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Aus Fehlern lernen im Room of Horrors

19.11.2024 Silke Heller-Jung 4 Min. Lesedauer

Ein Room of Horrors ist ein Simulationstraining für mehr Patientensicherheit: Interdisziplinäre Teams suchen in einem speziell präparierten Raum nach Fehlern und Risiken. Bei der Stiftung Patientensicherheit Schweiz entwickeln Karma Brunner und Andrea Balmer dieses außergewöhnliche Fortbildungsformat laufend weiter.

Foto: Arbeitszene aus dem Room of Errors – (angehende) Mediziner stehen um die Simulationspuppe herum.
Bei der Fehlersuche am Patientenbett arbeiten verschiedene Gesundheitsberufe Hand in Hand.
Foto: Karma Brunner, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Co-Projektleiterin Room of Horrors, Stiftung Patientensicherheit Schweiz.
Karma Brunner, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Co-Projektleiterin Room of Horrors, Stiftung Patientensicherheit Schweiz

Was zeichnet das Lernen im Room of Horrors aus?

Karma Brunner: Das Besondere am Room of Horrors ist, dass im Gegensatz zu theoretischen Schulungen risikoreiche Situationen konkret und im eigenen Arbeitsumfeld erlebbar werden. Die Teilnehmenden werden praxisnah und auf spielerische Art und Weise für patientensicherheitsrelevante Risiken in ihrem beruflichen Alltag sensibilisiert, ihre Beobachtungsfähigkeit und ihr Situationsbewusstsein werden geschärft. Das Training ist nicht nur lehrreich, sondern macht auch Spaß.

Da ein Trainingsraum einfach und mit wenigen technischen Mitteln umsetzbar ist, eignet sich diese Art des interaktiven Lernens für Betriebe jeder Größe. Organisationen können das Training auch an das eigene Setting anpassen und Fehler und Risiken hinzufügen, die besonders relevant sind, beispielsweise auf Basis von Fehlermeldungen aus der eigenen Organisation.

Welchen Nutzen haben Gesundheitseinrichtungen davon? Und welchen die Patientinnen und Patienten?

Karma Brunner: Die Gesundheitseinrichtungen können durch die Umsetzung des Room of Horrors anhand unserer Manuale einen hohen Sensibilisierungs- und Lerneffekt mit relativ geringem Aufwand erzielen. Ihre Mitarbeitenden werden für Risiken im Arbeitsalltag sensibilisiert und können Fehler eher erkennen und verhindern. Das trägt zur Patientensicherheit und zur Behandlungsqualität bei.

Außerdem wird dadurch die Etablierung einer Fehler- und Sicherheitskultur gefördert. Es ist wichtig, dass über Fehler gesprochen und niemand dafür verurteilt wird, sondern dass das Lernen aus Fehlern im Vordergrund steht. Die Zusammenarbeit und das gegenseitige Verständnis der Rollen und Tätigkeiten in interprofessionellen Teams wird gestärkt. Und: Mitarbeitende fühlen sich sicher und sprechen Fehler und Risiken offen an, auch über Hierarchiestufen hinweg.

Foto: Dr. Andrea Balmer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Co-Projektleiterin Room of Horrors, Stiftung Patientensicherheit Schweiz.
Dr. Andrea Balmer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Co-Projektleiterin Room of Horrors, Stiftung Patientensicherheit Schweiz

Die Stiftung Patientensicherheit Schweiz spielt bei der Verbreitung des Konzepts der Room of Horrors in Europa eine Vorreiterrolle. Wie kam es dazu?

Dr. Andrea Balmer: Nachdem das Konzept des Room of Horrors im Krankenhausbereich im englischsprachigen Raum bereits bekannt und erfolgreich war, haben wir im Rahmen der schweizweiten Aktionswoche Patientensicherheit 2019 ein Manual für einen Room of Horrors im Spital entwickelt und veröffentlicht. Das Konzept ist sehr gut aufgenommen worden, also haben wir es in der Folge stetig weiterentwickelt und weitere Manuale veröffentlicht, auch für den ambulanten Sektor. Aktuell sind Manuale für Spital, Hausarzt- und Kinderarztpraxis, Pflege- und Altersheim und Offizinapotheke verfügbar, in Arbeit sind Manuale für die Psychiatrie und die ambulante Pflege.

Wie hoch ist der zeitliche und organisatorische Aufwand für einen Room of Horrors? Und was ist dabei zu beachten?

