Gegenleistung für Gesundheitsdaten und mehr Digitalkompetenz
Vor einem Jahr ist die Initiative „Data Saves Lives Deutschland“ gestartet, um die Nutzung von Gesundheitsdaten zu thematisieren. In einer Zwischenbilanz stellt sie vor dem Hintergrund der gesammelten Erkenntnisse Empfehlungen für den Umgang mit den Daten vor.
„Ich kann alle halbe Jahr zu meinem Neurologen gehen und er fragt mich: Wie geht's? Dann sage ich gut oder schlecht. Mehr Zeit habe ich nicht“, gibt der Multiple-Sklerose-Patient Martin Praast Einblick in die Welt der analogen Versorgung. Mithilfe einer App hingegen könne er jetzt ein halbes Jahr seine Symptome tracken und seinem Arzt vorlegen. Und dieser sehe anhand der Aufzeichnungen auf einem Blick die Entwicklung der Erkrankung, hebt Praast die Vorteile der Nutzung von Gesundheitsdaten zur Verbesserung seiner Situation beim virtuellen Treffen der Initiative „Data Saves Lives Deutschland“ (DSL) hervor. Vor einem Jahr ist die vom Bundesgesundheitsministerium geförderte gemeinnützige Interessenvertretung um Birgit Bauer und Ihno Fokken gestartet, um über die Potenziale von Gesundheitsdaten zu diskutieren.
„Sehr hohes Informationsbedürfnis zum Umgang mit Daten"
Im Laufe des ersten Jahres hat das DSL-Team Stimmungsbilder mit Workshops auf Veranstaltungen und durch Umfragen eingefangen. Der Fokus lag bei der Analyse auf chronisch Erkrankten, da diese dauerhaft Gesundheitsdaten im System hinterließen. Zudem gebe es immerhin 20 bis 30 Millionen Betroffene, so Fokken. Der Tenor: Grundsätzlich sei der Zuspruch zum Teilen von Gesundheitsdaten für eine bessere Versorgung und für die Forschung groß. Wichtig sei es den Betroffenen, darüber zu bestimmen, wer die Daten einsehen dürfe und wofür sie verwendet würden. Repräsentative Umfragen kommen laut DSL zu ähnlichen Ergebnissen. Danach befürworteten Dreiviertel der Befragten die Idee einer staatlichen Forschungsdatenbank mit anonymisierten Gesundheitsdaten. 70 Prozent fänden die Vorsorge auf Basis einer digitalen Patientenakte gut. Eine Hürde sei jedoch fehlende Digitalkompetenz. Denn 55 Prozent wüssten nicht, wie sie mit der Messung und der Analyse der Daten grundsätzlich umgehen sollten.
„Die Umfrage zeigt damit deutlich ein sehr hohes Informationsbedürfnis zum Umgang mit Daten“, unterstreicht das DSL-Team. Wichtig sei, dass tatsächlich alle gleichermaßen Wissen zu Gesundheitsdaten besizen. „Es muss wirklich inklusiv sein, es muss sehr transparent sein für die Patienten und Patientinnen“, die breite Bevölkerung brauche Informationen, um bei dem Thema überhaupt mitreden zu können, stellt Fokken heraus. Die Statistikerin und KI-Expertin Katharina Schüller bekräftigt: „Wir müssen uns über das Thema Kompetenz bei den potenziellen Nutzerinnen und Nutzern ganz intensiv Gedanken machen, dass diese Daten nicht falsch und auch nicht überinterpretiert werden.“ Hier stelle sich die Frage: „Braucht es vielleicht einen Datenführerschein?“
Beiräte, Transparenz und Gegenwert im Umgang mit Datennutzung
Damit Patienten und Patientinnen ihre digitale Gesundheitskompetenz ausbilden können, um mündige Entscheidungen über das Teilen von Gesundheitsdaten treffen zu können, schlägt die DSL-Initiative vor, dass „alle Stakeholder im Gesundheitswesen gemeinsam eine konzertierte Kommunikationsstrategie“ entwickeln sollten. Das ist eine von fünf Empfehlungen, die das Team aus ihren bisher gesammelten Erkenntnissen herausgearbeitet hat. In einem weiteren Punkt gelte es, an den entscheidenden Stellen mitreden zu dürfen: „Bürger- und Patientenbeiräte sollten in den Entscheidergremien wie den zuständigen Abteilungen des Bundesgesundheitsministeriums verankert werden.“
Außerdem sollten Forschende verpflichtet sein, über die Nutzung der Daten verständlich zu informieren. Und: „Wer Daten wirtschaftlich nutzt, sollte einen Gegenwert für alle bereit stellen.“ Damit Patienten und Bürgerinnen zustimmen, Gesundheitsdaten für die wirtschaftliche Nutzung freizugeben, empfiehlt DSL eine freiwillige Selbstverpflichtung der Nutzenden, eine neutrale, gemeinnützige Organisation zu etablieren, die den Zweck hat, die Gesundheitskompetenz in allen Aspekten im Umgang mit Digitalisierung und Daten zu fördern.
