Artikel Versorgung

Gesundheitsversorgung in der Kommune stärken

30.01.2024 Katrin Krämer 7 Min. Lesedauer

Mit Gesundheitskiosken den Zugang zum Gesundheits- und Sozialwesen erleichtern, mit Gesundheitsregionen eine vernetzte und kooperative Versorgung fördern und mit Primärversorgungszentren ein neues hausärztliches Angebot in ländlichen und strukturschwachen Regionen schaffen: Das ist Ziel eines aktuellen Arbeitsentwurfs für das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz. Er weist jedoch Schwachstellen auf. Wie sie zu beheben sind, zeigt eine Analyse aus dem AOK-Bundesverband.

Foto: Ein Mann im weißen Kittel (Arzt) misst einer älteren Frau den Bluttdruck.
In ländlichen Regionen fehlen oft Nachfolger für Hausarztpraxen. Gesundheitskioske und Primärversorgungszentren könnten diesem Mangel begegnen.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) verfolgt mit seinem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune – Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) – ein wichtiges Ziel: die Versorgung von Menschen in ländlichen und strukturschwachen Regionen zu verbessern und dabei insbesondere die Bedürfnisse vulnerabler Gruppen aufzugreifen. Speziell durch die Gesundheitskioske rücken die sozialen Determinanten von Gesundheit stärker in den Fokus. Herkunft, familiäre Situation oder Wohnort sollten die Gesundheit weniger bestimmen. Folgerichtig ist daher auch die Absicht des BMG, Gesundheitskioske, Gesundheitsregionen und Primärversorgungszentren durch Kooperationen hin zu einer stärker regional vernetzten Gesundheitsversorgung zu verbinden.

Alle Akteure auf Augenhöhe bringen

Allerdings ist der Gesetzentwurf bislang wenig ambitioniert, zumeist einseitig angelegt und von gewisser Realitätsferne gekennzeichnet. Entsprechend der Programmatik des Koalitionsvertrages sollen Kommunen mit Initiativrechten ertüchtigt werden, jedoch ohne ihnen Refinanzierungen durch die Länder oder den Bund zu ermöglichen. So wird sich die neue regional vernetze Gesundheitsversorgung eher in Kommunen etablieren, die über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen und damit nicht zuerst die durch das Gesetz adressierten Zielgruppen und -regionen erreichen. Auch sorgen die Regelungsvorschläge aufgrund der einseitigen Initiativrechte der Kommunen nicht dafür, die relevanten Akteure des Gesundheitswesens, insbesondere die Krankenkassen, mit den Kommunen in eine Beziehung auf Augenhöhe zu bringen.

Daneben enthält der GVSG-Entwurf zu viele bundeseinheitliche Detail-Regelungen. Da Beratung, Unterstützung, Vernetzung und Versorgung vor Ort stattfinden, helfen zu eng gefasste bundesweite Blaupausen, beispielsweise für Gesundheitskioske und Primärversorgungszentren, regional oft nicht weiter. Gesetzliche Regelungen sollten den regionalen Akteuren vielmehr Handlungsfreiraum geben, um vor Ort auf Basis des Bedarfs und der Gegebenheiten die Versorgung der Patientinnen und Patienten flexibel weiterentwickeln zu können.

Geradezu weltfremd mutet die Schätzung des Erfüllungsaufwands für die Kommunen im Gesetzentwurf an. Anlässlich des Abschlusses eines Gesundheitsregionenvertrages geht das BMG von einem einmaligen Aufwand für eine Kommune von lediglich 10.000 Euro aus. Für die laufenden Investitions- und Betriebskosten einer Gesundheitsregion werden gerade einmal jährlich 150.000 Euro angesetzt, die zur Hälfte von der Kommune zu tragen sind. Die angesetzten Beträge zeigen, dass die Komplexität, Langwierigkeit und Professionalität der Aufgabe, Netzwerke und Kooperationen regionaler Gesundheitsversorgung zu initiieren, zu organisieren und zu betreiben, massiv unterschätzt werden.