Dr. Andrea Balmer: Ein Room of Horrors sollte von ein oder zwei Moderatorinnen oder Moderatoren umgesetzt werden. Der organisatorische Aufwand dafür beinhaltet die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Trainings. Hilfreich ist, wenn bestehende Anleitungen und Materialien wie unsere Manuale verwendet werden, die sich in der Praxis bewährt haben. Sie enthalten genaue Anleitungen, damit auch unerfahrene Gesundheitsinstitutionen einen Room of Horrors einfach und eigenständig umsetzen können. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist, dass das Management der Gesundheitseinrichtung das Konzept unterstützt. Die Durchführung mit interprofessionellen Teams ist ebenfalls ein Faktor, der den Erfolg erhöhen kann. Hinderlich für eine gelungene Durchführung wäre es, die Fehler im Trainingsraum nicht an die Kompetenzen und Berufsgruppen der Teilnehmenden anzupassen oder kein Debriefing durchzuführen, also nicht im Team die Ergebnisse, Erfahrungen und Learnings zu besprechen. Das gilt insbesondere auch für Fehler, die zusätzlich gefunden, aber gar nicht bewusst inszeniert wurden.

Konzept: Room of Errors/Room of Horrors

Das Fortbildungskonzept ist so einfach wie genial: Ein Trainingsraum wird absichtlich mit Fehlern gespickt, die die Teilnehmenden dann suchen müssen. Dieses Simulationstraining für mehr Patientensicherheit ist unter verschiedenen Namen bekannt. Die erste dokumentierte Anwendung des Konzepts war wahrscheinlich an der South Dakota State University in den USA, die 2009 einen „Room of Errors“ für die Ausbildung von Pflegefachkräften einsetzte. Die Stiftung Patientensicherzeit Schweiz, die diese Form der Fortbildung in Europa bekannt machte, wählte hingegen die Bezeichnung „Room of Horrors“. Auch die Bezeichnung „Room of Risks“ wird hier und da verwendet.

Die Stiftung Patientensicherheit hat im Laufe der Zeit ihr Angebot an Manualen und anderen Materialien kontinuierlich ausgebaut. Wie gehen Sie dabei vor?

Dr. Andrea Balmer: Jedes neue Szenario wird von Anfang an gemeinsam mit einem Praxispartner erarbeitet, um sicherzustellen, dass die individuellen Gegebenheiten und Herausforderungen des jeweiligen Versorgungsbereichs berücksichtigt werden. So wird sichergestellt, dass der Room of Horrors möglichst praxisnah, realistisch und effektiv ist. Beim Manual Psychiatrie, das wir gerade in Kooperation mit der Psychiatrie St. Gallen erarbeiten, haben wir neben den Patientenfällen erstmals Stationsbeschreibungen mit verschiedenen Situationen entwickelt und dazu Tonaufnahmen produziert. Eine Besonderheit dieses Settings ist, dass viele Risiken auf zwischenmenschlicher Interaktion und Kommunikation basieren. Das haben wir in der Umsetzung berücksichtigt. Der Room of Horrors für die Psychiatrie wird im Frühjahr 2025 verfügbar sein.

Auch für die ambulante Pflege entwickeln wir derzeit ein Manual. Dabei sind unter anderem die Räumlichkeiten eine Besonderheit: Es gibt hier kein standardisiertes medizinisches Setting, sondern das Szenario spielt in den privaten Räumlichkeiten der Patientinnen und Patienten. Dieser Herausforderung müssen wir in der Entwicklung des neuen Room of Horrors Rechnung tragen. Wir denken darüber nach, eine Privatwohnung anzumieten, um ein möglichst realitätsnahes Setting kreieren zu können.

Wollen Sie das Angebot noch weiter ausbauen, eventuell auch länderübergreifend?

Karma Brunner: Wir sind offen für die Entwicklung von weiteren Szenarien. Wir erhalten regelmäßig Anfragen aus verschiedenen Versorgungssektoren und prüfen dann den Bedarf, die Ressourcen, die Machbarkeit sowie die Zusammenarbeit mit einem potenziellen Praxispartner.

Grundsätzlich konzentrieren wir uns mit unseren Aktivitäten auf die Schweiz und Schweizer Gesundheitsorganisationen. Aber kürzlich sind zwei deutsche Apothekerverbände auf uns zugekommen, um das Manual für den Room of Horrors für Offizinapotheken für das deutsche Setting anzupassen. Dieses Manual ist vor einigen Wochen publiziert worden. Bei der Pilotierung des Room of Horrors für die Psychiatrie unterstützt uns aktuell das Medizinische Interprofessionelle Trainingszentrum der Technischen Universität Dresden. Weitere Kooperationen sind derzeit nicht geplant.

Foto einer Puppe, die im Room of Errors im Krankenbett als Testpatientin dient
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