Aggressive Patienten: Wie Kliniken mit Gewalt umgehen
Beschäftigte in Krankenhäusern werden immer häufiger zur Zielscheibe von Gewalt. Die Übergriffe nötigen die Einrichtungen, ihr Personal besser zu schützen. Eine besondere Strategie hat dafür das Klinikum Leverkusen entwickelt.

Immer mehr Krankenhäuser müssen sich systematisch gegen Übergriffe durch Patienten oder deren Angehörige schützen. Das haben die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Ärzte-Gewerkschaft Marburger Bund (MB) Ende Januar in zwei Mitteilungen hervorgehoben. Einer Umfrage des deutschen Krankenhausinstituts (DKI) zufolge hat die Mehrheit der Kliniken (73 Prozent) in den vergangenen fünf Jahren eine wachsende Anzahl von Übergriffen auf Beschäftigte registriert. Die sinkende Gewaltschwelle macht sich vor allem in Notaufnahmen bemerkbar, meistens trifft es Pflegekräfte. Doch auch Ärztinnen und Ärzte sind im Klinikumfeld häufig mit Beschimpfungen, Beleidigungen und anderen Formen verbaler Gewalt konfrontiert. Das ergab die Mitgliederbefragung MB-Monitor 2024 des Marburger Bundes.
Marc Busche, Professor für plastische und ästhetische Chirurgie und Chefarzt der gleichnamigen Abteilung am Klinikum Leverkusen, kennt die Probleme aus eigener Erfahrung. Schon Ende 2022 hat er an dem städtischen Krankenhaus zusammen mit seiner Kollegin Jessica Odenthal, Leiterin des Betrieblichen Gesundheitsmanagements, ein umfassendes Programm zur Gewaltprävention initiiert. Allein im vergangenen Jahr registrierte das Haus nach eigenen Angaben 80 Vorfälle. „Meistens handelt es sich um verbale Gewalt, etwa Drohungen“, berichtet Busche, „aber auch physische Taten wie Spucken, Treten oder Festhalten ereignen sich immer wieder.“ Einen Schwerpunkt bilden die Notaufnahmen und Normalstationen; auch der Parkplatz der Klinik könne zum Schauplatz von Übergriffen werden. Mitunter finden Drohungen sogar den Weg in private Briefkästen.
Kliniken wappnen sich
Seit 2023 müssen Krankenhäuser die Bedrohung durch Gewalt im Rahmen ihrer Gefährdungsbeurteilung erheben – und reagieren. Die Folge: Immer häufiger sichern sich die Häuser laut DKG durch Sicherheitsdienste oder bauliche Sicherheitsvorrichtungen ab. Sie besetzen ihre Schichtdienste mit kräftigen Pflegern oder bieten Deeskalations- und Selbstverteidigungskurse an. In allgemeinen Aufenthaltsbereichen von Kliniken nimmt der DKG zufolge auch die Videoüberwachung zu. Das Klinikum Dortmund will sogar Bodycams einsetzen, um sein Personal besser vor Übergriffen zu schützen. „Viele dieser Maßnahmen greifen jedoch erst, wenn schon etwas passiert ist", sagt Busche.
„Wirklich alle werden geschult – von der Reinigungskraft, die im Keller einer zwielichtigen Person begegnet, bis zum Chefarzt.“
Chefarzt für plastische und ästhetische Chirurgie am Klinikum Leverkusen
Das Klinikum Leverkusen bereitet seine Beschäftigten deshalb gezielt auf heikle Situationen vor. Dabei setzt das Krankenhaus auf das „Berufsbezogene Interventions- und Sicherheitstraining“ der Polizei Recklinghausen, ein Programm zur Früherkennung gefährlicher Situationen, zu Verhaltens- und Kommunikationsstrategien, Umgang mit Stress und Hilfe im Notfall. Auch juristische Aspekte spielen eine Rolle. Das Ziel der Schulungen ist es, den Teilnehmenden zu vermitteln, wie sie in angespannten Situationen deeskalieren und sicher Hilfe holen können. Zunächst gab es die Trainings nur für das Personal der Notaufnahme und Intensivstationen. Künftig soll das Programm alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses erreichen. Busche und Odenthal haben sich dafür selbst zum Trainer und zur Trainerin für Gewaltprävention ausbilden lassen. „Alle, wirklich alle werden geschult – von der Reinigungskraft, die im Keller einer zwielichtigen Person begegnet, bis zum Chefarzt, der schriftliche Morddrohungen erhält", sagt Busche.
Zusätzlich können die Klinikangehörigen Selbstverteidigungskurse besuchen, bei denen der Selbstschutz auf dem Arbeitsweg im Vordergrund steht. Und wer nachts nicht allein über den Parkplatz laufen möchte, kann sich mit anderen an einem speziellen Treffpunkt verabreden; falls sich niemand findet, begleitet auch der Sicherheitsdienst. Für den Ernstfall hat das Klinikum außerdem ein Notruf- und ein Meldesystem eingerichtet: Wenn es zum Übergriff kommt, wird automatisch ein Kollege oder eine Kollegin alarmiert. Anschließend unterstützt ein versiertes Teammitglied auf Wunsch beim Melden des Vorfalls, bei der Erstattung einer Anzeige oder beim Erteilen eines Hausverbots. „Tatsächlich verbieten wir einigen Personen pro Jahr, unsere Klinik wieder zu betreten“, sagt Busche.
Wie die Politik reagiert
Vor dem Hintergrund hat das Gesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit mehreren Verbänden des Gesundheitswesens im Land eine Kampagne gegen Rassismus und Gewalt gestartet. „Menschen anzupöbeln, zu beleidigen oder gar zu attackieren, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, anderen zu helfen, ist besonders perfide und schärfstens zu verurteilen", sagte Karl Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, zum Start der Kampagne.Die Initiative will unter anderem mit Postings in den Sozialen Medien für das Thema sensibilisieren. Eine politische Lösung steht dagegen weiterhin aus. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte Anfang Oktober im Bundestag, die Menschen seien wegen langer Wartezeiten frustriert, deswegen komme es teils zu nicht akzeptabler Gewalt gegen das Personal. Anlass war die erste Lesung des Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung. Mit dem Ampel-Aus sind die Pläne fürs Erste vom Tisch.
Mitwirkende des Beitrags

Autorin
Datenschutzhinweis
Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.
Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.