„Hebammenwesen fehlt breite Anerkennung"
Die Unesco würdigt das Hebammenwesen mit der Aufnahme in die repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit. Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes, wünscht sich für die Hebammen in Deutschland mehr Unterstützung durch die Bundesregierung.
Wie lange hat es von der Bewerbung bis zum Beschluss, das Hebammenwesen in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufzunehmen, gedauert?
Ulrike Geppert-Orthofer: Sechs Jahre harter Arbeit bis zur Aufnahme in das internationale Kulturerbe der Menschheit liegen hinter uns. Ich bin glücklich, dass es geklappt hat. Das war alles andere als ein Selbstläufer. Frauen begleiten seit Menschengedenken andere Frauen vor, während und nach der Geburt ihres Kindes. Der Beruf hat sich immer weiter modernisiert und ist akademisiert worden. Dennoch fehlt die breite Anerkennung als einer der wichtigsten Heilberufe weltweit. Nun steht fest, die Hebammenkunst ist ein unschätzbares und auch schützenswertes Gut.
In der Vorbereitung und der Zeit der Bewerbung haben Sie eng mit Luxemburg kooperiert. Wie kam das zustande?
Geppert-Orthofer: Bevor der Prozess zur Aufnahme des Hebammenwesen in die internationale Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit beginnen konnte, musste es auf nationale Listen gesetzt werden. Das waren zunächst Deutschland und Luxemburg. Danach galt es, weltweite Unterstützung zu finden. Dafür wurden alle Mitgliedstaaten der Unesco angefragt. Nur acht haben sich beteiligt. Die Hebammenverbände in den sich beteiligenden Ländern und die Unesco-Vertretungen haben viel für diese Anerkennung gekämpft. Aus unserer Sicht waren Deutschland und Luxemburg die treibenden Kräfte bei der Unesco. Wir hatten aber natürlich einen Vorsprung, weil wir uns nur noch um die internationale Liste kümmern und die anderen Länder noch die Aufnahme in die nationalen Listen bewerkstelligen mussten.
Sie sind enttäuscht, dass die Ampelregierung nicht die gesteckten Ziele des Koalitionsvertrages angeht. Worum geht es konkret?
Geppert-Orthofer: Es gab mehrere Punkte, die sich die Ampel auf die Fahne geschrieben hatte. Von all den Zielen wurde bislang nichts umgesetzt. Sowohl was die Förderung der hebammengeleiteten Geburtshilfe als auch die Stärkung nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe angeht, sind wir davon weit entfernt. Mitte des Jahres hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zwar den Entwurf eines Aktionsplans an die Verbände zur Stellungnahme geschickt. Anders als beim Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen gab es beim Aktionsplan „Gesundheit rund um die Geburt” jedoch keinen vorgelagerten Beteiligungsprozess. Die Expertise der Betroffenen und der Leistungserbringerinnen wurde vollständig ausgeklammert. Das ist dem Entwurf deutlich anzumerken.
Der Aktionsplan soll nur Aufgaben umfassen, die im Aufgabenbereich der Bundesregierung liegen und dem Anschein nach möglichst gar keine Kosten verursachen. Darüber hinaus gehende ausstehende Maßnahmen werden in die Zuständigkeit der Länder oder Kommunen und der Berufsgruppen gelegt. Die Anhörung der Verbände in Präsenz mit dem BMG ließ keinen Raum für echten Austausch. Die eingereichten Stellungnahmen und der Entwurf wurden auch nicht durch das BMG öffentlich gemacht. Ein Wille zur Koordination, zum Beispiel durch eine Koordinationsstelle wie bei der Nationalen Strategie zur Stillförderung durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, und zur gemeinsamen Umsetzung eines echten Aktionsplans ist nicht zu erkennen. Es fehlt ganz offenbar der Umsetzungswille. Dabei gibt es mehr als genug Ideen für wirkliche Verbesserungen, die dem BMG eigentlich bekannt sein müssten.
Der Aktionsplan fällt teilweise sogar hinter die Ziele des Koalitionsvertrages und des Gesundheitsziels „Gesundheit rund um die Geburt” selbst zurück. Natürlich haben Eltern, Hebammen und andere Stakeholder klare Vorschläge, die allerdings bisher keinen Einzug in den Aktionsplan gefunden haben. Nun wird mit den Rückmeldungen eine Kabinettsempfehlung erstellt und dann dort wahrscheinlich verabschiedet. Wie die aussieht, wissen wir nicht. Aber wir sind wenig optimistisch, dass damit ein echter Wandel in der Geburtshilfe erzielt werden kann.
Wie bewerten Sie die Entwicklungen der Krankenhausstrukturreform für die Geburtshilfe ?
