ausbau des Hilfesystem zugesichert. Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Arbeit der Bundesregierung?
Leich: Die Bundesregierung erarbeitet zurzeit das Gewalthilfe-Gesetz, mit dem ein Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt eingeführt werden soll. Es ist ein echter Fortschritt, Wir hoffen, dass es einen bundeseinheitlichen Rechtsanspruch mit einer auskömmlichen Finanzierung geben wird und dass es genug Frauenhäuser gibt für unterschiedlichste Bewohnerinnen und Strukturen, kostenfrei und niedrigschwellig.
„Wir hoffen, dass es einen bundeseinheitlichen Rechtsanspruch mit einer auskömmlichen Finanzierung geben wird.“
Vorständin des Vereins Frauenhauskoordinierung
Wo muss die Politik noch dringend nachbessern?
Leich: Beim Thema Sorge und Umgangsrecht gibt es viel Nachholbedarf. Mütter werden oft dazu verpflichtet, den Umgang der Kinder mit dem Vater schnell und selbstständig zu organisieren. Das bedeutet, sie treffen auf den Täter. Das ist mit einem echten Risiko für die Frauen verbunden. Auch hier ist die Bundesregierung dran, die Forderung besteht schon sehr lange.
Was wir fast überhaupt nicht haben, ist wirklich eine echte Arbeit mit denjenigen, die Gewalt ausüben. Und wenn ich nur auf die eine Hälfte von Gewaltbeziehungen schaue, dann kann das nicht zu einer grundsätzlichen Veränderung führen, weil ich den anderen Teil ausblende. Das Bundeshilfetelefon ist schon relativ bekannt. Aber Angebote für Täter gibt es kaum welche. Dabei gibt es durchaus diesen Punkt, wo auch Menschen, die Gewalt ausüben, durchaus zugänglich für Unterstützungsangebote wären. Nämlich meistens direkt nach einer Eskalation in einem relativ kurzem Zeitfenster, wo Täter sagen okay, ich würde jetzt aber was machen. Wenn die dann aber nicht auf ein passendes Angebot stoßen, verläuft das im Sande und die Gewaltspirale dreht sich weiter.
Welche Rolle spielt das Frauenbild in unserer Gesellschaft?
Leich: Zwar hat sich am Frauenbild in Deutschland und wie Gewalt gegen Frauen gesehen wird, etwas geändert, aber das reicht nicht. Denn unverändert erleben 25 Prozent von Frauen in der Partnerschaft Gewalt. Das war vor 25 Jahren genauso wie jetzt. Das wird sich nur ändern, wenn wir auch an bestimmten Bildern arbeiten. Das hat mit Abhängigkeitsverhältnissen zu tun, mit finanzieller Sicherheit, mit allem, was es Frauen erschwert zu gehen. Und hinzu kommt, wie können sich Männer und Jungs dazu entwickeln, ein bestimmtes Frauenbild, was mit einer wahnsinnigen Abwertung zu tun hat, abzulegen und Frauen als gleichwertig anzusehen? Hier finden sich immer nur so kleine Projekte. Aber es gibt keinen nationalen Aktionsplan oder einen Landesplan, der versucht, Männerbilder und Frauenbilder zu verändern.
Sollte das nicht schon in der Schule ansetzen?
Leich: Es wird schnell gesagt, das ist Aufgabe der Schulen. Da gibt es so viele Forderungen von allen Seiten, das kann Schule meiner Meinung nach nicht alles leisten. Ich glaube, das hat vielmehr mit einer gesellschaftlichen Präsenz von Bildern zu tun. Wie dürfen Frauen zum Beispiel auf Plakaten dargestellt werden? Mittlerweile hat man das Gefühl, das war früher mal besser. Heutzutage grinsen mich überall wieder halbnackte Frauen an.
Was müsste sich konkret in der Gesundheitspolitik ändern?
Leich: Da Gewalt gegen Frauen ganz oft mit schweren körperlichen Verletzungen verbunden ist, aber natürlich auch mit psychischen Verletzungen, braucht es bessere Angebote. Was die psychischen Verletzungen angeht und Traumatisierung, ist natürlich das Riesenthema Zugang zu therapeutischer Beratung oder klassischen Therapien. Das ist echt ein Problem, sowohl was Tageskliniken angeht als auch stationäre sowie ambulante Maßnahmen. Und grundsätzlich in der ganzen Gesundheitsversorgung fehlt nach wie vor eine ausreichende Sensibilisierung. Viele Frauen gehen einerseits nicht zu Ärzten oder ins Krankenhaus, weil sie aktiv daran gehindert und unter Druck gesetzt werden, aber andererseits auch, weil dieses ganze Thema nach wie vor sehr mit Scham behaftet ist.
Frauenhauskoordinierung e. V.
Stefanie Leich ist seit Dezember 2023 die neue Vorständin des Vereins Frauenhauskoordinierung. Sie ist Fachreferentin in der Diakonie Deutschland zum Thema Gewaltschutz für Frauen und leitete zuvor zehn Jahre lang ein Frauenhaus in Hamburg.
Der Verein Frauenhauskoordinierung (FHK) unterstützt deutschlandweit Frauenhäuser und Fachberatungsstellen in fachlicher Hinsicht und bei ihrer politischen Arbeit. FHK wurde 2001 in Frankfurt am Main auf Initiative der Wohlfahrtsverbände (AWO-Bundesverband, Diakonie Deutschland, Der Paritätische Gesamtverband, Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein/Deutscher Caritasverband) gegründet.
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