Artikel Versorgung

Bessere Ersthilfe kann plötzlichen Herztod verhindern  

17.03.2025 Hilke Nissen 4 Min. Lesedauer

Bei plötzlichem Herzstillstand ist der Notruf 112 die erste Wahl. Doch bis der Rettungsdienst eintrifft, vergehen kostbare Minuten. Schnelle Hilfe durch Anwesende ist entscheidend fürs Überleben. Viele Menschen wissen jedoch zu wenig über die lebensrettende Herzdruckmassage.

An einer Reanimationspuppe lernen Kinder einen Menschen wiederzubeleben..
Ein bundesweiter Wiederbelebungsunterricht ist an Deutschlands Schulen bisher nicht flächendeckend etabliert. In Dänemark ist er bereits seit 2005 gesetzlich verankert.

Etwa 140.000 Menschen erlitten laut Hochrechnungen des Deutschen Reanimationsregisters 2023 einen plötzlichen Herzstillstand. Bei 69.000 von ihnen konnte nur noch der Tod festgestellt werden. Viele ereilt der Notfall in Situationen des Alltags: beim Frühstück, am Arbeitsplatz oder beim Einkaufen. Auch wenn über den europaweiten Notruf 112 sofort ein Notarzt alarmiert wird, kommt professionelle Hilfe oft zu spät. Nur gut ein Drittel der Betroffenen erreichte 2023 lebend ein Krankenhaus, wenn am Ereignisort, ob durch Anwesende oder durch den Rettungsdienst, reanimiert wurde. Wären mehr Menschen in der Lage, Sofortmaßnahmen zu leisten, könnten jedes Jahr etwa 10.000 mehr Menschen einen Herzstillstand überleben.

Zeit ist Leben: die kritischen ersten Minuten

Immer häufiger kommt allerdings nach Angaben des SWR Data Lab und der Barmer der Rettungsdienst bei solch einem unerwarteten Herzstillstand zu spät. Bei dem plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand kommt es aus unterschiedlichen Gründen zu einem Stopp der Pumpfunktion des Herzens und folglich zum Stillstand des Blutkreislaufs. Lebenswichtige Organe werden nicht mehr mit Sauerstoff versorgt und bereits nach drei bis fünf Minuten drohen irreversible Hirnschäden. Dieser Notfall kann jeden treffen. In den ersten Minuten zählt deshalb jede Sekunde. Nur eine sofortige Wiederbelebung bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes kann die Überlebenschancen maßgeblich erhöhen. Der Rettungsdienst benötigte 2023 bundesweit im Mittel acht Minuten. Nur etwa 24 Rettungsdienstbereiche schafften es laut SWR und Barmer, 80 Prozent der Reanimationsfälle innerhalb von acht Minuten vor Ort professionell zu versorgen.
Etwa 70 Prozent der Herz-Kreislauf-Stillstände treten zu Hause auf, fasst das Bundeministerium für Gesundheit (BMG) zusammen. Zwar liegt das Durchschnittsalter bei etwa 70 Jahren, aber fast die Hälfte der Betroffenen ist im erwerbsfähigen Alter.

Mehr Wissen und Übung für Wiederbelebung nötig

Das BMG rief 2016 das Nationale Aktionsbündnis Wiederbelebung (NAWIB) im Zusammenschluss von Fachgesellschaften, Verbänden und Hilfsorganisationen ins Leben. Dieses sollte unter Koordinierung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA, heute Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit) für eine Verbreitung des Wissens über Laien-Reanimation sorgen.

Nach Ansicht des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, des Rates für Wiederbelebung und weiterer Akteure mangelt es aber hierzulande in der Bevölkerung weiterhin ganz erheblich an Kenntnissen zur Reanimation. Die Initiatoren fordern in ihrem Aktionsplan Wiederbelebung seit langem konkrete gesundheitspolitische Maßnahmen, um die Wiederbelebungskompetenz zu stärken, damit mehr Menschen nach Herzkreislaufstillständen außerhalb von Krankenhäusern überleben. Doch seien, so die Initiatoren, bislang keine politisch koordinierten und verpflichtenden Angebote von Gesetzgeberseite erfolgt.

„Ersthelfende Reanimation“: Deutschland im Rückstand

Zwar hat sich in Deutschland der Anteil der Fälle, in denen ein plötzlicher Herzstillstand durch anwesende Ersthelfer erstreanimiert wurde, von 2010 (14 Prozent) bis 2023 auf rund 51 Prozent erhöht. Doch die skandinavischen Länder zeigen, dass mehr möglich ist. Sie erreichen hier eine Reanimationsquote von über 70 Prozent.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Im Notfall sind in Deutschland zwar alle gesetzlich dazu verpflichtet zu helfen, solange es zumutbar und ohne eigene Gefahr möglich ist. Aber das strukturelle Lernen der Wiederbelebung ist nicht gesetzlich verankert. 