Geppert-Orthofer: Das ist sehr besorgniserregend. Es zeichnet sich immer mehr ab, dass der Streit um Finanzen und Planungshoheit am Ende die ganze Reform unterlaufen und für die qualitative Weiterentwicklung der Versorgungsbereiche gar kein Raum bleiben wird. Die Entscheidungen über die Qualitätsstandards und die Ausgestaltung der Leistungsgruppen werden voraussichtlich nachgelagert zur Reform in einem Ausschuss entschieden – und auch hier finden Hebammen und andere nicht-ärztliche Gesundheitsberufe mal wieder keine Beachtung. Gleichzeitig ist nicht erkennbar, dass die existierenden Fehlanreize im Abrechnungssystem, die vor allem medizinische Interventionen belohnen, beseitigt werden. Auch die groß angekündigte Einführung der Vorhaltekosten im Rahmen der Reform wird weiterhin auf diagnosebezogenen Fallgruppen (Diagnosis Related Groups, DRG) fußen. Wenn diese also für die Geburtshilfe nicht grundlegend überarbeitet werden, bleiben die Fehlanreize bestehen. Da fehlen mir doch tatsächlich die Worte.
Warum gibt es in der Geburtshilfe keinen verbindlichen Personalschlüssel?
Geppert-Orthofer: Es gibt nicht einmal erkennbare Schritte in Richtung eines verbindlichen Personalschlüssels, der für die Umsetzung der Eins-zu-eins-Betreuung notwendig wäre – ein weiteres Ziel des Koalitionsvertrags. Wir haben verschiedene Möglichkeiten zu einem Personalbemessungsinstrument bereits erarbeitet und einen Antrag beim Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) gestellt. Leider ist er abgelehnt worden. Gesundheitsminister Jens Spahn hat seinerzeit den Deutschen Pflegerat, Verdi und – ich meine – die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) damit beauftragt, ein Personalbemessungsinstrument zu entwickeln. Dabei ist die PPR 2.0 (Pflegepersonalregelung 2.0) entstanden. Diese wird jetzt umgesetzt und zeigt deutlich, dass wir auch ein Instrument für die Personalbemessung im Bereich der Geburtshilfe brauchen, also im Kreißsaal und auf den Stationen. Denn bislang werden die Tätigkeiten der Hebammen an keiner Stelle ausreichend mitgedacht und abgebildet. Wenn Gesundheitsminister Lauterbach einen entsprechenden Auftrag an den Deutschen Hebammenverband (DHV) und die DKG erteilen würde, hätten wir sehr schnell die HPR 1.0.
Die Ampel wollte explizit den Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle stärken. Wurden hierfür Maßnahmen eingeleitet und wie wurde der Hebammenverband bislang beteiligt?
Geppert-Orthofer: Die Regierungskommission, die Empfehlungen für die Krankenhausstrukturreform erarbeitet, ist gänzlich ohne geburtshilfliche Expertise. Dort hätte es eigentlich hingehört. Die Eins-zu-eins-Betreuung und hebammengeleitete Kreißsäle wurden bislang an keiner Stelle erwähnt. Vielmehr hat sich die Regierungskommission zum Ziel gesetzt, dass Geburtshilfe nur noch dort stattfindet, wo es auch eine Pädiatrie gibt. Das ist ein weiterer Fehlanreiz hin zu mehr Interventionen und zur Risikoorientierung in der Geburtshilfe.
Auch bei der Krankenhausreform ist in Sachen hebammengeleitete Kreißsäle nichts passiert. Und das ist wirklich ärgerlich. Anders als es der Name vermuten lässt, ist der Hebammenkreißsaal ein interdisziplinäres Konzept. Ärztinnen und Hebammen entwickeln gemeinsam die Kriterien für den Hebammenkreißsaal. Schon alleine dieser Prozess führt zu einer besseren Kommunikation zwischen den Berufsgruppen und fördert die Zusammenarbeit enorm. Das ist vermutlich auch der Grund dafür, dass die gesamte Geburtshilfe sich verändert, wenn ein Krankenhaus über einen Hebammenkreißsaal verfügt. Selbstverständlich unterliegt ein Hebammenkreißsaal ebenso der Qualitätssicherung wie der interdisziplinäre Kreißsaal. Mit namhaften Versicherern wurde mit uns dazu ein Risikomanagement entwickelt. Im Februar wird der erste Hebammenkreißsaal risikoauditiert. Wir haben keine Ahnung, warum diese weitreichenden Grundlagen für eine qualitätsgesicherte Geburtshilfe vom BMG ignoriert werden.