Gesundheitskioske mit Kassen-Expertise voranbringen

Als niederschwelliges Beratungsangebot sollten Gesundheitskioske nach dem Walk-in-Prinzip allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stehen. In den Mittelpunkt ihres Handelns sollten sie insbesondere vulnerable Gruppen und deren Unterstützungsbedarf (Navigationsfunktion) stellen. Zielführend wäre deshalb, die Installation von Gesundheitskiosken auf klar definierte Bedarfsregionen zu beschränken. Aus Sicht der AOK-Gemeinschaft ist das weiterhin vorgesehene alleinige Initiativrecht der Kommunen mit einhergehenden Schiedsamtslösungen zu kritisieren ebenso wie die geplante Finanzierung, die zu drei Vierteln von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen werden soll. Gesundheitliche Chancengleichheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die den Verantwortungsbereich der kommunalen Daseinsvorsorge mehr als nur tangiert. Daher sollte die Einführung von Gesundheitskiosken an die Bereitschaft der Kommunen gekoppelt werden, mehr finanzielle und organisatorische Verantwortung zu übernehmen. In diesem Sinne wäre die paritätische Aufteilung der Aufwendungen zu gleichen Teilen zwischen Kommunen und Krankenkassen (50:50) sachgerechter.

Die Kommunen könnten das alleinige Initiativrecht als eine Stärkung der eigenen Verhandlungsposition einordnen. Doch dieser Ansatz ist in der konkreten Umsetzung, insbesondere wenn zwischen Kommunen und Kassen keine Einigung auf dem Verhandlungsweg zustande kommt, hochgradig unflexibel und bürokratisch. Er beeinträchtigt zudem von Beginn an das Vertrauensverhältnis zwischen Kommunen und Kassen. Besser wäre ein partizipativer Ansatz, orientiert am konkreten Bedarf in den Regionen. In diesem Sinne sollte der Gesetzgeber neben den Kommunen auch den Krankenkassen ein Vorschlagsrecht einräumen, welches verpflichtend von den Kommunen zu prüfen ist. Aufgrund ihrer Kontakte, Netzwerke und spezifischen Kenntnisse können die Kassen, speziell die AOK, den Aufbau von Gesundheitskiosken entscheidend voranbringen und die Kommunen in ihrer neuen gestärkten Rolle und Funktion bestmöglich befähigen.

Potenzial von Primärversorgungszentren entfalten

Der Gesetzentwurf sieht vor, in Form von Primärversorgungszentren (PVZ) ein weiteres hausärztliches Versorgungsangebot zu schaffen, dass insbesondere durch professionsübergreifende, koordinierte, kooperative und versorgungssteuernde Elemente charakterisiert ist. PVZ sollen den besonderen medizinischen Bedürfnissen älterer und multimorbider Patientinnen und Patienten entsprechen. Leider bleibt der Gesetzestext in Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung wenig ambitioniert. Gleichzeitig legt er unnötig hohe Gründungsvoraussetzungen fest. Insgesamt bleiben die rechtlichen Anforderungen an ein PVZ weit hinter den Möglichkeiten und Notwendigkeiten für eine sektorenübergreifende Transformation der Versorgung zurück. Obwohl das BMG das Potenzial anderer Gesundheitsprofessionen erkannt hat, hält es hier an der Arztzentrierung fest. PVZ können so nicht ansatzweise zu einer Betriebsform für interprofessionelle Zusammenarbeit werden. Grundsätzlich sollte der Fokus nicht allein auf der Vertragsärzteschaft liegen. Vielmehr sollte die Errichtungsbefugnis auf alle Leistungserbringende nach Sozialgesetzbuch (SGB) V und SGB XI ausgeweitet werden, auch auf die Kassenärztlichen Vereinigungen und Kommunen.

Auch die vorgesehene Beschränkung auf (drohend) unterversorgte Planungsbereichebei gleichzeitigem Erfordernis, mindestens drei volle Arztsitze einzubringen, wird die Gründung von PVZ erschweren. Der Gesetzgeber will also eine neue Versorgungsform einführen, die ihr innovatives Potenzial nicht ausschöpft, nicht flächendeckend umgesetzt werden kann und in Folge dessen kein relevantes Potenzial entfalten wird, die regionalen Herausforderungen in der Versorgung zu lösen.

Pflegekassen an Gesundheitsregionen beteiligen

Unter dem Begriff Gesundheitsregionen soll eine neue Rechtsgrundlage geschaffen werden, mit der Kommunen und Krankenkassen Verträge zur Behebung regionaler Defizite der Gesundheitsförderung und Prävention sowie der Versorgung abschließen können. Im Sinne einer verstärkten regional vernetzten, kooperativen Gesundheitsversorgung unter Beachtung der Verantwortlichkeiten zur Daseinsvorsorge, der gewachsenen Strukturen und der regionalen Bedarfe weist dieser Vorschlag in die richtige Richtung. Konkret entsteht durch den vorgesehenen Paragrafen 140b SGB V ein rechtlicher und organisatorischer Rahmen, um die bestehenden regionalen gesundheitlichen Angebote (Gesundheitsförderung, Prävention, Versorgung, Öffentlicher Gesundheitsdienst) durch eine stärkere Kooperation besser zu vernetzen. Allerdings fehlen die Pflegekassen und ihre Landesverbände im Kreis der möglichen Vertragspartner. Bei einer Weiterentwicklung des Gesetzentwurfs sollten diese unbedingt in den Kreis der Vertragspartner mit aufgenommen werden. Die Pflegekassen bilden eine wesentliche Schnittstelle zur regional vernetzten, kooperativen Gesundheitsversorgung. Insbesondere die Schnittstelle der Pflegeversicherung zur Altenhilfe im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge sollte bei den Gesundheitsregionen eine wesentliche Rolle einnehmen.