BMG will mit guten und konkreten Beispielen starten
Grundsätzlich zufrieden sei das Team von DSL mit den aktuellen Bestrebungen der Bundesregierung, die Nutzung von Gesundheitsdaten gesetzlich zu verankern. Aber es gebe auch Nachbesserungsbedarf, sagt Birgit Bauer auf Nachfrage von G+G. Zum Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) hat die Initiative im Sommer auf Einladung des Bundesgesundheitsministeriums eine Stellungnahme abgegeben. „Was uns zum Beispiel damals nicht gefallen hat, es wurde sehr stark das Krebsregister erwähnt und nur seltene Erkrankungen. Aber was war mit dem Rest der Menschen? Es gibt ja noch Menschen, die haben andere Erkrankungen, die fanden wir in dem Zusammenhang nicht ganz so berücksichtigt“, berichtet Bauer. Eine abschließende Bewertung sei aber erst möglich, wenn das Gesetz in seiner Endfassung in Kraft trete, was nach derzeitigem Stand für Februar geplant sei.
Zum Kritikpunkt, dass das Krebsregister als erstes im Fokus steht, sei die einfachste Antwort: „Irgendwo muss man anfangen“, erläutert Nilofar Badra-Azar, Referentin im Bundesgesundheitsministerium im Referat 511 für Grundsatzfragen, neue Technologien und Datennutzung. „Wenn wir jetzt sagen, wir fangen überall an, dann hat man nichts Konkretes. Und uns ist es wichtig, dass wir zumindest an einigen wenigen Beispielen etwas Konkretes, Gutes erarbeiten und dann damit rausgehen können und das weiterziehen. Und uns ist auch bewusst, dass es mehr als die Krebsregister gibt und dass wir perspektivisch auch viel weiterziehen müssen“, unterstreicht Badra-Azar.
EU-Gesundheitsdatenraum nimmt nächste Hürde
Mit dem GDNG werden national die Pläne zum European Health Data Space (EHDS) der EU-Kommission umgesetzt. Die Ausgestaltung des Gesundheitsdatenraums, der 2025 starten soll, schreitet indes voran. Der Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) sowie der für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) stimmten am vergangenen Dienstag für den veränderten Verordnungsentwurf. Dieser sieht eine elektronische Patientenakte für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger vor. Bei der Sekundärnutzung von Daten für die Forschung ist demnach hingegen eine Widerspruchsmöglichkeit (Opt-Out) vorgesehen.
Eine Forschung mit Gesundheitsdaten ermögliche viel besser die Entwicklung neuer Therapien, da diese deutlich umfassender sei, betont Arzt und DSL-Beirat Benjamin Friedrich. Er weiß aus Erfahrung: „Man liest Studien über eine neue Therapie, die gemacht wurde, und freut sich, was für tolle Effekte dieses Medikament hat. Und ich gebe es meinen Patientinnen und Patienten und die Effekte sind nicht so stark, wie es in den Studien war. Weil diese einzelnen Ausprägungen der individuellen Patienten in der Realität einfach anders sind.“ Mit Gesundheitsdaten seien hingegen auch personalisierte Therapien möglich.
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