Ein Erste-Hilfe-Kurs ist nur zum Erwerb des Führerscheins vorgeschrieben. Für die vielen Jahre danach gibt es keine verpflichtenden Auffrischungskurse. Auch für bestimmte medizinische und pädagogische Berufe ist ein Erste-Hilfe-Kurs Voraussetzung. Am Arbeitsplatz gibt es zwar betriebliche Ersthelfer mit regelmäßigen Auffrischungen, doch eine allgemeine Schulungspflicht für Beschäftigte existiert nicht. Die Folge: Viele Menschen fühlen sich im Ernstfall überfordert, haben Angst, Fehler zu machen, oder fürchten rechtliche Konsequenzen.

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Schulen als entscheidender Hebel

Ein bundesweiter Wiederbelebungsunterricht ist an Deutschlands Schulen bisher nicht flächendeckend etabliert. Allerdings wurden mittlerweile Initiativen auf den Weg gebracht – auf Bundesland- und auf Kreisebene –, eine systematische Aufstellung gibt es nicht. Sie zeigen, dass eine gezielte Ausbildung wirkt.

Seit 2015 gibt es zum Beispiel in Baden-Württemberg das Schüler-Laien-Reanimationsangebot „Löwen retten Leben“ in Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz und der Stiftung Deutsche Anästhesiologie.

Nordrhein-Westfalen (NRW) fördert seit 2018 Reanimationstrainings für Schülerinnen und Schüler an weiterführenden Schulen. Das Projekt zur Einführung von „Laienreanimation an Schulen in NRW“ wurde durch den Einsatz der DGAI initiiert und wird bis heute von der medizinischen Fachgesellschaft sowie der Stiftung Deutsche Anästhesiologie begleitet. Innerhalb von zwei Jahren konnten nach Angaben der Evaluation mehr als 40.000 Schüler aus 249 Schulen mit sechs unterschiedlichen Konzepten in Wiederbelebung trainiert werden. Bis 2023 wurden mehr als 11.000 Reanimationspuppen an über 750 weiterführende Schulen im Bundesland verteilt. 85 Prozent der Schüler beantworteten Fragen zu Wiederbelebungsmaßnahmen richtig und fühlten sich insgesamt sicher in Wiederbelebungsmaßnahmen. Anfangs nur als Modellprojekt geplant, wurde es seit 2021 NRW-weit ausgerollt.

Seit 2021 sorgt auch das Aktionsbündnis „Wir beleben Deutschland wieder“ für Aufmerksamkeit und lehrt zur Reanimation auch direkt via Social Media. Das Bündnis ist ein Zusammenschluss aus Organisationen und Verbänden wie Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsches Rotes Kreuz, Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, Deutsche Herzstiftung und Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Die Kampagne läuft als #ichrettedeinleben zum Beispiel auf Instagram und ist zugleich eine Petition für die verpflichtende Unterrichtseinführung von Wiederbelebung ab der siebten Klasse. Bekannteste Akteurin ist die die Notärztin Dr. Carola Holzner, in den Sozialen Netzwerken besser bekannt als Doc Caro.

Von den Spitzenreitern lernen

Die skandinavischen Länder sind bei der Laien-Reanimation am Ereignisort Vorbilder. Hier haben zum Beispiel Wiederbelebungstrainings in Schulen und öffentliche Sensibilisierungskampagnen dazu beigetragen, dass sich die Reanimationsquote auf heute bis zu 80 Prozent erhöhte und damit die Überlebenschancen bei plötzlichen Herzkreislaufstillständen verbessert werden konnten. In Dänemark ist der Wiederbelebungsunterricht bereits seit 2005 gesetzlich verankert. Dort konnte zum Beispiel durch gezielte Trainings in Schulen die Laienanimationsrate seit den 2000er-Jahren vervierfacht werden. Es lernen dort bereits Grundschulkinder, wie sie im Notfall Onkel, Tante oder Oma und Opa wiederbeleben können.


Die nordischen Länder setzen auch die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) um, Wiederbelebungsunterricht für alle Schüler ab der siebten Klasse durchzuführen. Sie haben die seit 2015 aktive WHO-Initiative „Kids save Lives" bereits erfolgreich in ihre Schulsysteme integriert. Ein Jahr zuvor riet auch der Schulausschuss der Kultusministerkonferenz in Deutschland zu einer flächendeckenden Einführung. Doch in Deutschland wird die „Kids-safe-Lives“-Schulinitiative bisher nur empfohlen, wenn sie auch von vielen Fachgesellschaften vorangetrieben wird.

Die skandinavischen Staaten zeigen, dass systematische Schulungen, verpflichtende Wiederbelebungsprogramme und digitale Ersthelfer-Apps Leben retten. Dort steigt die Reanimationsquote der sogenannten Ersthelfer auch durch digitale Anwendungen. Alle Menschen können nach Registrierung und Absolvierung eines Erste-Hilfe-Kurses Ersthelfer werden. Dann werden sie direkt über einen Vorfall in ihrer Nähe informiert und können schnell helfen. 
Auch in Deutschland zeigen Untersuchungen der ADAC-Stiftung, dass solche Ersthelfer im Schnitt fünf Minuten vor dem Rettungswagen am Einsatzort sind. Mehrere Hilfsorganisationen bieten bereits Erste-Hilfe-Apps für die Bevölkerung an.

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