Die psychische Belastung steigt mit der Erderwärmung
Die Klimakrise hat auch negative Folgen für die mentale Gesundheit. Wie diese konkret aussehen, wer besonders betroffen ist und was dagegen getan werden kann, erläutert der Sprecher des Deutschen Zentrums für psychische Gesundheit (DZPG) am Standort Berlin-Potsdam, Andreas Heinz, im Interview mit G+G. Dort soll im kommenden Jahr der One Mental Health Hub starten.
Wie gravierend sind die Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit?
Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz: Ausgeprägt. Es gibt eine Meta-Analyse, die zeigt, jedes Grad Erderwärmung, und wir haben ja schon eins hinter uns, lässt psychische Probleme weltweit etwa um 0,9 Prozent steigen. Fast ein Prozent mag erst einmal wenig klingen, aber da hiermit weitreichende Kosten verbunden sind, ist das schon beeindruckend viel und daneben ein weiter zunehmender Faktor.
Welche Belastungen bringt die Klimakrise konkret mit sich?
Heinz: Bei Umweltkatastrophen sind es oft posttraumatische Erkrankungen oder insgesamt Stressbelastungen. Bei einer Umweltkatastrophe wie dem Hochwasser im Ahrtal ist das sehr nachvollziehbar. Wenn mein Haus weggespült wird, dann bin ich psychisch auf jeden Fall sehr mitgenommen und habe vielleicht auch hinterher eine behandlungsbedürftige Erkrankung. In anderen Bereichen ist es indirekter. Hitze bereitet älteren Menschen mit bereits anfälliger Gesundheit zusätzliche Probleme. Das kann sich beispielsweise bei Demenzerkrankungen ungünstig auswirken.
Ab wann beginnt eine psychische Erkrankung?
Heinz: Sich um Kipppunkte Sorgen zu machen und eine sogenannte Klimaangst zu entwickeln, ist berechtigt und würde ich nicht als pathologisch und behandlungsbedürftig ansehen. Wie beispielsweise Burnout in aller Munde ist und auf schlechte Arbeitsbedingungen hinweist, steht es in keinem definierten Krankheitskatalog. Eine Erkrankung hingegen ist eine Einschränkung einer lebenswichtigen Funktion, die persönlich zum Nachteil führt. In der Regel liegen komplexe Folgen aus einem Bündel von Entwicklungen zugrunde. Eine Depression ist mehr als schlechte Stimmung. Wenn ich eine längerfristige Störung meines Antriebs habe, starr werde, mich nicht mehr freuen kann und nur noch das Negative sehe, mit anderen deshalb nicht mehr interagieren kann, sind die Kriterien erfüllt. Die Klimakrise kann solche schweren psychischen Erkrankungen weiter verschlimmern.
Welche Erkenntnisse liegen dazu schon vor?
Heinz: Die Folgen des Hurrikans Katrina sind gut untersucht. Mehr als ein Drittel der Betroffenen haben behandlungsbedürftige psychische Störungen entwickelt, allein schon wegen der Zerstörung der Lebensgrundlagen, der massiven Traumatisierung, der Ängste, oft auch aufgrund des sozialen Ausschlusses. Solche Naturkatastrophen haben lokal massive Folgen für die Betroffenen. Während andere Faktoren wie Hitze mehr Personen betreffen und Auswirkungen zum Beispiel auf die Zunahme von Depressionen oder Angststörungen haben. Das erfolgt ja zum Teil auch indirekt. Aus hitzebedingten Schlafstörungen ergeben sich gegebenenfalls stärkere psychische Belastungen, aber auch bei einer körperlichen Erkrankung ist das auf Dauer nicht gut. So kann dann eine Depression oder eine Angststörung zunehmen oder sich ausprägen.
„Der solidarische Effekt hat auch eine emotionale Komponente, die ganz wichtig ist.“
Sprecher des Deutschen Zentrums für psychische Gesundheit (DZPG) am Standort Berlin-Potsdam
Trägt schlechtes Krisenmanagement von Regierungen und Behörden dazu bei?
