Artikel Versorgung

Nachholbedarf bei Krebs: Aufgaben für die künftige Bundesregierung

20.02.2025 Anja Schnake 5 Min. Lesedauer

Angehörige von Kliniken, Pharmaindustrie, Krankenversicherung und Deutscher Krebsgesellschaft (DKG) forderten beim "Brennpunkt Onkologie", die Versorgung besser zu regulieren und die Forschung weiter zu stärken.

Eine Krebspatientin liegt im Krankenhausbett und eine Ärztin hält ihre Hand.
Themen der onkologischen Versorgung werden auch für die neue Bundesregierung auf der Agenda bleiben.

„Eine ambitionierte Bundesregierung, die hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist“, so fasste Richard Hartlaub, Referent Gesundheits- und Forschungspolitik der DKG, in seinem Impulsvortrag die Bilanz der Ampel-Koalition zusammen. Das Ministerium habe sich in kurzer Zeit an schwierige Probleme herangewagt, doch selten die richtigen Stellschrauben gefunden. So werden die Themen der onkologischen Versorgung auch für die neue Bundesregierung auf der Agenda bleiben: Nachbesserungen der Krankenhausreform, die Verfügbarkeit von Arzneimitteln, die Nutzung von Krebsregisterdaten.

Auf dem Podium ging es zunächst um die Versorgung von Krebspatientinnen und -patienten. Bei onkologischen Arzneimitteln bewege sich die Branche auf „dünnem Eis“, sagte Bork Brettauer, Geschäftsführer des Pharmaverbandes Pro Generika: „Wir bekommen meistens, was wir wollen, aber die Lage ist fragil. “ Der Politikwissenschaftler erinnerte daran, dass die vom Finanzvolumen her kleine Branche 80 Prozent der Versorgung bediene. Die Produktion von Onkologika finde zwar größtenteils in Deutschland statt, für bestimmte wichtige Arzneimittel erhielten aber Hersteller seit etlichen Jahren die gleiche Vergütung. Lieferengpässe habe es etwa beim Brustkrebsmittel Tamoxifen gegeben. „Die Gesundheitspolitik zielt darauf, dass Preise unterboten werden, statt auf ein resilientes System hinzuarbeiten“, so Brettauer. Dem amtierenden Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach attestierte er zwar das richtige Problemverständnis, er habe aber nicht konsequent genug reagiert.

DKG-Generalsekretär Dr. Johannes Bruns mahnte mehr Engagement für die Prävention an. Dabei sollte es nicht um einzelne Verhaltensweisen wie Nicht-Rauchen gehen, sondern um einen krankheitsübergreifenden Präventionsansatz: „Wir müssen junge Leute erreichen, damit sie durch einen generell gesunden Lebensstil ihr Risiko für Krebs- Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes reduzieren.“

„Wir brauchen dringend onkologische Leistungsgruppen, und diese sollten sich an den Qualitätsanforderungen zertifizierter Zentren orientieren.“

Dr. Johannes Bruns

DKG-Generalsekretär

Unverständliche Vorgaben für onkologische Chirurgie

Auch beim Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) fällt die Bilanz durchwachsen aus. Kritik gibt es vor allem an der Konzeption der Leistungsgruppen und der Regulierung der onkologischen Operationen. „Wir brauchen dringend onkologische Leistungsgruppen, und diese sollten sich an den Qualitätsanforderungen zertifizierter Zentren orientieren“, sagte Bruns. Die aktuelle Gesetzlage sei auch deshalb unbefriedigend, weil es für die Regulierung der Onkologie durch Zertifizierung gute Evidenz gebe, ergänzte Dr. Jürgen Malzahn, Abteilungsleiter Stationäre Versorgung im AOK-Bundesverband: „Der Leistungsgruppenkatalog könnte im Prinzip sicherstellen, dass onkologische Leistung dort erbracht würden, wo sie hingehören“, so der Versorgungsexperte, „fraglich ist aber, ob der Leistungsgruppenausschuss die Anforderungen dementsprechend gestaltet.“ 

