Interview Versorgung

Endometriose: Die unsichtbare Krankheit

29.07.2024 Ulrike Serbent 4 Min. Lesedauer

Jährlich erkranken 52.000 Frauen neu an Endometriose. Bislang gibt es keine Aussicht auf Heilung und nur sehr begrenzte Therapiemöglichkeiten. Die Leiterin des Endometriosezentrums der Charité, Sylvia Mechsner, fordert mehr politische Aufmerksamkeit und Investitionen in die Forschung.

Foto: Eine Frau liegt gekrümmt auf einem Sofa und hält sich eine Wärmflasche vor den Bauch.
Die Weltgesundheitsorganisation geht von weltweit circa 190 Millionen Frauen aus, die an Endometriose erkrankt sind.

Frau Professorin Mechsner, Sie leiten das Endometriosezentrum der Charité in Berlin und sprechen oft von Endometriose als einer „unsichtbaren" Krankheit. Warum ist das so?

Prof. Dr. Sylvia Mechsner: Jährlich erkranken in Deutschland etwa 52.000 Frauen neu daran, und es gibt eine nicht unerhebliche Dunkelziffer. Endometriose ist eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen bei Frauen, und dennoch war sie lange Zeit nahezu unsichtbar oder wurde vernachlässigt. Bis heute sind die genauen Ursachen dieser chronischen Schmerzerkrankung nicht bekannt. Das breite Spektrum an Symptomen und die oft unauffälligen Untersuchungsbefunde erschweren die Diagnose.

Welche Herausforderungen sehen Sie in der Diagnose und Behandlung von Endometriose?

Mechsner: Endometriose beeinträchtigt alle, die von ihr betroffen sind. Sie wirkt sich auf den Alltag aus, auf die Teilhabe am Leben, auf die Arbeit, auf Partnerschaften und Freundschaften, auf die Lebensqualität und auf so viel mehr. Endometriose betrifft Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Die Krankheit kann zu Unfruchtbarkeit, Mehrfachoperationen und Arbeitsunfähigkeit führen, was auch sehr hohe Kosten für das Gesundheitswesen bedeutet.

Was sind die typischen Symptome und warum bleibt die Krankheit oft so lange unerkannt?

Mechsner: Die Beschwerden beginnen oft sehr früh und sind extrem schmerzhaft, obwohl die Untersuchungsbefunde oft unauffällig bleiben. Wenn die Krankheit schließlich diagnostiziert wird, sind die Herde zum Teil so ausgedehnt, dass die Organe miteinander verklebt sind – wie die Gebärmutter, die Eileiter und der Darm. Diese Herde können zu irreversiblen Veränderungen, Infertilität und Organdestruktionen führen. Es gibt Studien, die zeigen, dass Endometriose-Betroffene auch andere Risiken wie kardiovaskuläre Erkrankungen haben.

„Wir benötigen eine bessere Koordination verschiedener Akteure im Gesundheitssystem.“

Prof. Dr. Sylvia Mechsner

Leiterin des Endometriosezentrums der Charité

Foto: Ein Frauenhand hält eine Organnachbildung einer Gebärmutter vor ihren Unterbauch.
Durchschnittlich dauert es acht Jahre oder länger bis eine Endometriose-Diagnose gestellt wird. Das bedeutet ein wahres Martyrium für viele der etwa zwei Millionen davon betroffenen Frauen in Deutschland. Nun endlich wird in Forschung investiert.
09.07.2024Ulrike Serbent4 Min
Foto: Porträt von Prof. Dr. Sylvia Mechsner, Leiterin des Endometriosezentrums der Charité Berlin.
Prof. Dr. Sylvia Mechsner, Leiterin des Endometriosezentrums der Charité Berlin

Was kann getan werden, um die Versorgung von Endometriose-Patientinnen zu verbessern?

Mechsner: Wir benötigen eine bessere Koordination verschiedener Akteure im Gesundheitssystem und spezialisierte Endometriosezentren, die über die notwendige große Ambulanzkapazität und Expertise verfügen. Niedergelassene Frauenärzte stehen unter einem gewissen wirtschaftlichen Druck, was die spezialisierte Versorgung erschwert. Endometriosezentren könnten hier die Lösung bieten.

Welche therapeutischen Ansätze gibt es derzeit und wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?

Mechsner: Derzeit beschränken sich die Therapien hauptsächlich auf die Linderung der Symptome durch hormonelle und operative Behandlungen. Die Regelversorgung arbeitet mit rein symptomatischen, hormonellen Therapien und Operationen. Leider gibt es jedoch nur eine begrenzte Kostenübernahme, hauptsächlich für zwei hormonelle Therapien. Es besteht ein großer Bedarf an umfassenderen und effektiveren Therapieoptionen.

Was muss getan werden, um das Bewusstsein für Endometriose zu erhöhen?

Mechsner:  Es ist entscheidend, dass das Wissen um Endometriose nicht nur in der Bevölkerung, sondern vor allem beim medizinischen Personal geschult wird. Mit steigender Bekanntheit der Krankheit hoffe ich, dass undiagnostizierte Betroffene selbstbewusster eine Diagnose einfordern können, anstatt in Stille zu leiden.

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