Heinz: Ja, aber hier ist nicht nur die Politik gefragt, sondern das ist eine gesellschaftliche Herausforderung. Wir wissen von Traumatisierungen, dass die Menschen am stärksten traumatisiert sind, wenn sie isoliert der Gewalt ausgesetzt sind und ihnen keiner hilft. Bei einem Tsunami oder einer anderen Naturkatastrophe, bei der alle gleich betroffen sind, gibt es zwar auch eine erhebliche Traumatisierungsrate, aber die ist nicht so hoch wie im individuellen Fall. Deshalb sind in solchen Situationen Solidarität und Unterstützung von großer Bedeutung, Das trägt zur Resilienz bei. Der solidarische Effekt hat auch eine emotionale Komponente, die ganz wichtig ist.
Welche Bevölkerungsgruppen sind besonders betroffen?
Heinz: Das sind die vulnerablen Gruppen wie Kinder und ältere Menschen, die häufiger Erkrankungen haben. Armut spielt ebenfalls eine Rolle. Obdachlosigkeit ist ein bedrückend präsentes Phänomen in psychiatrischen Kliniken in Berlin. Die Betroffenen leben oft ganz ungesichert auf der Straße und sind der Hitze ausgesetzt, weil sie keinen Wohnplatz mit Schatten haben. Bei den Gruppen gibt es zudem eine ganze Reihe von Überschneidungen.
Gibt es weitere Faktoren?
Heinz: Bei Untersuchungen anhand von Messdaten haben wir herausgefunden, dass es in den ärmeren Stadtteilen in Berlin, neben psychischen Erkrankungen, in der Regel mehr Umweltbelastungsfaktoren gibt. Da überlagert sich einiges. Wenn Sie an der lauten Straße wohnen, wo viele Abgase von den Autos verursacht werden, dann bekommen sie nicht gleich eine Depression, aber vielleicht eine Lungenerkrankung. Dadurch schlafen Sie schlecht und so nehmen dann wieder psychische Erkrankungen zu. Neben der individuellen Nachbarschaftsebene gibt es die darüberliegende, auf der politische Entscheidungen gefragt sind, um Ressourcen gerechter zu verteilen. In ärmeren Gegenden finden sich beispielsweise weniger Parks, die ein Stück Klimatisierung anbieten.
Wie sieht Ihre aktuelle Forschung am DZPG dazu aus?
Heinz: Da gibt es einen großen Bereich mit dem Titel Lebenswelt, der den Einfluss von Umwelten auf die psychische Gesundheit untersucht. Hier verfolgen wir unterschiedliche Projekte. Zum Beispiel unsere Mannheimer Kollegen haben untersucht, wie es Menschen geht, die Parks oder andere Grünflächen aufsuchen gegenüber denen, die das nicht tun. Und inwieweit der Aufenthalt im Grünen einen positiven Effekt hat. Wir fragen nach der Verteilung von Parks in Gemeinden und dem Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen. Wir schauen uns auch die Auswirkungen von Hitzewellen an. Es gibt Straßen, in denen staut sich die Hitze, das sind oft auch Bereiche, wo sehr viel Umweltverschmutzung vorherrscht, weil wenig Wind durchbläst und dort steht dann nicht nur die Hitze, sondern auch der Feinstaub und die Abgase. Das ist ein Schwerpunkt am Standort in Berlin. Da wir erst seit knapp zwei Jahren am Start sind, ist manches noch im Aufbau.
Was verbirgt sich hinter dem One Mental Health Hub, der 2025 starten soll?
Heinz: Der One Health Ansatz beinhaltet, dass das menschliche Leben nicht ohne das Tierische und ohne die Pflanzenwelt und den Planeten zu denken ist. Das ist bisher wesentlich auf von Tieren übertragene Erkrankungen ausgerichtet gewesen. Wir legen den Schwerpunkt auf den psychischen Bereich. Mit Kolleginnen und Kollegen in ganz Europa wollen wir die weltweiten Befunde zum Klimawandel in einer Art kontinuierlichen Arbeitsgruppe auswerten. Und wir hoffen, dass aus der Forschung auch Politikberatung entsteht. Eigentlich wäre es ganz wichtig, in den Städten Teams zu haben, die bei der Stadtplanung auch Klimawandel und Gesundheitsauswirkungen berücksichtigen und dabei neben anderen auch den Aspekt der psychischen Gesundheit. Denn Green Space und Blue Space, also Zugänge zu Wasser oder Parks und Grünflächen, sind extrem wichtig. Dafür wollen wir die Daten liefern. Und wir wollen das Thema mehr in den öffentlichen Diskurs bringen und Prozesse anstoßen.
Mitwirkende des Beitrags
Autorin