Das heißt, im jetzigen Aktionsplan spiegelt sich nicht wider, was sich die Regierung in ihrem Koalitionsvertrag für hebammengeleitete Kreißsäle vorgenommen hatte?
Geppert-Orthofer: Ja, der Aktionsplan "Nationales Gesundheitsziel" fällt weit zurück hinter die ursprünglichen Vorhaben der Ampel. Im Aktionsplan steht zu lesen, dass ein weiterer Ausbau wünschenswert wäre, aber nicht in der Hand der Bundesregierung läge. Das ist nicht richtig, schon alleine die Krankenhausreform gäbe die Möglichkeit, hier entscheidende Schritte zu gehen und die hebammengeleitete Geburt in der Kliniklandschaft fest zu verankern. Wir müssen leider auch erleben, dass trotz hervorragender Ergebnisse die wenigen Hebammenkreißsäle, die es gibt, aufgrund fehlender Finanzierung geschlossen werden. Die physiologische Geburt lohnt sich für Krankenhäuser oft nicht, da vor allem Interventionen bezahlt werden und keine Betreuungsleistung. Zudem werden nicht die richtigen Qualitätsparameter erhoben, um die physiologische Geburtshilfe überhaupt sinnvoll abbilden zu können.
Welche Punkte müssten nach Ihrer Ansicht dringend umgesetzt werden?
Geppert-Orthofer: Die Einführung eines verbindlichen Personalschlüssels zur Umsetzung der Eins-zu-eins-Betreuung während wesentlicher Phasen der Geburt. Dafür müssen die Arbeitsbedingungen für Hebammen verbessert werden. Der derzeitige Hebammenmangel in den Kliniken ist hausgemacht. Hebammen sind die einzige Berufsgruppe, die spezifisch für die Förderung von Gesundheit in der Schwangerschaft, während der Geburt und im Wochenbett ausgebildet sind. Im DHV ist diese umfassende Expertise abgebildet.
Deswegen ist es eine Forderung von uns, bei allen Fragen, die die Geburtshilfe angehen, frühzeitig einbezogen zu werden. Dies gilt besonders bei neu zu schaffenden Gremien, wie dem Ausschuss, der die Leistungsgruppen im Rahmen der Krankenhausreform weitertreiben soll. Die Leistungsgruppe Geburtshilfe in der Krankenhausreform darf nicht nur mit ärztlichem Personal hinterlegt werden. Wenn sich die Geburtshilfe verbessern soll, dann müssen auch Qualitätsindikatoren entsprechend gewählt werden.
Ebenso wichtig ist, die Verzahnung von klinischer und ambulanter Geburtshilfe voranzutreiben und die kooperative Betreuung der Frauen in der Schwangerschaft sowie im Wochenbett zu verbessern. Und natürlich fordern wir eine faire Bezahlung unabhängig vom Betreuungsmodell, sowohl bei freiberuflichen Hebammen, Beleghebammen und angestellten Hebammen in der Klinik. Nur so kann eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Versorgung von Müttern, Kindern und werdenden Familien gewährleistet werden. An diesen Zielen arbeitet der DHV gerne mit.
Hebammenwesen als immaterielles Kulturerbe der Menschheit:
- Die Nominierung des Hebammenwesens auf der Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit geht auf eine gemeinsame Initiative der Länder Deutschland, Kolumbien, Zypern, Kirgisistan, Luxemburg, Nigeria, Slowenien und Togo zurück. In Deutschland unterstützten der Deutsche Hebammenverband, der Verein Hebammen für Deutschland und der Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands den Bewerbungsprozess.
- Mit der Bestätigung als immatrielles Kulturerbe würdigt die Unesco die weltweit bedeutende kulturelle Praxis von Hebammen. So ist das Hebammenwissen breitgefächert, erstreckt sich über Geburtsvorgänge, Kindesentwicklung, Naturheilkunde, Akupressur, Massage. Hebammen bis zum Ende der Stillzeit und unterstützen Familien beim Übergang in einen neuen Lebensabschnitt.
- In Deutschland ist die Hebammen-Ausbildung mittlerweile akademisiert. Seit 2020 werden angehende Hebammen in einem dualen Studium ausgebildet.
- Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung wurde 2021 auch das Hebammenwesen verankert. Als Ziel ist dort die Stärkung des Hebammenberufs festgeschrieben. Im Koalitionspapier steht unter anderem der Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle. Zudem sollte ein Personalschlüssel für eine Eins-zu-eins-Betreuung durch Hebammen „während wesentlicher Phasen der Geburt“ eingeführt werden. Mögliche Fehlanreize „rund um Spontangeburten und Kaiserschnitte“ sollten evaluiert werden.
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