Die AOK-Gemeinschaft begrüßt sowohl die Zielstellung als auch die regionale Perspektive des Gesundheitsregionen-Ansatzes: Aufgaben und Umsetzung werden nicht bundes- oder landesweit einheitlich vorgegeben, sondern auf Basis von Verträgen der Krankenkassen mit einer oder mehreren Kommunen regional vereinbart. Die Regelung ist somit flexibel, bedarfsgerecht und berücksichtigt die örtlichen Gegebenheiten. Allerdings ist auch hier das alleinige Initiativrecht der Kommunen ein Knackpunkt. Gesetzlicher Verhandlungszwang und Kontrahierungsdruck sind oft unpraktikabel, unflexibel und teuer, zerstören das Vertrauensverhältnis, führen zur Verhärtung der Fronten und gegebenenfalls zu kostenintensiven langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen. Es wird verkannt, dass bislang erfolgte Ansätze von Gesundheitsregionen sehr stark vom Konsensprinzip getragen werden; der Paragraf 140b in der Fassung des GVSG-Entwurfs wählt hier einen anderen, zugleich sehr voraussetzungsvollen und bürokratischen Weg.

Regionale sektorenunabhängige Versorgung fördern

Um Gesundheitsregionen rascher umzusetzen, sollte auf die „gemeinsame und einheitliche“ Vertragsgestaltung auf Seiten der Kassen verzichtet werden. Hier wäre es zielführender, eine rechtliche Möglichkeit zu schaffen, auf deren Basis die gestaltungs- und umsetzungswilligen Kassen beginnen können, ohne auf den Langsamsten warten zu müssen. Gefordert werden lediglich gesetzliche Leitplanken, die den regionalen Akteuren ausreichend Handlungsspielraum („Freihandelszonen“) geben, um die Versorgung auf der Basis der regionalen Bedarfe und Gegebenheiten mit unterschiedlichen Lösungsansätzen weiterentwickeln zu können. Diesem Anspruch wird der aktuelle Entwurf des GVSG nicht gerecht. Fraglich ist zudem, ob die Vorschläge zur Krankenhausreform bezüglich der Einführung von sogenannten sektorenübergreifenden Versorgern (Level 1i) hier ausreichend anschlussfähig sind. Kurzum: Das GVSG, insbesondere die vorgesehenen PVZ, sollten mit dem Konstrukt der „sektorenübergreifenden Versorger“ verknüpfbar sein.

Die Bausteine des GVSG sowie auch der Krankenhausreform müssen besser ineinandergreifen. Die AOK-Gemeinschaft fordert deshalb, den Transformationsprozess in der Versorgung durch die Innovationsfunktion regionaler Vertragsgestaltung zu begleiten und zu beschleunigen. In diesem Sinne bedarf es im Kontext des GVSG einer gesetzlichen Neuregelung. Die AOK schlägt deshalb eine Rechtsgrundlage für eine „Regionale sektorenunabhängige Versorgung“ vor, bei der einige Kassen mit der Umsetzung starten können und für alle anderen Kassen ein offener Zugang in Form eines Beitrittsrechts besteht. Eine Brücke in die Regelversorgung würde dadurch entstehen, dass die Rechtsgrundlage eine Erstreckungsbefugnis des Vertrags auf alle Krankenkassen vorsieht, wenn die freiwillig beteiligten Krankenkassen eine Versichertenabdeckung von 70 Prozent erreicht haben.

Nach den Vorstellungen der AOK-Gemeinschaft ist dieser Regelungsvorschlag angesiedelt zwischen wettbewerblicher und kollektivvertraglicher Versorgung. Er unterstützt die Vertragspartner auf der regionalen Ebene dahingehend, schneller und weniger regulativ bedarfsgerechte und dauerhafte Versorgungslösungen zu entwickeln. Hier sieht die AOK-Gemeinschaft explizit Möglichkeiten der Beteiligung von Strukturen der Langzeitpflege, der Gesundheitsregionen und Kommunen vor.

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