Noch schärfer kritisiert Malzahn die Regelung, die das KHVVG etabliert hat, statt den Empfehlungen der Regierungskommission Krankenhausreform zu folgen. Das KHVVG sieht vor, dass Krankenhäuser nur dann Krebs-Operationen durchführen können, wenn sie in einem bestimmten Umfang an der Versorgung teilnehmen. Dafür hat mit dem KHVVG eine 15-Prozent-Schwelle eingeführt, unterhalb derer die Kliniken für entsprechende Eingriffe nicht mehr abrechnen dürfen. „Ein unverständliches Kriterium“, findet Malzahn. Im Ergebnis würden auch zertifizierte Zentren aus der Versorgung mit niedrigen Fallzahlen herausfallen. Noch dramatischer sei, dass es sich nur auf OP-Mengen richte und die konservative Behandlung abgekoppelt habe. Auch bei der Vorhaltekostenfinanzierung und der sektorenübergreifenden Versorgung gebe es noch Probleme zu lösen.

„Klassische klinische Forschung funktioniert in Deutschland gut, aber die Patientenzahlen in Studien gehen zurück [...]“

Prof. Dr. Olaf Ortmann

Ärztlicher Direktor der Universität Regensburg und Vorstandsmitglied der DKG

Krebsregister besser nutzen

In der zweiten Podiumsdiskussion stand der Forschungsstandort Deutschland zur Debatte. „Klassische klinische Forschung funktioniert in Deutschland gut, aber die Patientenzahlen in Studien gehen zurück, obwohl wir Strukturen geschaffen haben, die die Situation verbessern sollten“, sagte der Gynäkologe Prof. Dr. Olaf Ortmann, Ärztlicher Direktor der Universität Regensburg und Vorstandsmitglied der DKG.Registerbasierte Krebsforschung habe in Deutschland bisher keine Kultur und werde zu wenig gemacht. Dabei sieht er gerade in der Onkologie darin große Chancen, denn typische Krebspatienten würden altersbedingt oft aus klinischen Studien ausgeschlossen. Prof. Dr. Monika Klinkhammer-Schalke, Leiterin des Zentrums für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung an der Uni Regensburg, pflichtete ihm bei. „Bevölkerungsbezogene Studien-Settings werden immer wichtiger. In Leitlinien gibt es viele Empfehlungen, zu denen es wegen geringer Fallzahlen keine randomisierten Studien geben kann.“ Das Medizinforschungsgesetz habe geholfen, doch die onkologische Forschung brauche noch viel mehr Möglichkeiten, um Registerdaten zu verknüpfen.

Ein Mann sitzt auf der Couch an seinem Tablet und hat Kopfhörer auf. Recht im Bild ist ein Handy zu sehen, auf dem der G+G-Podcast "Kassentreffen" abgespielt wird.
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Auch für die Arzneimittelindustrie sei das Medizinforschungsgesetz ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, sagte Dr. Pablo Serrano, Mitglied der Geschäftsführung des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie. „Die Grundlagenforschung ist gut aufgestellt, die Krebsforschung ist weltweit führend.“ Es gebe aber Sollbruchstellen, etwa den Übergang zwischen Grundlagenforschung und Klinik, wo der „Proof of Concept“ nicht funktioniere. Für bestimmte Entwicklungsprojekte fehle in Deutschland zudem das Geld. „Wertschöpfung muss von der Erfindung bis zur Verfügbarkeit in der Versorgung, also der Erstattungsfähigkeit, gedacht werden“, so Serrano. Beim Medizinforschungsgesetz habe das Ministerium verstanden, dass diese Faktoren nicht isoliert betrachten dürfen. Für viele dieser Gesetze sei jedoch die Umsetzung, etwa die Evaluation, nicht geklärt, hob Ortmann hervor. „Wir brauchen die Akteure, die seit 20 Jahren Krebsregister aufbauen, um die Gesetzgebung zu begleiten – damit auch die Umsetzung gelingt.“

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